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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


„Es ist besser, Ihr laßt mich gehen, Vater,“ sagte Georg. „Jedes Wort, welches ich in dieser Sache noch redete, wäre zu viel.“

„Oho ... und darf man fragen, was Du zu thun gedenkst?“

Die beiden Männer standen einander gegenüber und maßen sich Sekunden lang wie Gegner mit den Blicken. „Du lebst unter meinem Dache, vergiß das nicht,“ stieß der Alte hervor.

Georg lächelte bitter. „Heute noch – ja. Das Haus aber, welches meine Braut, mein Weib nicht aufnimmt, ist meine Heimath nicht lange mehr.“

Eine Todtenstille folgte den Worten, und nun ging Georg langsam nach der Thür. Währenddeß aber war mit dem Bürgermeister eine Veränderung vorgegangen ... er schien zu einem Entschlusse gekommen zu sein. Welcher Art derselbe war, hätte man auf seinem undurchdringlichen Angesicht jedoch vergebens zu lesen versucht. Er ging jetzt rasch dem Sohne nach und legte ihm die Hand auf den Arm.

„Sei kein Narr, Görg,“ sagte er kurz, „und wirf Deinem alten Vater nicht gleich den Bettel vor die Thür. Setz Dich hierher und erzähle mir genau, was zwischen Dir und der Weberstochter vorgegangen ist.“

Georg sah den alten Herrn forschend an, fast als traue er dem Sühneversuche des klugen Gegners nicht recht. Und als er sprach, geschah es mit einem Zwang und einer Zurückhaltung, die nach dem, was vorhergegangen, wohl begreiflich war. Aber gegen seinen Willen brach nach und nach die Wärme durch, und auch bei dem Doktor kam, da er sich durch den Bericht in einem Punkte sehr erleichtert fühlte, eine aufrichtigere Theilnahme zum Vorschein, als er vielleicht selber beabsichtigte.

Als der Sohn geredet hatte, wiegte der Alte den Kopf hin und her. „Das scheint allerdings etwas Besonderes zu sein. Schade daß sie nicht wenigstens eine Bürgerstochter ist. Denn leider muß ich in der Hauptsache auf meiner Ansicht verharren. Das Mädchen zu Deiner Frau zu machen, wäre, um das Geringste zu sagen, eine Seltsamkeit, die in unserer verantwortlichen Stellung nicht zu statuiren ist. Du mußt begreifen, daß der Stand Verpflichtungen auferlegt, und daß es dem bessern Bürger, ja dem ersten Bürger eines Gemeinwesens, eben so wenig vergönnt ist, in diesen Dingen ungezügelter Neigung zu folgen, wie einem Fürsten ...“

Er hielt inne und sah den Sohn an, als erwarte er eine Antwort. „Nun?“ fragte er, da jener schwieg, endlich mit scharfer Stimme.

„Eure Gründe mögen an sich Gewicht haben, Vater,“ sagte Georg kalt, mit der Ruhe des unerschütterten Entschlusses. „Für mich aber sind sie hinfällig, denn – Ihr kennt Hilden nicht. Sie hat nicht ihres Gleichen, ist mit dem gewöhnlichen Maße nicht zu messen. Wir vermögen sie nicht einmal zu erheben – sie selber adelt das Haus, in welches sie eintritt.“

Gut, daß Georg den wunderlich faunischen Zug nicht wahrnahnn, der bei diesen Worten über das kluge Gesicht des Doktors glitt. Nach einer Pause begann dieser wieder: „So müßten wir uns also noch der Ehre bedanken, die uns die Weberstochter anthäte, wenn sie Dich nähme. Eine absonderliche Zumuthung, das wird der Herr Sohn vielleicht zugeben. Uebrigens – laß Dir noch etwas sagen, Georg, und expecto crede Ruperto! Es ist schon manch einem klugen Manne mehr als fraglich erschienen, ob ein Ehegespons von besondern Gaben des Leibes oder des Geistes für ein wirkliches Glück im Hause zu halten sei. Sieh Deine Mutter an: am Kochherd und in der Vorrathskammer, da füllt sie ihren Platz und da sucht sie ihres Gleichen. Außerdem aber hat sie mir nichts drein zu reden ... früher versuchte sie es wohl einmal, das Handwerk habe ich ihr aber aus dem Grunde gelegt. So hatte ich freie Hand für meine Geschäfte, und, glaube mir, ich wäre der Mann nicht geworden, der ich bin, hätte ich es in meinem Hause nicht so gehalten. Aber ich sehe, ich predige tauben Ohren –“ unterbrach er sich nach einem Blick auf das Gesicht seines Sohnes. „Enden wir also ...“ Er hatte sich erhoben und trat auf Georg zu. „Du siehst, ich habe mit mir redeu lassen ... dafür aber verlauge ich auch von Dir jetzt ein Versprechen ...“

„Welches, Vater?“ fragte Georg, und wieder maßen sich die beiden Männer wie zwei vorsichtige Gegner, während sie auf Augenblicke die Klingen senken.

„Du unterlässest jeden Schritt in dieser Sache, bis der Einzug und das Fest des Landgrafen vorüber sind. Unsere Entschließung, wie sie nun auch ausfalle, erfordert eine reiflichere Ueberlegung, als ich sie jetzt, bei der Unruhe, die uns bevorsteht, darauf zu verwenden vermag. Ich verlange nur wenige Wochen Geduld von Dir –“

„Und dann, wenn die Frist, die Ihr stellt, verstrichen ist, glaubt Ihr mich etwa andern Sinnes zu finden?“ fragte Georg mit finsterem Lächeln.

„Ich glaube gar nichts ... ich stelle eine Forderung an Dich, die Du nicht weigern kannst, ohne wie ein unbändiger Knabe zu erscheinen. Her Deine Hand – versprich mir, die Sache zu lassen, wie sie jetzt ist ... es kann das Euch Beiden wenig ausmachen! Ueberdies haben die Dirnen jetzt während des Festes sich zu putzen, zu gaffen, da wird sie Dich nicht vermissen.“

„Halt, Vater,“ rief Georg, die Hand, die der Bürgermeister ergriffen hatte, hastig zurückziehend. „Verlangt Ihr von mir ein Versprechen, Hilden während dieser ganzen Zeit nicht zu sehen, sie ohne jede Nachricht zu lassen? Das weigre ich ... Sie soll wissen, was wir zu hoffen oder zu fürchten haben, soll wissen, daß sie mein ist und bleibt –“ fügte er leise hinzu – „und das durch mich.“

Der Alte strich sich überlegend das Kinn, wie ein Schachspieler, dem ein Zug durchkreuzt worden ist. Endlich hob er den Kopf, auch hier war ein Ausweg gefunden. „Wie ich den Meister Lukas kenne,“ sagte er, „öffnet er sein Haus nur dem ehrlichen Werber. Als solcher aber jetzt schon zu kommen, verbietet Dir der Pakt, den wir eben gemacht haben. Das magst Du die Jungfrau und ihren Vater wissen lassen, magst es ihnen selber sagen, daß ich meine Entscheidung einstweilen noch hinausschiebe; ich habe nichts dagegen.“

„Gut,“ sagte Georg nach einer Weile gepreßt.

Der Alte hob leicht warnend den Finger. „Nun aber ruhig Blut, Georg, keine Gewaltstreiche, keine Thorheiten ... ein Mann ein Wort ...“

„An mir zweifelt nicht; was ich versprochen habe, das halte ich!“ sagte Georg stolz, „Euch, mir und Anderen.“

Der Alte nickte und der Sohn ging. Die Unterredung war beendet.

Als der Bürgermeister allein war, lehnte er sich aufathmend in seinen Stuhl zurück ... „Zeit gewonnen, Alles gewonnen,“ murmelte er dabei, „und, Herr Landgraf, hab’ ich Euch geholfen, so müßt Ihr mir wieder helfen.“ Als er sich eine Weile darauf im Familiengemach einfand, war auf dem behaglichen, meist lebhaft gerötheten Angesicht mit den scharfen Augen von einer ungewöhnlichen Erregung nichts mehr wahrzunehmen.

Die nächsten Tage waren die unrunhigsten, die das Bürgermeisterhaus vielleicht je gesehem hatte. Das war ein beständiges Gehen und Kommen, ein Fragen und Schicken ohne Ende. Wer den Herrn nicht auf dem Rathhause antraf, der suchte ihn hier, oder ging auf Anweisung der Bürgermeisterin, um ihn an irgend einem Punkte der Stadt, wo der Rath sich vielleicht gerade zusammengefunden hatte, um die Ausschmückung eines Platzes an Ort und Stelle zu berathen, noch anzutreffen. Der Doktor hatte vom frühen Morgen bis zum späten Abend kaum einen Augenblick Ruhe, daher denn ganz von selber etwaige häusliche Angelegenheiten, die nicht in die Stimmung dieser Tage paßten, in den Hintergrund gedrängt wurden.

Seit Menschengedenken hatte kein Bürgermeister der Hauptstadt mit dem landgräflichen Herrn so gut gestanden und dabei jeden gerechten Vortheil der ihm anvertrauten Stadt so klug zu wahren gewußt, wie Doktor Tiedemars. Man wußte, daß gerade in Sachen der nun vor sich gehenden Vermählung das diplomatische Geschick des Bürgermeisters und freilich zugleich seine Vertrauensstellung bei dem fürstlichen Herrn diesem wesentliche Dienste geleistet hatte. Doktor Tiedemars konnte die glänzende Verbindung zu einem gewissen Theile mit als sein Werk betrachten, kein Wunder daher, daß sein kluges Gesicht jetzt den Ausdruck einer eignen Genugthuung trug, kein Wunder auch, daß unter seinen Anordnungen und seinem Einfluß die Vorbereitungen der Stadt für den Einzug und das fürstliche Beilager einen ganz unerhörten Umfang annahmen.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_283.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2021)