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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 17.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Frau mit den Karfunkelsteinen.

Roman von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


In der Schreibstube des Hauses Lamprecht ging während dem Alles seinen gewohnten Gang. Hätte der junge Chef ahnen können, daß es fern am Horizont gewitterhaft aufblitze, er würde sein Augenmerk auf ganz andere Dinge gerichtet haben, als es die Kleinigkeitskrämerei war, mit der er sich immer noch vorzugsweise beschäftigte. Mit dem Aufräumen des alten Schlendrian war er immer noch nicht fertig. Es gab noch da und dort Hinterthüren, durch welche sich der Unterschleif ermöglichen ließ. Nicht allein im Hause mußte man jedes Eckchen immer wieder inspiciren, nein, auch der Hof verlangte wachsame Augen mit seinem zweiten Ausgang, dem Packhausthor. Da gingen und kamen die Taglöhnerinnen, da konnten leicht Viktualien und Holz aus der Küche und Hafer aus den Pferdeställen „weggeschleppt“ werden; deßhalb wurde jeder „Ausguck“ in den Hof freigelegt, wurden jahrelang verschlossen gewesene Fensterläden täglich zurückgeschlagen.

Die Nachtheile dieser Observationsposten hatte Bärbe bereits gestern empfunden, als sie mit ihrem Eimer vom Brunnen zurückgekehrt war. Gleich darauf war der junge Herr in die Küche gekommen, hatte die alte Köchin heftig ausgescholten und sich ein für allemal den „neumodischen Mägdeklatsch“ am Hofbrunnen verbeten.

Heute Nachmittag war auch Margarete von Dambach zurückgekehrt. Sie konnte zufrieden sein mit dem Erfolg ihrer sorgsamen Pflege, dem Großpapa ging es viel besser. Aber der Hausarzt, den der Landrath insgeheim befragt, war der Ansicht gewesen, daß das Uebel in dem allen Stürmen und Wettern preisgegebenen, leichtgebauten Pavillon keinenfalls gänzlich gehoben werden könne; der alte Herr möge doch lieber für die strengste Winterzeit nach der Stadt übersiedeln. Damit hatte sich der Amtsrath einverstanden erklärt, und zwar um so eher deßhalb, weil er nicht in der oberen Etage wohnen sollte. Ein paar gerade über den Lamprecht’schen Wohnräumen gelegene Zimmer der Beletage sollten um des erwärmten Fußbodens willen für ihn eingerichtet werden.

Nun galt es, dem alten Herrn die Wohnung behaglich zu machen, und deßhalb war Margarete in der Stadt. Tante Sophie war glücklich, sie wieder zu haben, wenn auch Bärbe ganz erschrocken meinte, daß das liebe „Gretelgesichtchen“ gar so schmal und vergrämt aussehe. Tante Sophie freute sich aber auch im Stillen, daß der Amtsrath nach der Stadt übersiedeln sollte; da war doch wieder ein männlicher Wille im Hause, eine Stimme, die, wenn sie sich zum Befehl erhob, Furcht und Respekt einflößte. Und das that noth, der kleinen, herrschsüchtigen Frau im zweiten Stock gegenüber, die nun, nachdem sich die Augen des ehemaligen Hausherrn geschlossen, ihre geheime Abneigung gegen „das derbe, unverschämt gerade Frauenzimmer, die Sophie,“ die sich in die Hausangelegenheiten mischte, frei zu Tage treten ließ und an dem Thun


Franz Defregger.
Nach einer neuen photographischen Aufnahme von Fr. Hanfstängl in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_273.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)