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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 18.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Frau mit den Karfunkelsteinen.

Roman von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Frühlingsblüthen. Nach dem Oelgemälde von Paul Wagner.

Tiefaufathmend trat Margarete in die Wohnstube der alten Leute im Packhause. Es war Niemand drin; aber aus der nur angelehnten Küchenthür kam leises Geräusch. Die junge Dame öffnete die Thürspalte weiter und sah in den mit Kochdunst erfüllten Raum hinein.

Der Maler stand am Herd und bemühte sich eben, Brühe aus dem dampfenden Fleischtopf in eine Tasse zu gießen. Er hatte die Brille auf die Stirn hinaufgeschoben und machte ein ängstliches Gesicht – die ungewohnte Beschäftigung des Kochens schien ihm viel Mühe und Kopfzerbrechen zu verursachen.

„Ich will Ihnen helfen!“ sagte Margarete, indem sie die Küchenthür hinter sich zuzog.

Er sah auf. „Mein Gott, Sie kommen selbst, Fräulein?“ rief er freudig erschrocken. „Der Max hat mir den Streich gespielt, ohne mein Vorwissen in Ihrem Hause Hilfe zu suchen – er ist eben ein resoluter kleiner Bursche, der nie unverrichteter Sache heimkommen will.“

„Er hat recht gethan, der brave Junge!“ sprach die junge Dame. Dabei nahm sie dem alten Mann den Fleischtopf aus der Hand und goß die Brühe durch den Seiher, den der ungeschickte Koch vergessen hatte, in die Tasse.

„Das ist die erste kräftige Nahrung, die meine arme Patientin genießen darf,“ sagte er mit glücklichem Lächeln. „Gott sei Dank, es geht ihr um Vieles besser! Sie hat die Sprache wieder, und der Doktor hofft das Beste.“

„Wird es ihr aber nicht schaden, wenn ein ungewohntes Gesicht, wie das meine, ihr plötzlich nahe kommt?“ fragte Margarete besorgt.

„Ich werde sie vorbereiten.“ Er nahm die Tasse und trug sie durch die Wohnstube nach der anstoßenden Kammer. Margarete blieb zurück – sie brauchte nicht lange zu warten. „Wo ist sie, die Gute, die Hilfreiche?“ hörte sie die Kranke lebhaft fragen. „Sie soll hereinkommen! Ach, wie mich das freut und tröstet!“

Die junge Dame trat auf die Schwelle und Frau Lenz streckte ihr den gesunden Arm entgegen. Ihr Gesicht war so weiß wie das Leinen, auf welchem sie lag, aber die Augen blickten bewußt.

„Weiß und licht wie eine Friedenstaube kommt sie!“ sprach sie bewegt. „Ach ja, Weiß trug sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_289.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)