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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

allerhand Ingredienzen einen Stoff fabriciren, der echtes Bier sein soll und im Grunde das pure Rattengift ist. Dasselbe wird noch immer in den meisten Cafés ausgeschenkt, wo man den „Bock“, das heißt ein Viertel- oder Fünftelliter – manche geben gar nur ein Sechstel – mit 24 Pfennig bezahlt.

Bei solcher Lage der Dinge ist denn auch der Nutzen ein ganz – kolossaler, während er in den wenigen Bierhallen, die unser Bier ungetauft verkaufen, ein geringer ist.

Da diese Verhältnisse aller Voraussicht nach sobald keine Aenderung erfahren werden, liegt natürlich der Zeitpunkt, wo auch die weniger bemittelten Klassen ihrer Neigung zum Biere nachgeben können, in weiter Ferne. Dafür aber schreien die Pariser Chauvinisten, die gar nicht laut genug auf das deutsche Bier schimpfen können – und beiläufig am lautesten, wenn sie recht viel davon getrunken haben – daß man in der Nähe von Paris Brauereien baue und dort das „Spatenbräu“ herstelle. Ja, sie sind vielleicht damit einverstanden, daß das Bier das Nationalgetränk werde. Aber beileibe nicht das deutsche Bier.

Die Herren haben ja in gewisser Hinsicht ganz Recht; denn es wäre zu drollig, wenn sie dereinst, eine deutsche Flasche Bier schwingend, uns entgegensängen ihr: „Allons, enfants de la patrie“ etc. Nein, lassen wir ihnen ihre Klagen über den überschwemmenden Import unseres Bieres, die ja ohnehin auch in der stark schutzzöllnerischen Gesinnung der Franzosen eine Erklärung finden. Die Frage ist aber dabei nur die, ob es wirklich möglich sein wird, mir nichts dir nichts Münchener Bier, oder überhaupt die besten Sorten deutscher Biere vor den Thoren von Paris zu brauen und noch dazu für den von den chauvinistischen Rathgebern gefälligst festgesetzten Preis von 30 bis 40 Pfennig das Liter im Verkauf.

Ich für meine Person habe meine guten Gründe eine derartige wohlfeile Herstellung zu bezweifeln. Und was ferner die Qualität Pariser Festungsmauerbieres anbetrifft, so ist es allerdings selbstverständlich, daß dasselbe unserm besten deutschen Biere mindestens gleich kommen würde. Das heutige Frankreich hat ja die besten Soldaten, die besten Universitäten, die besten Gerichtshöfe, die beste Regierung, die besten Sitten; weßhalb sollte es nicht auch das beste Bier haben können? So lange das letztere aber noch nicht der Fall ist, wird man wohl oder übel dulden müssen, daß das deutsche Bier zumal in Paris immer breiteren Boden sich erobert. Und hierzu trägt namentlich das Bemühen bei, die Pariser Bierwirthschaften so behaglich wie möglich einzurichten.

Sieht man sich beispielsweise die Ende der sechsziger Jahre gegründeten Dreher’schen Lokale an und vergleicht sie mit den seit einigen Jahren eingerichteten, so tritt der Fortschritt, den diese letzteren zur Bequemlichkeit, Behaglichkeit, ja, zur deutschen Gemüthlichkeit machten, überraschend zu Tage. Seit zwei Jahren hat man hier sogar einige wahrhaft glänzend ausgestattete Bierlokale, die zwar einen französischen Namen tragen, aber in ihrer ganzen Einrichtung – altdeutsch sind. Glasmalereien, Deckgetäfel, geschnitzte Stühle und Eichentische, mit einem Worte: alles – „stilvoll“! Sehenswerth in dieser Hinsicht ist die außerordentlich starkbesuchte „Taverne Montmartre“, die freilich der französischen Industrie damit ein recht kostspieliges Zugeständniß gemacht hat, daß sie ihre Wände mit den prächtigsten Gobelins schmückte. Sonst aber ist die Einrichtung auch hier deutscher Herkunft. Es fehlt weder an Glasmalereien noch an prächtigen Humpen, weder an einem schwelgenden Gambrinus, noch an einer springenden Schützenliesl. Diese letztere ist von einem französischen Maler frei nach Kaulbach bearbeitet und bedenklich ins Gretchenhafte gerückt, dafür aber auch mit seinem Namen geschmückt worden. Tritt man ein, so leuchtet Einem auf einem Schild in rother Schrift auf weißem Grunde der Name des Wirthes entgegen:

Diplome d’honneur.
F. Pousset, dépositaire français.
Bière de Munich
„Spatenbrau“

Solch ein französischer Name versöhnt schließlich auch die widerstrebenden Deutschenfeinde. Darum sind die Pariser Verleger deutscher Biere fast durchweg Franzosen.

In dieser eben genannten „Taverne Montmartre“ kann man recht beobachten – ich muß gestehen, daß ich dies täglich thue – wie sehr den Parisern unser Bier ein Bedürfniß geworden ist. Schon Morgens um neun, zehn Uhr findet sich da eine gar erkleckliche Zahl Gäste zum Frühschoppen ein; von Mittags an bis spät in die Nacht ist das Kommen und Gehen ein beständiges. Da ich in der Regel in der hübschen Ecke rechts vom Ausschank sitze, kann ich auch versichern, daß der Straßenverkauf nicht abreißt. Die liebste Beobachtung ist mir aber die, wenn ich Monsieur und Madame Prud’homme ankommen, ihre etlichen Halbe trinken und ein Spielchen machen sehe. Denn eine Pariserin, die mit ihrem Gatten – manchmal ist der männliche Begleiter es allerdings auch nicht – neudeutsches Bier trinkt in altdeutsch ausgestattetem Lokal, ja, die ist einfach ein Stück Kulturgeschichte, an welcher der Psychologe Frankreichs Zukunft studiren kann. Und diese Sorte Pariser ist gar nicht selten. Ich sehe zuweilen einige, die Pikett und Whist spielen, wie deutsche Studenten ihren Skat. Freilich, zu Hochachtungsschlucken haben sie es noch nicht gebracht und Salamander reibt man auch noch nicht, und ebenso wenig wie das Wort Bierjunge habe ich hier das Wort Biermädchen gehört. An diesen letzteren leidet aber Paris durchaus keinen Mangel. Im Gegentheil! Es giebt hier nämlich ungefähr 200 Bierwirthschaften mit sogenannter Damenbedienung. Je freundlicher aber diese Damen sind, desto unfreundlicher ist das Bier, das sie verzapfen.

Mit besonderer Vorliebe ißt man auch, namentlich in den besseren Bierwirthschaften, die sich im Hinblick auf die weniger feinen Brasseries selbstgefällig Taverne nennen, die deutsche Brezel; sprich: „Bretsäl“. Noch lieber aber Sauerkraut mit Frankfurter Wurst. Es giebt gar wenige Bierlokale, die auf einem besonderen Schilde nicht verkündeten, daß Choucroute zu haben ist. Man hält es eben einfach für unmöglich, deutsches Bier vom deutschen Sauerkraut zu trennen. Daher nennt man uns denn, wenn man uns ärgern möchte, mit seligstem Behagen die Sauerkrautnation.

Ganz abgesehen davon, daß wir den Franzosen solch zarten Scherz von Herzen gönnen dürfen, ist übrigens zu konstatiren, daß wenigstens die Pariser ungleich leidenschaftlichere Sauerkrautvertilger sind als die in Paris lebenden Deutschen. Aber Sauerkraut hin und Choucroute her: wenn es nur schmeckt.

Besonders erwähnenswerth ist übrigens auch die Thatsache, daß bis zu den äußern Boulevards hinauf jedes Stadtviertel eine wirklich gute Bierquelle hat. Oben an der „Place Pigalle“ und drüben im „Faubourg St. Germain“ habe ich eben so vortrefflichen Stoff gefunden wie in der „Taverne Montmatre“. Weit draußen am Bastillenplatz kann man seinen Durst ebenso vergnügt, wenn auch am Ende nicht so behaglich stillen, wie am Opernplatze.

Mit einem Wort, neben dem schlechten, künstlichen oder doch verschnittenen Biere giebt’s in allen Stadtgegenden auch gutes, echtes, das beste deutsche Bier, sei es Kulmbacher oder Münchener, Dortmunder oder Nürnberger, Pilsener oder Schwechater etc. Ich möchte fast sagen, jedes Viertel habe seine Bierforts. Und diese bilden jedenfalls zu den anderen Forts, mit denen sich die Riesendame Lutetia von Neuem umgürtet hat, einen gar reizvollen und beredten Gegensatz.

Paris. Arthur Mennell.     


Wandelungen in der Sprache.[1]

In der Natur giebt es keinerlei Stillstand. Alles ist in steter Weiterentwickelung begriffen, Alles eilt, nachdem es geworden, unter stetigen Veränderungen seiner Gestalt unaufhaltsam wieder seinem Ende entgegen. So ist es mit der Pflanze, die anders uns anschaut, wenn sie eben mit dem Köpfchen trotzig und ungeduldig die harte, beengende Decke der Mutter Erde durchbrochen, anders, wenn sie in der Blüthe des Menschen Auge und Herz ergötzt, anders endlich, wenn sie in der Zeit der Frucht das altersschwere Haupt dem Boden zusenkt, dessen Beute sie in kurzer Frist zu werden bestimmt ist.

Nicht anders ist es mit den Worten unserer Sprache. Auch sie sind einst geworden und herausgewachsen aus dem fruchtbaren Boden der Menschenseele, haben verschiedene Phasen ihrer Entwickelung erlebt, und gar manches von ihnen, das noch in den letzten Jahrhunderten ein freilich schon abgelebtes und nur wenig beachtetes Dasein fristete, ist nun dem

  1. Vergl. Nr. 20 vorigen Jahrgangs.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_186.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2024)