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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

die ganze Zeit getändelt, aus der Hand gleiten lassen? Er sprach auch nicht gleich, und sie blickte zu ihm auf. Wie schade, daß es schon zu dämmerig war um zu erkennen, welche harmlose Miene Rosinchen trug! „Seid Ihr mir böse, Georg?“ fragte sie leise, und ihm war, als kichere sie dabei. Es war ein Scherz von ihr gewesen, das tolle Geschwätz über die Fremden, kein sehr zarter und ganz besonders wenig nach seinem Geschmack. Aber die Gründe für den letzteren Umstand kannte Rosine glücklicher Weise nicht. „Böse?“ wiederholte Georg daher trocken. „Warum sollte ich Euch böse sein, mein hübsches Bäschen? Um solchen Unsinn wirklich zu glauben, seid Ihr viel zu klug. Uebrigens habe ich niemals mit den Weberleuten gegessen – und wenn Euch daran gelegen ist, zu wissen, ob sie ihren Kohl sauer oder süß kochen, so müßt Ihr Euch an jemand Anders wenden.“

„Wie unfreundlich Ihr sprecht!“ sagte Rosine leise, und diesmal war sie es, die wieder ein wenig näher rückte. „Was kann ich dafür, wenn sich Jedermann über die fremden Hungerleider, wie sie hier sagen, lustig macht. Die Mutter meint, man müßte sich ja vor den Nachbarn fürchten, sonst ließe sie auch einmal ein Stück dort unten weben, wenn es ihr die Leute billig arbeiteten. Aber der Weg wäre so weit. Da habe ich gesagt, den Weg machtet Ihr oft genug, sie möchte Euch doch bitten, einmal eine von den Dirnen hierher zu schicken, daß sie das Garn abholt. Nicht wahr, den Gefallen thätet Ihr uns schon, wenn Ihr wieder einmal vors Thor geht – in Geschäften?“ fügte sie auf eine Bewegung Georg’s langsamer hinzu.

Georg hatte sich, ihre Hand in der seinen haltend, zu ihr herumgewendet. (S. 236.)

„Was Du alles von unsern Geschäften weißt, Rosinchen,“ sagte Georg leichthin, aber nicht ohne ein eben aufsteigendes unbehagliches Gefühl des Argwohns. „Meine Bekanntschaft in der Weberniederlassung ist kleiner, als Du meinst. Ich kenne kein Mädchen dort, welches herum geht und die Kundschaft bedient.“

„Nun, die Lange, die Dir damals in den Graben zu Hilfe gesprungen ist,“ fuhr hier Rosine unvorsichtig mit einem harten Auflachen dazwischen. „Du glaubst nicht, wie gerne ich das Wunder einmal sähe, Georg! Sie soll ja den Weg nicht umsonst machen ... sie mag ein paar Ellen von den geflickten Borden mitbringen, über denen, wie man hört, die Weiber dort Jahr aus Jahr ein sitzen. Da kauft man ein Stück, wenn man es auch nicht nöthig hat, nur damit sie ein paar Batzen mit heim trägt.“

Rosine hatte der Versuchung nicht widerstehen können, ihrer Zunge freien Lauf zu lassen, doch kam sie für heute nicht ins Klare darüber, ob sie sich oder der Nebenbuhlerin mehr bei Georg geschadet hatte. „Ihr wendet Euch an den Unrechten, Bäschen,“ sagte Georg kalt. „Ich kann Eurer Neugierde nicht dienen – und wenn Eure Mutter die Brabanter in Arbeit setzen will, so wird ihr der Weg, fürcht’ ich, nicht zu ersparen sein. Aber es ist spät geworden ... erlaubt, daß ich Euch eine gute Nacht wünsche.“

Wer weiß, ob er sie heute geküßt hätte. Aber indem sich Beide fast zugleich erhoben, fuhr Rosine unter einem leichten Ausruf mit der Hand nach ihrem Auge. Georg’s breite Krause hatte sie gestreift. „Hab ich Euch weh gethan, Bäschen?“ fragte er, natürlich zärtlich besorgt, indem er sich über sie beugte. Rosine antwortete nicht, sondern hing den Kopf und hielt die Finger über das Auge. Georg mußte ihr mit sanfter Gewalt die Hand wegziehen, wobei er mit den Fingern die Wange streifte, die sich wirklich wie ein Rosenblatt anfühlte. Gesprochen wurde von Rosinen wohlweislich kein Wort weiter, und doch bekräftigten ihre frischen Lippen auf eine überzeugende Weise ihre Verzeihung.

Denn mit einem Kunstgriffe, der wesentlich in ihrer Natur lag, hatte es Rosine dahin gebracht, daß es schien, als habe sie etwas zu vergeben, während sie doch die Angreiferin gewesen war. Georg verließ sie besänftigt. Sie war ein kindisches, liebes Ding und plauderte nach, was sie hörte. Das garstige kleine Nest von einer Stadt mit seinem Geklatsch! Es überflog den jungen Menschen heiß bei dem Gedanken, daß sein Verhältniß zu dem Weberhause ruchbar werden und ihn dem Gespötte aussetzen könnte. Er beschloß, vorsichtiger zu sein als bisher, und ein paar Tage verstreichen zu lassen, ehe er Hilden wiederzusehen versuchte.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_237.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2024)