Seite:Die Gartenlaube (1885) 249.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Mit dem ersten Preis gekrönter Entwurf zum Reichsgerichtsgebäude in Leipzig von Ludwig Hoffmann in Darmstadt und Peter Dybwad in Berlin.

Das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig.

Nachdem festgestellt worden war, daß der Sitz des Reichsgerichtes in Leipzig verbleibt, wurde im September vorigen Jahres eine allgemeine Konkurrenz unter den deutschen Architekten zum Zwecke der Einreichung von Entwürfen ausgeschrieben, nach deren bestem ein eigenes Heim für den höchsten Gerichtshof des deutschen Reiches aus Reichsmitteln erbaut werden soll. Als Ablieferungstermin für diese Entwürfe war der 15. Februar bestimmt, als Hauptpreis 8000 Mark, daneben noch zwei zweite Preise von je 4000 Mark und zwei dritte Preise von je 2000 Mark ausgesetzt worden. Eingegangen waren nicht weniger als 119 Entwürfe, jeder wieder aus einer Reihe Einzelblätter bestehend. Das Preisgericht hatte daher unstreitig keine leichte Aufgabe, aus dieser Fülle von mehr oder minder schönen und zugleich dem praktischen Bedürfnisse entsprechenden Entwürfen die fünf besten auszuwählen. Den ersten Preis haben zwei junge Architekten, Ludwig Hoffmann in Darmstadt und Peter Dybwad in Berlin, je einen zweiten Preis H. Lender in Straßburg sowie Eisenlohr und Weigle in Stuttgart, je einen dritten Preis E. Giese und Weidner in Dresden sowie Vischer und Fueter in Basel davongetragen, während die übrigen 114 Mitbewerber leer ausgegangen sind, obwohl unter ihren Entwürfen manche recht beachtenswerthe Leistungen sich befanden.

Das Preisgericht hat mit Recht das Hauptgewicht eben auf das rein Praktische gelegt, ohne indeß dabei das Schöne aus dem Auge zu lassen. Die Ausführungskosten des ersten preisgekrönten Planes betragen 2 311 234 Mark, die der übrigen 4 obengenannten Entwürfe sind höher und steigen bis zu 4 700 000 Mark. Der erste Preis ist somit dem Entwurf zuerkannt worden, der zugleich auch der wohlfeilste war. Dieser Entwurf ist in edlem Renaissancestil gehalten, jede säulen- und thürmereiche Prachtarchitektur absichtlich vermieden. Das Aeußere soll eben auf den ersten Blick gleich das Geschäftshaus, jedoch von monumentalem Charakter zeigen, und der Eindruck, den es auf den Beschauer macht, ist ein durchaus günstiger. Die Außenfaçaden sind in Sandstein projektirt, die Vorderseite, welche in unserer Abbildung dem Leser vorgeführt wird, ist nach der Pleiße zu gerichtet. Im Untergeschoß des Gebäudes befinden sich die Wohnungen der Unterbeamten und die Heizungsanlagen. Den Mittelpunkt bildet die architektonisch auszuzeichnende Halle, die durch das an beiden Langseiten beleuchtete Hauptvestibül direkt betreten wird. In ihrer Hauptachse liegen im unteren Hauptgeschoß die Sitzungssäle für die Strafsenate, im oberen Hauptgeschoß einerseits, über denselben, die Civilsenats-Sitzungssäle, andererseits auf der Vorderseite, nach der Pleiße zu, der 240 Quadratmeter fassende große Sitzungssaal. Die kleinere südliche Seitenfront nimmt in beiden Hauptgeschossen die Präsidentenwohnung ein mit dem 195 Quadratmeter großen Festsaal im oberen Hauptgeschoß. Im Obergeschoß der entgegengesetzten nördlichen Seitenfront wird die auf 150 000 Bände berechnete Bibliothek untergebracht. Zwei große und acht kleinere Höfe trennen und verbinden doch auch wieder die verschiedenen Theile des ganzen Gebäudes, das in seiner Vollendung sicherlich eine Zierde der Stadt Leipzig werden wird.

Karl Siegen.




Unter der Ehrenpforte.
Von Sophie Junghans.
(Fortsetzung.)


Während der selbst auferlegten Pause seiner Besuche bei Hilde wußte Georg seine heimliche Ungeduld und sehnende Unruhe noch allenfalls zu zügeln – als aber, ähnlich wie schon einmal im Anfange zwischen dem ersten und zweiten Zusammentreffen mit Hilden, auch jetzt alle Versuche, sie zu sehen, ein verborgenes, ungestörtes Zusammensein mit ihr zu verabreden, fehlschlugen, als er merken mußte, daß von ihrer Seite nichts geschah, um ihm zu begegnen – da verbrachte Georg schlimme Tage. Kaum wußte er die innere Rastlosigkeit und die Gleichgültigkeit gegen alles, was die Stunden brachten, noch im Elternhause zu verbergen. Die Mutter sah ihm zuweilen verwundert zu, wenn er nach einem rasch und zerstreut eingenommenen Imbiß wieder auf fuhr, nach dem Barett griff und davon eilte. Sie trat dann ans Fenster, um zu sehen, ob er den Weg nach Külwetters Hause einschlage, und kopfschüttelnd mußte sie wahrnehmen, daß er daran gar nicht zu denken schien, sondern mit langen Schritten quer über den Marktplatz sich entfernte. Der Vater war gerade jetzt von wichtigen Geschäften überhäuft, es galt, bei der bevorstehenden fürstlichen Vermählung alte weitreichende Privilegien der Stadt aufrecht zu erhalten und aufs Neue zu sichern – da durfte sie ihm mit häuslichen Angelegenheiten nicht dreinreden, die Bürgermeisterin hätte sonst gewiß ihrem Herzen Luft gemacht und als beste Kur für ihres Sohnes wunderliche Gemüthsverfassung den festen „Verspruch“ und die baldige Hochzeit mit Külwetters Rosine vorgeschlagen, damit er wisse, woran er sei, und Ruhe bekäme. So aber mußten die eigenen häuslichen Angelegenheiten nothgedrungen warten, bis jene öffentlichen zu einem Abschluß gediehen waren, und die Bürgermeisterin wünschte von Herzen, daß der Einzug, das fürstliche Beilager und alle dazu gehörigen Festlichkeiten erst vorüber wären, damit man endlich ernstlich an die Hochzeit in der eigenen Familie denken könne.

Einmal, als Georg, erfüllt von Plänen, wie er Hilden wenigstens eine Botschaft zukommen lassen könnte, aus dem Hause trat, sah er in geringer Entfernung den alten Weber heran kommen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_249.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)