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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Unter der Ehrenpforte.

Von Sophie Junghans.
(Fortsetzung.)


Der Bürgermeister, Doktor Jakob Tiedemars, bewohnte ein geräumiges Haus in der Nähe des Rathhauses. Dieses ältere Rathhaus, nunmehr abgebrochen und bis auf die Stätte, an der es gestanden hat, aus dem Gedächtniß des heutigen Geschlechtes verschwunden, befand sich mitten auf dem Markt der Landgrafenstadt, in demjenigen Theile derselben, in welchem damals das Leben aller ihrer Stände hauptsächlich pulsirte, während er heutzutage, unter dem Namen der Altstadt, nur dem geringeren Gewerbe geblieben ist. Das damalige Bürgermeisterhaus steht heute noch und blickt mit erneuten hellen Fenstern auf die veränderte Welt.

Am Morgen nach den erzählten Vorgängen saß Herr Doktor Jakob Tiedemars behaglich mit seinem Sohne in der Wohnstube beim Frühmahle. Er war ein beleibter Herr, dessen volles Gesicht im Profil etwas von einem klugen Vogel hatte. Uebrigens hätte man ihn in der würdigen schwarzen Tracht und seinem ganzen Habitus nach auch wohl für einen evangelischen geistlichen Herrn halten können. Er verstand es, mit weniger Worten, als die meisten Menschen zu machen pflegen, in Haus und Amt sich in Respekt zu setzen, und war allenthalben als ein kluger, tüchtiger Mann bekannt, auch bei dem Landgrafen als solcher wohl angeschrieben. Die Mutter ging ab und zu und bediente die Männer und machte dabei so viele Umstände um den gelehrten Herrn Sohn, daß sie diesen, der der Bräuche im elterlichen Hause sich indessen entwöhnt hatte, wahrhaft in Unbehagen versetzte. „Wollt Ihr Euch nicht auch zu uns setzen, Mutter?“ fragte Georg immer wieder.

„Nun, Rosinchen, wen suchst Du?“ (S. 182.)

„Ei, das wäre!“ sagte die Frau eifrig; „wer sollte denn indessen draußen zum Rechten sehen?“ Auch am Abend zuvor hatte sie sich kaum fünf Minuten ununterbrochenes Sitzen gegönnt, während der eben Heimgekehrte von seiner Reise erzählte. Sie schien des Sohnes nicht anders froh werden zu können, als indem sie sich die häusliche Mühe seinethalben so recht geflissentlich vermehrte. Ganz sonderbar berührte es den jungen Mann, wenn der Vater mit einem gebieterischen Wink oder einem kurzen Wort der Mutter die leere Kanne zum Füllen hinschob, als sei sie eine Magd; wollte Georg ihr aber die gleiche Dienstleistung für ihn wehren und sprang er gar auf, um ihr die Thür zu öffnen, so schienen sowohl Vater wie Mutter sich zu verwundern. Uebrigens mußte Georg sich gestehen, daß die Mutter in diesen drei Jahren den letzten Rest von Wohlgestalt, der ihr aus einer recht anmuthigen Jugendperiode immer noch geblieben war, abgestreift hatte, gealtert und in der That nicht viel anders als eine Magd aussah.

Das Gespräch der beiden Männer hatte sich endlich von den Zuständen der wälschen Hochschulen, von denen der alte Tiedemars mit vielem Antheil sich hatte erzählen lassen, ab- und heimischen Verhältnissen zugewendet. Da kam manches Vertrauliche zur Sprache, wobei der Bürgermeister, sobald seine Frau etwa in die Stube trat, die Stimme senkte und nur dem Sohne zum Gehör sprach. Dabei nickte die Bürgermeisterin dann wohl ihrem Georg zu, ganz stolz darauf, daß der Vater ihn nun auch in Dinge einweihe, welche für Weiber zu hoch waren.

„Wenn mich nicht alles trügt,“ sagte der ältere Tiedemars zuletzt, „so bist Du zur rechten Stunde hier eingetroffen, Georg, und kannst bald beim Aufsetzen eines Heirathskontraktes behilflich sein, wobei unserm fürstlichen Herrn Dein spitzfindiges italienisches Jus besser zu statten kommen mag, als er sich vielleicht jetzt noch träumen läßt.“

Georg sah überrascht zu den Worten seines Vaters auf. „So wäre es wahr, daß der Landgraf seines Wittwerstandes müde ist?“ sagte er.

Herr Jakob Tiedemars zuckte die Achseln und lächelte fein.

„Seine Räthe haben ihm Vorstellungen gethan,“ sagte er mit der Miene eines Mannes, der genau unterrichtet ist, „und der Herr fügt sich dem, was die Wohlfahrt der Unterthanen verlangt. Bei einem fürstlichen Hofhalt ohne Frau pflegt mit der Zeit Aergerniß für das Land zu entstehen – selbst wenn der Herr keinen Anlaß giebt, geben ihn die Diener … Und dann haben die evangelischen Fürsten zur Zeit alle Ursache, sich vorzusehen, daß sie im Falle der Noth nicht allein stehen, daher die Verschwägerung mit einem ansehnlichen Fürstenhause desselben Glaubens erwünscht schien. Diesen Vortheil und noch manchen andern gewährleistet in ihrer zudem sehr schönen Person eine fürstliche Frau – die verwittwete Gräfin Sabine von Hennegau –“ hier unterbrach sich der ältere Herr, nickte dem Sohne zu und legte den Finger auf den Mund – „sobald ein derartiges Verlöbniß noch nicht publicirt ist, thut man wohl, bei den Leuten nichts davon zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_181.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)