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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Die Frau mit den Karfunkelsteinen.

Roman von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

Der alte Maler war bei den letzten Worten aufgestanden, hatte zärtlich den Arm um seine Frau geschlungen und sie sanft in die Sofa-Ecke zurückgedrückt.

„So – das Stehen macht Dir Schmerz, lieber Schatz. Und Du mußt auch Deinen Alten nicht so ängstigen mit der Erregtheit, die Dir allemal schadet! … Ja, wissen Sie, Fräulein, solch ein Frauenherz ist ein Wunder an Liebeskraft und Liebesfähigkeit,“ sagte er, seinen Platz wieder einnehmend, zu Margarete. „Man meint, mit der Hingebung und Aufopferung für die Kinder müsse es erschöpft sein, und da kommen die Enkel, und das Großmutterle ist wieder dieselbe Löwin, die sie in der Jugendkraft gewesen.“

Margarete dachte mit Bitterkeit an die alte Dame im oberen Stock des Vorderhauses, für welche Kinder und Kindeskinder nur Stufen waren, auf denen sie emporsteigen wollte.

„Sehen Sie, da an den warmen Ofenkacheln lehnen die Hausschuhe, und in der Ofenröhre steht heißes Warmbier für unseren kleinen Kurrendschüler,“ fuhr er fort. „Und wenn er heimkommt, da strahlt er allemal vor Freude; denn seiner Meinung nach hat er jetzt einen mächtigen Wirkungskreis – er sorgt für seine Großeltern.“

Der alte Mann lächelte, und dabei wischte er sich unter der Brille eine Thräne der Rührung fort.

„Ja, es kamen ein paar fatale, ein paar schlimme Tage für uns, nachdem der junge Herr mir aufgesagt hatte,“ hob er wieder an. „Wir hatten die Schneider- und Schuhrechnung für Max bezahlt und unseren Kohlenvorrath angeschafft, und eine Summe, auf die wir stets pünktlich rechnen konnten, war plötzlich weggefallen; da kam ein Abend, an welchem wir vor der leeren Kasse standen und nicht wußten, wovon wir am anderen Tag auch nur eine Suppe kochen sollten … Ich wollte gehen und ein Paar von unseren Silberlöffeln verkaufen; aber das Frauchen da“ – er zeigte mit zärtlichem Blick auf seine Frau – „kam mir zuvor. Sie nahm Stickereien und Strickereien, die sie mit ihren geschickten Händen in Mußestunden gearbeitet hatte, aus der Kommode und ging – so sauer ihr auch das Gehen wird – mit Max in die Kaufläden, und da brachte sie nicht nur Geld, sondern auch viel Bestellungen mit heim … Nun lasse ich alter Kerl mich von der Hand ernähren, an die ich einst den Verlobungsring gesteckt hatte, in der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß mein Mädchen das Leben einer Prinzessin an meiner Seite haben solle. Ja, sehen Sie, das ist nun Künstlerleben und Künstlerhoffen!“

„Ernst!“ unterbrach ihn Frau Lenz und drohte mit dem Finger. „Willst Du wirklich Fräulein Lamprecht weismachen, ich sei so Eine gewesen, die sich ein Schlaraffenleben bei Dir erträumt hätte? … Nein, Fräulein, er fabelt, der alte Künstlerkopf! Zum Faulenzen habe ich nie Talent gehabt, dazu bin ich immer zu rasch gewesen. Schaffen und Helfen, das war stets mein Lebenselement, und die Ader hat auch Max von mir. ‚Großmama,‘ sagte er auf dem Nachhauseweg, ‚morgen gehe ich unter die Kurrendschüler. Der Herr Kantor hat zu mir gesagt, solch einen kleinen Jungen mit meiner Stimme könnte er brauchen für seinen Chor, und die Jungens bekommen ganze Taschen voll Geld –‘“

„Wir suchten ihm die Idee auszureden,“ fiel Herr Lenz ein; „aber er ließ nicht nach; er bat und weinte und schmeichelte, und da gab meine Frau endlich den Ausschlag und erlaubte es –“

„Aber nicht um des Erwerbes willen!“ unterbrach sie ihn fast heftig protestirend. „Denken Sie das um Gottes willen nicht! Die paar Groschen liegen unberührt im Kasten; sie sollen als ein Denkzeichen an die Zeit aufbewahrt werden, wo das bittere ‚Muß‘ dem Kinde den Gedanken eingegeben hat, ums liebe Brot vor dem Hause zu singen, das –“

„Häunchen !“ mahnte der alte Mann mit großem Ernst und Nachdruck.

Sie preßte die Lippen auf einander und sah mit seltsam loderndem, beredtem Blick durch das gegenüberliegende Fenster in die froststarrende Luft hinein. Es lag etwas Rachedürstendes in ihrem ganzen Wesen.

„Das Kind ist schlecht genug behandelt worden in dem großen, stolzen Hause, seit es die deutsche Heimath betreten hat,“ sagte sie mit noch weggewandtem Blick, grollend, wie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Der Kies im Hofe war zu vornehm für seine Sohlen, und der Gartentisch unter den Linden wurde entweiht durch seine Bücher, seine schreibenden Händchen. Und von dem Sarge droben im großen Saal sollte er weggescheucht werden, wie –“ sie brach ab und legte die Hand über die Augen.

„Mein Bruder ist krank und deßhalb keines Menschen Freund; mit ihm dürfen Sie nicht so streng ins Gericht gehen, auch Andere müssen unter seiner Schroffheit leiden,“ tröstete Margarete sanft. „Dagegen weiß ich, daß mein Vater den kleinen Max sehr gern gehabt hat, wie alle in unserem Hause. Ich weiß, daß er für seine Zukunft hat Sorge tragen wollen, und aus dem Grunde bin ich gekommen … Es würde auch ihm gewiß, wie mir, ans Herz gegangen sein, das prächtige Kind draußen vor der Thür stehen zu sehen, und deßhalb möchte ich Sie bitten, dem kleinen Kurrendschüler die gegebene Erlaubniß von heute ab zu verweigern und mir die Freude zu gönnen –“ sie schob heißerröthend die Hand in die Tasche.

„Nein, kein Almosen!“ rief Frau Lenz fast wild und legte die Hand auf den Arm der jungen Dame. „Kein Almosen!“ wiederholte sie beruhigter, als Margarete die leere Hand aus der Tasche zog. „Ich fühle, Sie meinen es gut. Sie haben von kleinauf ein edles, braves Herz gehabt, Niemand weiß das besser als ich – Sie trifft kein Vorwurf! … Aber lassen Sie uns auch das bischen Stolz darauf, den über uns verhängten Schlag aus eigener Kraft parirt zu haben … Sehen Sie,“ – sie zeigte nach einer großen Korbwanne im Fensterbogen, die bis an den Rand mit bunter Stickerei gefüllt war, – „das ist lauter fertige Arbeit! Wir brauchen vorläufig nicht zu darben, und später wird Gott helfen! … Max soll nicht wieder auf der Straße singen, ich verspreche es Ihnen heilig und theuer! Er wird zwar jammern, aber er muß sich hineinfinden.“

Margarete nahm die Rechte der alten Frau in ihre Hände und drückte sie warm.

„Ich kann Sie verstehen und werde gewiß nicht wieder so plump ,mit der Thür ins Haus fallen‘,“ sagte sie mit einem flüchtigen Lächeln. „Sie werden mir dagegen gewiß erlauben, das Kind nach wie vor lieb zu haben und seinen Lebensgang im Auge zu behalten.“

„Wer weiß, Fräulein – die Verhältnisse wandeln oft ganz plötzlich die scheinbar festesten Ansichten – wer weiß, wie Sie nach vier Wochen darüber denken!“ erwiderte Frau Lenz mit schwerer Betonung.

„Nicht anders als heute auch, dafür möchte ich meinen alten Kopf verwetten!“ rief ihr Mann ganz enthusiastisch. „Ich habe das kleine Gretchen in seinem Thun und Wesen beobachtet, als es noch im Hofe spielte. Es gehört eine starke Geschwisterliebe und Aufopferungsfähigkeit dazu, immer wieder das geduldige Pferdchen eines verzogenen, kränklichen Bruders zu sein und sich widerstandslos schlagen und peinigen zu lassen. Ich habe ferner gesehen, wie das liebe, kleine Ding nach der Küche rannte und von der brummenden Bärbe für die Bettelkinder in dem Hausflur Butter auf die Brotstücken ertrotzte … Wollte ich alle die erlauschten Züge eines guten, wackeren Herzens aufzählen, ich würde nicht fertig. Und ich weiß, das Weltleben draußen hat von dem reichen Fonds nichts genommen – das hat der alte Lenz gleich in den ersten Tagen nach der Rückkehr an sich selbst erfahren.“

Margarete hatte sich währenddem erhoben – sie war ganz roth und verlegen.

„Nun, dann haben doch wenigstens ein Paar Augen die wilde Hummel nachsichtig beurtheilt,“ sagte sie lächelnd. „Aber Sie sollten nur die Censuren von damals sehen, sollten wissen, wie oft mir der Kopf gewaschen werden mußte meiner Frevelthaten wegen! Das ist freilich Geheimniß des Vorderhauses geblieben und konnte Ihre gütige Meinung nicht alteriren … Nur in dem einen Punkte gebe ich Ihnen Recht – ich habe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_222.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2024)