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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Der Schlimmste seines Gleichen.

Ein Mahnwort an die Pilzsammler. Von Paul Kummer.

Auch in der harmlosen Pflanzenwelt giebt es Verbrechergestalten, welche durch ihre äußere Erscheinung über ihren inneren Charakter Unvorsichtige zu täuschen wissen und mit ihrer unheilvollen Wirkung dem Verführten Verderben bereiten, ja nicht selten den Tod bringen.

Dazu gehören auf unserm deutschen Boden besonders die giftigen Pilze, deren manche schon durch ihr ganzes Aeußere sowie durch ihren Aufenthalt an schattigen Waldstätten auf Moder- und Verwesungsstoffen ihr wahres Naturell in symbolischer Weise verrathen.

Welche entsetzliche Wirkung der Genuß mancher Pilze nach sich zieht, hat die Erfahrung des Volkes schon durch die Namen einiger Giftlinge angedeutet; gang und gäbe sind für solche etwa die Namen Satanspilz, Speiteufel, Teufling, Hexenpilz, Mordschwamm etc. Einige unter diesen Waldkindern sind wohl mit Unrecht in den schlimmen Verdacht gerathen, es giebt aber noch andere, die sehr wenig bekannt sind, sodaß für dieselben kaum ein volksthümlicher Name vorhanden ist, obwohl sie durch ihre giftige Wirkung oft das größte Unheil gestiftet haben.

Der gefährlichste unter diesen unbekannten Feinden ist die Amanita bulbosa (auch A. phalloides genannt), deutsch der Knollenpilz oder Gichtblätterpilz. Da er zur Gattung der Fliegenpilze gehört, obgleich er weder in Farbe, noch in Größe, noch in auffälliger Tracht dem bekannten rothen Fliegenpilze gleicht, will ich ihn, auch um der Abschreckung willen, den weißen Fliegenpilz heißen. Unter diesem Namen mögen ihn die folgenden Zeilen an den Pranger stellen und seiner gefährlichen Verbrechernatur gründlich überführen.

Der weiße Fliegenpilz (Amanita bulbosa).

Er wohnt keineswegs an verdächtigen Orten, treibt sich nicht etwa an dumpfigen, modrigen Stätten umher, sondern hat sich stets den lichten frohen Wald, besonders den moosgrundigen, blumenreichen Laubwald ausgewählt. Da hält er sich zur schönen Sommerszeit auf bis spät in die Herbsttage, und zwar in Gesellschaft solidester anderer Pilze. Denn in seiner Nähe wächst auf demselben Waldgrund der edle Steinpilz, der allbekannte und beliebte goldgelbe Pfifferling, und mancher andere harmlose Pilzflor ersteht um ihn her, obgleich allerdings auch der rothe Fliegenpilz als sein nächster Verwandter sich auf denselben Plätzen stolz erhebt und mit schönheitlicher Verachtung auf den geringen und meist völlig in Weiß gekleideten Bruder herabsieht. Ja, so schwarz dessen Wesen ist, so weiß ist seine äußere Tracht: weiß ist der etwa fingerhohe und -dicke Stiel, weiß auch die denselben gar zierlich umgürtende Manchette, weiß sind die Fruchtblätter auf der Hutunterseite; nur sein Hut selbst kommt nicht blos in seidigem Weiß, mit weißlich warzigen Schuppen, Warzen oder Hautfasern besetzt vor, sondern wir finden ihn oft auch citrongelblich oder grünlichgelb, selten etwas gebräunt. Seine Verwandtschaft mit dem rothen Fliegenpilze verdankt er aber nicht nur der erwähnten Manchette am Stiele und den verwischbaren Warzen, welche den Hut garniren, sondern auch und vornehmlich der dicken knolligen, häutig umlappten Basis seines Stieles. Wer diese Merkmale genau beachtet, wird ihn nie wieder verkennen, ihn vor Allem mit keinem eßbaren verwechseln können. Unsere Abbildungen veranschaulichen uns die einzelnen Entwickelungsstadien des weißen Fliegenpilzes: in Fig. l. sehen wir das erste Hervorbrechen desselben; in Fig. 2 sind Hut und Manchette noch nicht völlig entwickelt, während wir in Fig. 3 den reifen Pilz vor uns haben.

Fragen wir aber, mit welchen andern er wohl von Unkundigen verwechselt werden könnte und gar oft schon verwechselt ist, so läßt die Antwort darauf seine besondere Gefährlichkeit für den harmlosen Pilzsucher erkennen. Den was ihn so gefährlich macht und leider nur zu oft schon die traurigsten Unglücksfälle veranlaßt hat, ist der Umstand, daß er dem gepriesenen und vielgesuchten Champignon nicht unähnlich ist; denn auch dieser hat eine Manchette am Stiel und einen weißen Hut und ist von etwa gleicher Größe. Der weiße Fliegenpilz unterscheidet sich vom Champignon allerdings schon dadurch, daß dieser einen angenehmen Geruch hat; auch das dicke Hutfleisch und der meist nackte, oder mit festgewachsenen Schuppen bekleidete Hut zeichnet den Champignon aus; vor Allem aber sind die Blätter seiner Hutunterseite nicht dauernd weiß, wie beim weißen Fliegenpilz, sondern rosenröthlich, bis sie später kaffeebraun und braunschwarz werden. Diese Blätterfarbe tritt beim Champignon aber erst auf, wenn der Hut sich zu entfalten beginnt; ist derselbe noch jugendlich geschlossen – und dann ist der Champignon bekanntlich am delikatesten und wird am liebsten gepflückt – so sind die Blätter noch weißlich. In solchem Falle kann uns oft nur eine nähere Prüfung des Geruches und der Stielbasis lehren, ob wir es wirklich mit dem Champignon zu thun haben. Die Aehnlichkeit beider ist dann für den Unkundigen so groß, daß vor Allem im Walde Niemand Champignons sammeln sollte, der den weißen Fliegenpilz nicht ganz genau kennt. Ich sage ausdrücklich im Walde; denn die Heimstätte des weißen Fliegenpilzes ist stets der Wald, während der echte Champignon höchstens einmal am Waldwege vorkommt, wo von dem Fuhrwerksverkehr Pferdemist angeweht ist, der seine wesentliche Lebensbedingung bildet, sonst aber nur auf Wiesen, Triften, an Feldrinnen, überhaupt nur auf freien Plätzen zu finden ist. Eine Abart des Champignon, der Waldchampignon, kommt zwar gerade im Walde vor, ist aber weniger delikat, und der Unkundige möge diesen lieber meiden, um seinem Grundsatze treu zu bleiben, im Walde niemals Champignons zu sammeln.

Der Genuß des weißen Fliegenpilzes ist namentlich wegen der langsamen, schleichenden Wirkung auf unsern Organismus gefährlich. Die Betrogenen werden zu spät auf die Gefahr aufmerksam und sind somit dann aller Mittel und Wege beraubt, den genossenen Giftstoff wieder unschädlich zu machen. In der That merkt man bei keinem einzigen anderen giftigen Pilze erst so spät nach dem Genusse, daß man ein verderbliches Gericht gegessen habe. Bei dem rothen Fliegenpilze z. B. treten die ersten Symptome der Vergiftung schon in etwa einer halben bis einer Stunde auf, sodaß man sehr bald wirksame Mittel anwenden kann; auch ist dieser insofern weniger gefährlich, als sein Genuß zuweilen von selber Erbrechen hervorruft, ehe die Verdauung stattgefunden hat. Eine Vergiftung durch den weißen Fliegenpilz hingegen spürt man erst, wenn es nicht mehr möglich ist, noch etwas zur Rettung zu thun – und darum eben ist er der gefährlichste aller Pilze!

Durch Vergleichung der sehr vielen durch ihn vorgekommenen Vergiftungsfälle ergiebt sich, daß stets erst mehrere Stunden nach dem Genusse, zumeist in 8 bis 10 Stunden, ja in einigen Fällen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_219.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2024)