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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

wissen, und es giebt da zuweilen wunderliche Haken, an denen manchmal zu guter Letzt noch alles hängen bleibt. Doch habe ich aus guter Quelle, daß die Sache schon ziemlich weit gediehen ist.“

In diesem Augenblick ging die Thür auf, und der Kopf eines Mädchens schob sich herein. Sie machte eine Bewegung, als wolle sie gleich wieder zurückfahren, ließ sich aber durch den Zuruf des ältern Tiedemars: „Nun, Rosinchen, wen suchst Du? nur immer herein!“ aufhalten und sogar veranlassen, in ganzer Figur in der Stube sich zu zeigen. Doch blieb sie dicht an der Thüre stehen, sagte, sie habe die Frau Muhme aufsuchen wollen, und that, als bemerke sie Georg gar nicht, obwohl er als die eine der beiden breit am Tische sitzenden Personen eigentlich nicht zu übersehen war.

Er sprang übrigens jetzt auf und ging auf sie zu. Das war also die ihm bestimmte Braut – sein Schicksal für die noch vor ihm liegende Lebenszeit, wie man die künftige Ehegattin doch wohl bezeichnen konnte! Sie war ein auffallend schmuckes Mädchen; das Gesicht von hellem Weiß und Roth. Als er vor ihr stand und die Hand zum Gruße bot, sie also nicht mehr umhin konnte, ihn anzusehen, da schlug sie endlich ein Paar schön blaue vielleicht allzuhell bewimperte Augen zu ihm auf, blickte aber so rasch seitwärts zu Boden, daß ihn das Spiel, welches ihm übertrieben vorkommen mußte, ein wenig zu verdrießen anfing.

„Ihr thut, als stände ein Fremder vor Euch, Rosine,“ sagte er – das Mädchen empfand eine angenehme Bewegung; wie wohlklingend und tief war seine Stimme in den drei Jahren geworden! „Ihr müßtet doch wissen, wer ich bin und daß ich gestern Abend zurückgekehrt. Heute noch hätte ich Euch aufgesucht“ – er lächelte: „es ist hübsch von Euch, daß Ihr Euch hier sehen lasst.“

Mit feuerrothem Gesicht und zuletzt ordentlich ärgerlich vertheidigte sich Rosine gegen den Verdacht, als habe sie von Georg’s Anwesenheit etwas gewußt. „Hast ihn auch nicht erkannt und konntest Dir gar nicht denken, wer das wohl sei, als Du ihn da am Tische sitzen sahest,“ meinte der Alte und blinzelte seinem Sohne zu … „Schon gut, Rosinchen … komm, setz Dich hierher … trink uns einmal zu und laß Dir von dem Vetter, wie sichs gehört, zum Willkommen einen Kuß geben – denn daß er’s ist, magst Du mir glauben.“

Den Kuß, dessen Georg sich zunächst versicherte, ließ sich Jungfer Rosine nehmen – einen Kuß von frischen Lippen, die der Sache nicht ganz ungewohnt schienen, und bei dem er die Gestalt, die nun bald so völlig ihm zugehören sollte, auf einen Augenblick ohne sonderliche Bewegung umfaßt hielt – zum Niedersetzen aber war das Mädchen nicht zu bringen. „Wir haben Birnmus auf dem Feuer,“ sagte sie, „Ich habe die Magd beim Rühren gelassen –“.

„Und die könnte die Finger hineinstecken“, ergänzte der Bürgermeister trocken.

„– Und ich kam nur hinüber gelaufen um einen Hafen, den die Muhme unlängst von uns geliehen hat, denn es giebt heuer mehr Mus als wir dachten.“

„Den irdenen Hafen! Ei, Rosinchen, den habe ich Euch ja die vorige Woche zurückgeschickt, und Du selbst hast ihn der Lisbeth abgenommen!“ rief hier die Frau Bürgermeisterin, die bei den letzten Worten hereingekommen war. „Hast Dir dem Georg einmal angesehen? Nun?“ und sie stieß das Mädchen scherzhaft mit dem Ellenbogen in die Seite: „Das ist jetzt doch noch ein ganz ander Ding als vor drei Jahren, wie? Aber die Rosine hat sich auch heraus gemacht! Hättest Du sie denn wieder erkannt, Georg?“

Dabei sagten die Augen der Alten, wie sie zwischen den beiden jungen Leuten hin und her gingen, noch viel mehr als ihre Worte, doch schien Rosine dadurch nicht besonders in Verlegenheit gesetzt zu werden. Als Georg lächelnd erwiderte: „Gewiß, denn so schön das Bäschen geworden ist, so hat sie doch nur gehalten, was sie versprach,“ da streifte sie ihn, von den Alten unbemerkt, mit einem wunderlich dreisten Blicke. Dafür aber schlug sie jetzt beim Abschied die Augen gar nicht noch einmal auf, sondern hatte sich, ehe man sichs versah, hinter der Bürgermeisterin zur Thür hinaus gedrückt.

Diese blieb, die Hand auf der Klinke, noch stehen und deutete mit einem Kopfnicken hinter der Verschwundenen her. „Wie sich das zierte!“ sagte sie. „Aber so machen sie’s alle. Bist Du einmal mit ihr selbander, so wirst Du ihr schon die Zunge lösen. Denn reden kann die Rosine, trotz Einer … und das ist gut … man hat es wahrlich nöthig bei dem trägen Gesind! Ich bin jetzt schon hinter den Dirnen draußen her … wir müssen Lebküchlein backen und Gewürzwein ansetzen … nächsten Sonntag ist der Vetter Külwetter mit Frau und Tochter bei uns zu Gaste … und mir schwant, wir werden bald noch größere Gastereien im Hause haben … da muß man sich bei Zeiten vorsehen, daß es an nichts fehle.“

„Schon gut, schon gut,“ fiel der alte Herr mit einer gelind abwehrenden Handbewegung ein, worauf die Mutter, dem Sohne noch einmal bedeutungsvoll zunickend, sich entfernte.

„Sobald nur etwas wie eine Freierei von fern im Anzug ist, sind die Weiber rein aus dem Häuschen,“ sagte der Doktor, wie unzufrieden mit der Unterbrechung, welche das Gespräch erlitten hatte. Georg sah den Vater forschend an. Er selber hatte noch nicht anders gedacht, als daß Hochzeit und Ehestand seiner Heimkehr in die Vaterstadt folgen müßten, als eine Art von nothwendigem Uebel, gegen welches jeder Versuch der Abwehr thöricht sein würde, während in der angenehmen Person der Braut wie in ihrer ansehnlichen Mitgift das Schicksal gewissermaßen legitime Linderungsmittel der auferlegten Plage bot. Daß der Vater besonders seine baldige feste, bürgerliche Niederlassung wünsche, hatte Georg ohne Weiteres angenommen. Jetzt fühlte er sich mit einem Male merklich erleichtert, da ihm schien, als ob es der alte Herr damit nicht allzu eilig habe.

Hans Veit, Georg’s Studien- und Reisegenosse, pflegte nunmehr häufig im Bürgermeisterhause vorzusprechen. Er war der Sohn eines verstorbenen Rathsverwandten, nicht wohlhabend, aber mit guten Bürgerhäusern verschwägert und dazu als gesetzt und fleißig bekannt, so daß ihm eine auskömmliche Stelle im Dienste der Stadt gewiß war. Die Bürgermeisterin, die früher dem Sohne der Wittwe ein wenig die Gönnermiene gezeigt hatte, begegnete ihm jetzt mit einem Theile des Respektes wenigstens, welchen sie dem gelehrten Stande ihres Sohnes zollte. Hans war ein trockner, bedächtiger Geselle, wie man schon daraus sieht, daß er ohne irgend welche Abrede mit Georg des Vorfalls auf der Wiese vor dem Stadtthore im Bürgermeisterhause mit keiner Silbe erwähnte.

Georg war seit einer Woche etwa wieder im elterlichen Hause, als er eines Abends, da es schon stark dämmerte, in einen langen Mantel gehüllt, den Weg nach den Wiesen nahm, welche die Weberniederlassung begrenzten. Es war nicht das erste Mal, daß er hierher zurückkam; ohne Weiteres hatte er sich gleich anfangs der Neigung überlassen, mit dem beherzten Mädchen aus dem Weberdorfe nähere Bekanntschaft zu machen. Als ihm dies bei wiederholten Versuchen nicht glücken wollte, wurde er eifriger. Es war eine angenehme Beschäftigung, sich Tags über trotz allem, was um ihn vorgehen mochte, ihr Bild, das auf ihn einen eigenen leisen Reiz ausübte, zu vergegenwärtigen. Und gerade wenn er mit Rosinen zusammen war, trat dies andere Bild deutlicher hervor. Wenn Jungfer Rosine, sich etwas in den derben Hüften wiegend, an ihm her durch das Zimmer ging und schon in der Art, wie sie sich trug, das Bewußtsein, daß sie gefallen müsse, merken ließ, so sah er neben ihren tüchtigen breiten Schultern den schlanken Rücken und feinen Hals des fremden Mädchens. Diese Formen hatten sich ihm so eingeprägt, daß der Wunsch, sie wiederzusehen, zuletzt den Mittelpunkt seiner Gedanken bildete.

Drei-, viermal war er schon vergebens gegangen, und jeder Tag getäuschter Hoffnung stachelte das Verlangen, sodaß es ihn heute wie ein heftiger freudiger Schreck durchfuhr, als er, dem Bache sich nähernd, auf der anderen Seite desselben eben eine Gestalt vom Schöpfen sich aufrichten sah, die, ihrer Höhe nach, keiner andern als der Gesuchten angehören konnte.

Ob sie ihn gesehen habe oder nicht, konnte er nicht wahrnehmen; sie hob ihr Wassergefäß in die Höhe und entfernte sich ohne Zögern. Er war im Nu über den Steg und folgte ihr über den Wiesenboden, wo sie ihn nicht hören konnte, und da nicht viel fehlte, daß sie ihm auch diesmal entkommen wäre, war dies endliche Zusammentreffen ganz anderer Art, als er es sich wohl ausgedacht hatte.

Er beugte sich neben ihr vor und legte plötzlich die Hand auf ihren Arm. Das Mädchen stand still, anscheinend ohne zu

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