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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

feilschend. Da kam der Maler Lenz herein. Schwarz gekleidet vom Kopf bis zu den Füßen, trat er in einer Art von ängstlicher Hast auf die alte Dame zu; sein sonst so friedensvolles, freundliches Gesicht war ungewöhnlich ernst und trug die Spuren innerer Erregung.

Er fragte nach dem Landrath, und die Dame wies ihn kurz nach dessen Arbeitszimmer; aber sie musterte ihn doch prüfenden Blickes, bis er nach einem bescheidenen Anklopfen im Zimmer ihres Sohnes verschwunden war … Der Mann war sichtlich verstört, irgend eine schwere Last lag auf seiner Seele. Sie fertigte die Handelsfrau schleunigst ab und ging in ihr Zimmer. Sie hörte den Mann drüben sprechen; er sprach laut und ununterbrochen, und es klang, als erzähle er einen Vorgang … Der alte Maler war für sie bis auf den heutigen Tag eine abstoßende Persönlichkeit verblieben; sie konnte es ihm nicht vergessen, daß seine Tochter Blanka ihr einst schlaflose Nächte verursacht hatte … Was mochte er wollen? – Sollte der Landrath bei Reinhold ein gutes Wort einlegen, auf daß der Entlassene in Brot und Wohnung verbleiben dürfe? Das durfte nun und nimmer geschehen! –

Die Frau Amtsräthin war eine äußerst feinfühlige, eine hochgebildete Dame, das war männiglich bekannt. Wer behauptet hätte, ihr kleines Ohr unter dem feinen Spitzenhäubchen komme zu Zeiten in nahe Berührung mit der Zimmerthür ihres Sohnes, der wäre als böswilliger Verleumder gebrandmarkt worden. Nun stand sie aber in der That da, auf den Zehen und weit hinübergereckt und horchte, horchte, bis sie plötzlich wie von einem Schuß getroffen zurückfuhr und weiß bis in die Lippen wurde.

Im nächsten Augenblick hatte sie die Thür aufgerissen und stand im Zimmer ihres Sohnes.

„Wollen Sie die Gewogenheit haben, Lenz, das, was Sie soeben behaupteten, auch mir in das Gesicht hinein zu wiederholen?“ herrschte sie gebieterisch, aber sichtlich an allen Gliedern bebend, dem alten Manne zu – alle Sanftheit war wie weggeblasen von dieser schrillen Stimme.

„Gewiß will ich das, Frau Amtsräthin!“ antwortete Lenz sich verbeugend mit bescheidener Festigkeit. „Wort für Wort sollen Sie meine Erklärung noch einmal hören: der verstorbene Herr Kommerzienrath Lamprecht war mein Schwiegersohn – meine Tochter Blanka ist seine rechtlich angetraute Ehefrau gewesen –“

Die alte Dame brach in ein hysterisches Gelächter aus. „Lieber Mann, bis zum Fasching haben wir noch weit – sparen Sie Ihre unfeinen Späße bis dahin auf!“ rief sie mit zermalmendem Hohn und wandte ihm verächtlich den Rücken.

„Mama, ich muß Dich dringend bitten, in Dein Zimmer zurückzukehren!“ sprach der Landrath und reichte ihr den Arm, um sie hinwegzuführen – auch er war bleich wie ein Todter, und in seinen Zügen malte sich eine tiefe, innere Bewegung.

Sie wies ihn unwillig zurück. „Wäre es eine Amtsangelegenheit, um die es sich handelt, dann hättest Du Recht, mich aus Deinem Geschäftszimmer zu weisen; hier aber ist’s ein schlau eingefädeltes Bubenstück, das unsere Familie beschimpfen will –“

„Beschimpfen?“ wiederholte der alte Maler mit einer Stimme, die vor Entrüstung bebte. „Wäre meine Blanka das Kind eines Fälschers, eines Spitzbuben gewesen, dann müßte ich die schwere Beleidigung schweigend hinnehmen; so aber verwahre ich mich entschieden gegen jede derartige Bezeichnung. Ich selbst bin der Sohn eines höheren Regierungsbeamten geachteten Namens; meine Frau stammt aus einer vornehmen, wenn auch verarmten Familie, und wir Beide sind völlig unbescholten durchs Leben gegangen; nicht der geringste Makel haftet an unserem Namen, es sei denn der, daß ich mein Brot als akademisch ausgebildeter Künstler schließlich aus Mangel an Glück in der Fabrik habe suchen müssen … Aber es ist in den bürgerlichen Familien, die zu Reichthum gelangt sind, Mode geworden, auch von Mesalliance zu sprechen, wenn ein armes Mädchen hineinheirathet, und zu thun, als sei das Blut entwürdigt, wie der Adel den bürgerlichen Eindringlingen gegenüber behauptet. Und diesem völlig unmotivirten Vorurtheil hat sich leider auch der Verstorbene gebeugt und damit eine schwere Schuld gegen seinen zärtlich geliebten Sohn auf sich geladen –“

„O, bitte – ich wüßte nicht, daß der Kommerzienrath Lamprecht seinem einzigen Sohn, meinem Enkel Reinhold, gegenüber irgend eine Schuld auf dem Gewissen gehabt hätte!“ warf die Frau Amtsräthin höhnisch, mit verächtlichem Achselzucken ein.

„Ich spreche von Max Lamprecht, meinem Enkel –“

„Unverschämt!“ brauste die alte Dame auf.

Der Landrath trat auf sie zu und verbat sich ernstlich und entschieden jeden ferneren verletzenden Einwurf. Sie solle den Mann ausreden lassen – es werde und müsse sich ja herausstellen, in wie weit seine Ansprüche begründet seien.

Sie trat in das nächste Fenster und wandte den Beiden den Rücken zu. Und nun zog der alte Maler ein großes Briefkouvert hervor.

„Enthält das Papier die gerichtlich beglaubigten Dokumente über die gesetzliche Vollziehung der Ehe?“ fragte der Landrath rasch.

„Nein,“ antwortete Lenz; „es ist ein Brief meiner Tochter aus London, in welchem sie nur ihre Verehelichung mit dem Kommerzienrath Lamprecht anzeigt.“

„Und weiter besitzen Sie keine Papiere?“

„Leider nicht. Der Verstorbene hat nach dem Tode meiner Tochter alle Dokumente an sich genommen.“

Die Frau Amtsräthin stieß ein helles Gelächter aus und fuhr herum. „Hörst Du’s, mein Sohn?“ rief sie triumphirend. „Die Beweise fehlen – selbstverständlich! Diese nichtswürdige Beschuldigung Balduin’s ist ein Erpressungsversuch in optima forma.“ Sie zuckte die Achseln. „Möglich, daß die Verführungskünste der kleinen Kokette, die einst vor unseren Augen auf dem Gang des Packhauses ihr Wesen getrieben hat, nicht ohne Wirkung auch auf ihn geblieben sind; möglich, daß sich darauf hin draußen in der Welt eine intimere Beziehung zwischen ihnen angesponnen hat – das ist ja nichts Seltenes heutzutage, wenn ich auch Balduin einen solchen Liebeshandel nimmermehr zugetraut hätte. Indeß, ich will es zugeben – aber eine Verheirathung? Eher lasse ich mich in Stücke hacken, als daß ich solchen Blödsinn glaube!“

Der alte Maler reichte Herbert den Brief hin. „Bitte, lesen Sie,“ sagte er mit völlig tonloser Stimme, „und bestimmen Sie mir gütigst eine Stunde, zu welcher ich Ihnen morgen auf dem Amte das Weitere vortragen darf! Es ist mir unmöglich, noch länger mein todtes Kind so schmachvoll verlästern zu hören … Nur mit der größten Selbstüberwindung gestatte ich fremden Augen den Einblick in das Schreiben –“ sein schmerzlicher Blick hing wie sehnsüchtig an dem Briefe, den der Landrath an sich genommen hatte. „Es kommt mir vor wie ein Verrath an meiner Tochter, welche die einzige Schuld, die sie je auf ihre Seele genommen hat, in den Zeilen ihren Eltern beichtet. Wir haben keine Ahnung gehabt, daß mein Chef und Brotherr hinter unserem Rücken unser Kind zu einem Liebesverhältniß verleitet hat – auf seinen dringenden Wunsch, sein strenges Gebot hin hat sie uns Alles verschwiegen … Wäre sie kinderlos gestorben, ich hätte die ganze Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Sie ist in fremdem Lande heimgegangen; Niemand in dieser Stadt hier hat um die seltsamen Verhältnisse gewußt, es wäre somit keine Veranlassung dagewesen, für ihre Ehre einzutreten. So aber gilt es, ihrem Sohne zu seinem Rechte zu verhelfen, und das will und werde ich mit allen Mitteln, die mir zu Gebote stehen! –“

„Sie hätten das schon bei Lebzeiten meines Schwagers thun müssen!“ unterbrach ihn der Landrath fast heftig, nachdem er in sichtlich großer Aufregung das Zimmer durchmessen.

„Herbert!“ schrie die alte Dame auf. „Ist es möglich, daß Du diesem empörenden Lügengewebe auch nur den allergeringsten Glauben schenkst?“

„Sie haben Recht, ich bin dem herrischen Mann gegenüber allerdings schwach gewesen,“ versetzte Lenz, ohne auf den Ausruf der Amtsräthin zu hören. „Ich durfte mich nicht mit Versprechungen von Zeit zu Zeit hinhalten lassen, wie es leider geschehen ist … Als wir vor einem Jahre unseren Enkel endlich sehen und zu uns nehmen durften, da sagte der Kommerzienrath, daß ihm augenblicklich die Verhältnisse noch nicht gestatteten, mit der öffentlichen Anerkennung seines in zweiter Ehe geborenen Sohnes hervorzutreten. Dagegen werde er schleunigst sein Testament machen, um schlimmsten Falles dem kleinen Max seine Sohnesrechte zu sichern … Nun, er hat sein Versprechen nicht gehalten – im Vollgefühl seiner Kraft mag ihm dieser ‚schlimmste Fall‘, sein plötzlicher Tod, ganz unmöglich erschienen sein … Aber ich verzage nicht – die Legitimationspapiere sind ja da,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_258.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)