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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Sie verstummte und sah ihn schelmisch beredt von der Seite an.

„Ich weiß es auch nicht, Margarete,“ versicherte er mit Humor. „Seit jenem Morgen, wo sie abgereist ist, und ,der große Herr Primaner’ in seiner wilden Verzweiflung erwog, ob wirklich das Leben des Weiterlebens noch werth, oder ein Schuß ins Herz vorzuziehen sei, habe ich nie wieder von ihr gehört. Aber es ist mir ergangen wie Dir, ich habe sie nicht vergessen können, lange, lange nicht, bis plötzlich – die Rechte gekommen ist; denn das war sie trotz alledem nicht gewesen.“

Margarete sah bestürzt zu ihm auf – das klang so wahr, so aus tiefster Ueberzeugung heraus, daß ihr auch nicht der geringste Zweifel an der Echtheit seiner Gesinnung blieb. Er liebte diese Heloise von Taubeneck wirklich. Nicht um seiner Karriere willen strebte er nach ihrer Hand, wie die böse Welt behauptete – nein, er würde auch um sie werben, wenn sie die Malerstochter wäre … Der Papa hatte doch Recht gehabt mit seiner Versicherung, daß Herbert bei all seinem brennenden Ehrgeiz, seinem energischen Emporstreben dennoch die krummen Wege verschmähe …

Mittlerweile war der Hausknecht wiederholt unter der Stallthür erschienen, und jetzt winkte der Landrath ihm zu. Sein Pferd wurde herausgeführt, und er schwang sich hinauf.

„Du reitest nach dem Prinzenhofe?“ fragte Margarete, indem sie ihre Hand in seine Rechte legte, die er ihr vom Pferde herab noch einmal bot.

„Nach dem Prinzenhof und weiter,“ bestätigte er. „Nach der Richtung hin hat der Sturm schlimm gehaust, wie mir gemeldet wurde.“

Mit sanftem Druck entließ er die Hand, die er bis dahin festgehalten, und ritt davon.

Margarete blieb unwillkürlich stehen und sah ihm nach, bis er seitwärts hinter dem Thorpfeiler des Vorderhauses verschwunden war. Sie hatte ihm Unrecht gethan, und was noch schlimmer war, sie hatte diesen falschen Standpunkt ihm gegenüber wiederholt in verletzender Weise betont – das war peinlich. … Und er liebte sie wirklich, diese kühle, dicke, pomadige Heloise, den ausgesprochenen Gegensatz der graziösen Libelle, die einst dort unter dem grünen Blätterbehang gegaukelt! Unbegreiflich! Aber Tante Sophie hatte Recht. „Ja, wo die Liebe hinfällt!“ sagte sie stets achselzuckend, wenn sie von dem „Weltwunder“ sprach, daß sich nämlich wirklich und wahrhaftig Einer vor Zeiten in ihre große Nase verliebt habe … Mit nachdenklich gesenkter Stirn ging Grete langsam nach der Thür des Seitenflügels zurück. Da, im Grase neben dem Brunnenbecken lag das abgeschlagene Händchen der Nymphe. Sie hob es auf, und beim Anblick der charakteristischen Form mußte sie an die verschiedenen Hypothesen des alten Malers bezüglich des antiken Originales der Statue denken – aber auch nur einen Moment; dann verschleierten sich ihre Augen wieder hinter den Wimpern, und wie traumverloren stieg sie die Thürstufen hinauf – das interessanteste Problem war und blieb doch – die Menschenseele!

(Fortsetzung folgt.)




Städtegründungen im Mittelalter.

Von Karl Theodor Heigel.

Es fehlt nicht an Empfindsamen, welche den Historikern der kritischen Schule nicht verzeihen wollen, daß durch die neueste Forschung diese und jene poetische und patriotische Episode aus der Geschichte gestrichen wurde. Als ob die Geschichte es mit Anderem zu thun haben könnte, als mit Geschehenem! Und wie oft ist das Geschehene sogar anziehender, als die Tradition! Die historische Jeanne d’Arc erweist sich ohne Zweifel reiner von Schuld und reicher an jungfräulicher Würde, als das Gebilde der Sage. Daß der Befreier Tell wie der Landvogt Geßler in den Bereich der patriotischen Fabel verwiesen wurden, dürfen doch wenigstens wir Deutsche nicht beklagen, denn damit fiel auch ein seit Jahrhunderten festgewurzelter Wahn von deutscher Herrschsucht und deutscher Hoffahrt, die den Abfall der Schweiz verschuldet hätten.

Auch aus der Geschichte unseres deutschen Königs Heinrich I. hat die moderne Forschung – es sei nur an das vorzügliche Werk G. Waitz’ erinnert – manche sagenhafte Elemente und unberechtigte Vorstellungen ausgerodet. Wir wissen jetzt, daß der Beiname Finkler oder Vogler erst zwei Jahrhunderte nach dem Tode des Königs auftauchte, mithin aller Wahrscheinlichkeit nach der historischen Begründung entbehrt. Uns ist nunmehr bekannt, daß in die Geschichte der Ungarnkriege manche Abenteuer erst durch Turnierbücher der Renaissancezeit eingefügt wurden. Während man sich noch vor Kurzem in der Auffassung gefiel, daß der Fürst, von norddeutsch nüchternem, besonnenem Charakter, niemals vom Schimmer der Kaiseridee, vom Verlangen nach einer Oberhoheit über Italien und andere Länder der Christenheit zu umgarnen war, wendet sich Waitz mit Entschiedenheit gegen diese Annahme, die völlig unhaltbar gegenüber der bestimmten Nachricht des wohlunterrichteten Widukind ist, König Heinrich sei in seinen letzten Lebenstagen nur durch Krankheit verhindert worden, seinem Wunsche gemäß nach Rom zu ziehen, um das Erbe der ruhmgekrönten Vorfahren zu erstreiten.

Eine unrichtige oder doch übertriebene Vorstellung war auch damit verknüpft, daß man König Heinrich den „Städtegründer“ nannte.

Der sächsische Chronist Widukind erzählt, der König habe, nachdem von den Ungarn ein Waffenstillstand zugestanden war, von den nach germanischer Sitte zerstreut auf dem Lande wohnenden Kriegern je den neunten Mann in Städte ziehen lassen, damit er dort zugleich für seine acht Sippengenossen Wohnungen einrichte, während diese auch für ihn Feldfrüchte anbauen mußten. Tag und Nacht habe man auf des Königs Geheiß am Aufbaue von Städten gearbeitet; alle Versammlungen, Berathungen und Gelage seien dorthin verlegt worden.

Daß solche Anordnungen einen bedeutsamen Schritt zur Förderung städtischen Zusammenlebens bedeuteten, liegt klar zu Tage, aber König Heinrich darf deßhalb nicht als Begründer städtischen Rechts und städtischer Freiheit – als zweiten Theseus feiert ihn Leibniz – bezeichnet werden.

Denn nicht an eigentliche Städte ist dabei zu denken, nicht an regelmäßiges Zusammenwohnen von Vielen behufs Zusammenfassung der Fertigkeiten und Fähigkeiten jedes Einzelnen zu nützlichem Bunde, nicht an Bildung von Kommunen, in welchen Handel und Gewerbe als Mittelpunkt des Lebens erscheinen, sondern nur an befestigte Plätze, an Burgen, die in Friedenszeit eine wenig zahlreiche Besatzung hatten, in Kriegszeiten vorübergehend den benachbarten Landbewohnern Schutz gewährten.

Freilich hatte es wirkliche Städte mit eigenen Obrigkeiten und Rechtsordnungen schon vor König Heinrich’s Zeiten auf deutschem Boden gegeben. Wie in allen Provinzen des römischen Reichs hatte sich auch im Germanenlande, soweit es den Römern unterworfen war, städtisches Leben entwickelt; zumal an Rhein und Donau, wo sich außer Germanen auch zahlreiche römische und gallische Ansiedler niederließen und aus Assimilirung und Vermischung dieser Elemente ein ganz neues Volksthum hervorging, waren sogar einige bedeutendere Kultursitze – es sei nur an Köln und Regensburg erinnert – emporgewachsen. Diese Anfänge von Industrie und Verkehr waren aber durch die Stürme der Völkerwanderung, der Ungarn- und Normannenkriege völlig vernichtet worden, und wenn später auf den Trümmern römischer Kastelle am raschesten wieder städtisches Wesen aufblühte, so war dies nicht etwa wie in Italien nur eine Fortsetzung oder Wiederbelebung des Alten, sondern eine Neubildung der fortschreitenden Kultur.

Erst vom 11. Jahrhundert, der kampfbewegten Periode der Salier, an kann von Gründung eigentlicher Städte in Deutschland gesprochen werden.

Auch damals noch war Befestigung eines Platzes durch Mauer und Graben das wesentlichste Moment, auch noch in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_178.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2020)