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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Natur wie die ihre. Für manches hatte die große Liebe zu ihrem Vater, die trauliche, nach ihrem Anordnen geregelte Haushaltung, aber auch eine gewisse herrschende Stellung, die sie unter den übrigen Mädchen der Gemeinde einnahm, sie entschädigt. Auch in den Stand der Ehefrauen einzutreten hatte es ihr nicht an Gelegenheit gefehlt. Einer der wohlhabendsten und angesehensten „Nachbarn“, wie sie sich alle nannten, Jeremias Delft, hatte um ihre Hand angehalten, nicht ein, sondern viele Male. Sie hatte erwidert, sie wünsche, noch ledig und beim Vater zu bleiben, der ihr darin nicht entgegen war, worauf der lange und trockne Jeremias immer von Zeit zu Zeit sein Anliegen erneuerte, da er nicht mit Unrecht annahm, ein solcher Wunsch könne bei ihr im Lauf der Zeit sehr wohl einem andern den Platz räumen.

So war die Zeit vergangen bis vor wenigen Wochen. In diesen Wochen aber hatte Hilde etwas Neues erlebt, etwas, das sie allemal unruhig aufsehen ließ, sobald ein Schatten das Fenster kreuzte, und seufzen, wie sie jetzt eben that, wenn draußen die Schritte des Vorübergehenden nach und nach verhallten. Es war ihr zu Muthe, als ob sie etwas erwarte, was aber, wußte sie nicht. Und besonders, seit sie neulich gerade denjenigen an den sie fortwährend denken mußte, so kurz und spröde abgewiesen hatte, als er sie in der Dämmerung ansprach. Das aber lag in ihrer Natur, und sie vermochte sich nicht zu ändern. Sie hatte eine Art von hungriger Sehnsucht nach dem Tone seiner Stimme. Wenn er aber wieder hinter dem Hause in der Dämmerung an sie herangeschlichen wäre wie ein Dieb, oder wenn sie ihn dort nur von ferne gesehen hätte und seine Absicht erkannt, sich ihr heimlich zu nähern, so würde sie sich ihm wieder entzogen und ihn herb zurückgewiesen haben. Etwas in ihr verlangte, daß er nicht, als ob er sich fürchte oder schäme, ihr begegnen sollte. Das kann aber nie geschehen, sagte eine Stimme in ihr, wahrscheinlich die des Verstandes. Es ist jetzt alles aus, Du wirft ihn nie wieder zu Dir reden hören. Und deßhalb seufzte Hilde.

„Wer seid Ihr, Herr, und was begehret Ihr von mir?“

Derjenige, welcher eben am Fenster vorübergegangen war, mußte aber doch den Weg nicht weiter verfolgt, sondern dies Haus zum Ziele gehabt haben. Die Hausthür ging und auf den Flur fiel ein Schritt. Das Herz des Mädchens klopfte, eine wilde Hoffnung des Unwahrscheinlichen, ja Unmöglichen bemächtigte sich ihrer. Der alte Lukas hatte über dem Geräusch des Webstuhles nichts gehört. Er blickte jetzt zufällig in die Höhe und sah, wie seine Tochter sich langsann erhob, die Augen mit einem so sonderbaren Ausdruck nach der Thür gerichtet, daß er fast erschrocken sich nun auch hastig umwendete. Denn der Alte war in seinem langen Leben an Anfechtung gewöhnt. Mehr als einmal, während er in einem seinem Glauben feindlichen Lande lebte, hatten die Vorboten von Gefahr und Noth in mancherlei Gestalt seine Schwelle überschritten und die Erinnerung daran ließ ihn auch jetzt Aehnliches fürchten.

Der nächste Augenblick zeigte ihm seinen Irrthum und führte ihn in die Gegenwart zurück. Ein gut gekleideter Fremder stand in der Stube, ein junger Mann, dem die Natur ihren Empfehlungsbrief deutlich lesbar in seiner Person mitgegeben hatte. Er fragte mit höflichem Gruße nach dem Meister Lukas Vanderport, worauf der alte Mann den Webstuhl verließ und ihm in seiner freundlich würdigen Art entgegentrat.

Georg, denn dieser war es, schaute in flüchtiger Ueberraschung von der Tochter zum Vater und wieder zu jener, denn der greise Weber war von schmächtiger Gestalt und stand gebückt, und seine Tochter mit ihrer prächtigen Höhe und Haltung schien einem ganz anderen Menschenschlage anzugehören. Ein zweiter Blick aber in das scharfe, feine Gesicht des Alten zeigte ihm eine Aehnlichkeit, und zudem in Antlitz und Wesen des Vaters dasselbe, was ihn neulich genöthigt hatte, Hilden so ganz anders, als er anfänglich gedacht hatte, zu begegnen. Als Meister Lukas jetzt mit der Einfachheit, die an den ersten Christengemeinden geherrscht haben mag, seinen Besucher fragte: „Wer seid Ihr, Herr, und was begehret Ihr von mir?“ da trat Hilde vor, denn es schien ihr wie eine Art Lüge, wenn sie den Vater beim Glauben ließe, sie kenne den Gast nicht. „Es ist Herr Georg Tiedemars, der Sohn des Herrn Bürgermeisters, Vater,“ sagte sie.

Meister Lukas sah seine Tochter fragend an, bis ihm einfallen mochte, was er kürzlich von dem Ritt durch seinen Garten und dem darauf folgenden Abenteuer erzählen gehört hatte – denn wie hätte in der kleinen Gemeinde dergleichen unerörtert bleiben können! Er lächelte gutmüthig und bat Georg, sich zu setzen. Hilde rückte ihm einen Stuhl, wandte sich aber dann rasch ab, halb unwillig über den flammenden Blick in ihre Augen, mit dem der Gast den Dank für die kleine Höflichkeit begleitet hatte.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_200.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2020)