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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

überflüssigen Räume abgeben will? … Vorwärts, Bärbe! Du weißt, ich verstehe absolut keinen Spaß!“

Und da hatte Jungfer Bärbe nicht einen Laut des Widerspruchs über ihre bebenden Lippen gebracht. Sie war ihm mit einknickenden Knieen gefolgt, die Treppe hinauf und den Flursaal entlang; ihr entsetzensvolles Sträuben an der Gangecke hatte ihr auch nichts geholfen; er hatte sie am Arme gepackt und an den sie geisterhaft anstarrenden Bildern vorüber geschoben, bis zu dem Treppchen, das seitwärts nach dem Boden des Packhauses führte.

Aber da war er plötzlich wie toll hinabgesprungen, hatte die nur angelehnte Thür der Dachkammer ein wenig weiter aufgeschoben und durch den Spalt hineingelugt, und als er Bärbe das Gesicht wieder zugewendet, da waren seine großen, grauen, todten Augen voll Leben gewesen, sie hatten gefunkelt wie die einer tückischen Katze.

„Nun marschiere Du wieder hinunter in Deine Küche,“ hatte er boshaft grinsend befohlen, „und sage den anderen Hasenfüßen, ein Gespenst, das einen Korb voll eingemachter Früchte bei sich habe, sei nicht gefährlich! Vorher aber gehe hinauf zur Großmama. Ich lasse sie bitten, in den rothen Salon zu kommen.“

Bärbe hatte sich schleunigst aus dem Staube gemacht. Aber es war ihr plötzlich nicht ganz geheuer zu Muthe gewesen; sie hatte das unbestimmte Gefühl gehabt, als habe sie einen recht dummen Streich gemacht. Und als Tante Sophie gleich darauf von ihrem Ausgang zurückgekehrt war, da hatte sie nach einigen Präliminarien zu erzählen begonnen; aber schon nach wenigen Sätzen war die Tante entsetzt zurückgefahren. „O Du Unglücksbärbe Du!“ hatte sie gejammert und war so, wie sie von der Straße hereingekommen, in Hut und Mantel, die Treppe hinaufgeeilt.

Sie hätte Alles darum gegeben, ihrer „Gretel“ einen heftigen Auftritt zu ersparen, oder ihn wenigstens durch vorherige Vorstellung und Fürsprache zu mildern, aber sie kam zu spät. In demselben Augenblick, wo sie den Flursaal betrat, kam Reinhold in Begleitung der Großmama aus dem rothen Salon.

Er machte eine tiefe ironische Verbeugung nach dem Gange hin, und die Frau Amtsräthin rief hinüber: „Ei, meine liebe Grete, Du scheinst Dir ja als schöne Dore recht zu gefallen! Neulich kamst Du, wie aus dem Rahmen gestiegen, in ihrem Brautrock, und heute erschreckst Du die Leute im Hause als weiße Frau –“

„Ja, als die Frau mit den Karfunkelsteinen!“ ergänzte Reinhold. „Bärbe ist wie verrückt! Sie hat den famosen weißen Theatermantel da durch den Gang laufen sehen und das ganze Haus rebellisch gemacht. So muß es kommen! Ihr da unten haltet gegen mich wie die Kletten zusammen, und nun verräth Eine die Andere, wenn auch wider Willen!“

Während dieses impertinenten Zurufes war Margarete um die Gangecke gekommen. Sie antwortete nicht – die Bestürzung schien ihr die Lippen zu verschließen.

„Betrügerin!“ schnauzte Reinhold sie an, indem er ihr näher trat. „Also auf solchen Schleichwegen gehst Du? Hast ja schöne Dinge draußen in der Welt gelernt!“

„Reinhold, mäßige Dich!“ wies ihn Margarete mit ruhigem Ernst und wirklicher Hoheit in die Schranken, während sie an ihm vorüber zu Tante Sophie gehen wollte; aber er vertrat ihr den Weg. „’S ist recht, flüchte Du nur zu Deiner Gouvernante! da hast Du ja von jeher Schutz und Hilfe gefunden! –“

„Du auch!“ fiel Tante Sophie ein. „Eure Gouvernante war ich nie“ – eine Art trockenen Auflachens kam ihr von den Lippen – „ich kann weder Französisch noch Englisch, und aufs Poliren verstehe ich mich auch nicht – aber so Etwas, wie ohngefähr der getreue Eckard, das bin ich gewesen. Ich hab’ Euch über Leib und Seele meine beiden Hände gehalten, so gut ich’s eben konnte, und mein bischen Kraft eingesetzt, so lange Ihr sie brauchtet, und wie Dich Deine schwachen Beine jahrelang nicht tragen wollten, da sind es meine Arme gewesen, auf denen Du durch Haus und Hof und in die frische Luft hinausspaziert bist – ich habe Dich niemals fremden Händen überlassen. … Nun kannst Du laufen, aber nicht zu Anderer Freude. Du läufst wie ein Kerkermeister horchend von Thür zu Thür und gönnst Deinen Mitmenschen nicht einmal die Luft, geschweige denn eigene Gedanken und eigenes Genießen – Alle sollen nach Deiner Pfeife tanzen – das alte Lamprechtshaus kommt mir nachgerade vor wie ein Zuchthaus. Und drum mein’ ich, es sei hoch an der Zeit, daß man geht. Dich und Dein Gnadenbrot brauche ich nicht; aber die Gretel, die nehm’ ich mit!“

Während dieser schneidigen Strafpredigt war der Kopf des langen jungen Menschen immer tiefer in den dickzottigen Pelzkragen geschlüpft, und seine Augen irrten scheu an den Wänden hin. Er erinnerte sich recht gut, wie die Tante Sophie wochenlang Nacht für Nacht an seinem Krankenbette gewacht, ihm, dem meist Appetitlosen, eigenhändig jeden Bissen mundgerecht zubereitet und ihn noch als siebenjährigen Knaben die Treppen hinaufgetragen hatte, und da mochte wohl das Roth, das augenblicklich sein fahles Gesicht überflog, Schamröthe sein. Die Frau Amtsräthin aber war sichtlich empört.

„Glauben Sie wirklich, wir würden unsere Enkelin mit Ihnen ziehen lassen?“ fragte sie erzürnt. „Das ist ein wenig kühn und voreilig, meine Liebe! Ich meine, die reiche Erbin wird sich doch wohl bedenken, im ersten besten Armeleutestübchen unterzukriechen.“

Tante Sophie lächelte humorvoll. „Es ist nur gut für den Staat, daß Sie nicht Einschätzungskommissar sind, Frau Amtsräthin! So schlimm, wie Sie denken, ist’s wirklich nicht – ich müßte ja nicht Lamprecht heißen! Wohlgemerkt, ich sage das nur, um die Beschuldigung der Kühnheit und Voreiligkeit von mir zu weisen!“

Margarete trat auf die Tante zu und legte zärtlich den Arm um die geliebte Gestalt.

„Die Großmama irrt,“ sagte sie. „Erstens bin ich nicht die reiche Erbin, für die man mich hält, und dann würde ich herzlich gern mit Dir auch in ein Armeleutestübchen ziehen, wenn ich nur bei Dir bleiben dürfte. Aber vorläufig dürfen wir Beide das Haus nicht verlassen; ich habe eine Mission zu erfüllen, und Du mußt mir beistehen, Tante!“

„Nun, der Missionsweg soll Dir von nun an verschlossen sein, Grete – ich werde die Thür nach dem Packhause zumauern lassen – sie hat ohnehin keinen Zweck – und damit basta! Ich will doch sehen, ob ich mir nicht Ruhe verschaffen kann!“ sagte Reinhold, indem er frostgeschüttelt den Pelz fester über der Brust zusammenzog und nach dem Ausgang schritt – die schwache Regung eines guten Gefühls war bereits wieder unterdrückt. „Uebrigens ist es – gelind gesagt – ein klein wenig unverschämt von Dir, an Deinem Erbtheil zu mäkeln,“ setzte er, sich noch einmal zurückwendend, hinzu. „Du erhältst weit mehr, als es der Tochter von Rechts wegen zukommt. Hätte der Papa - wie es seine Pflicht mir, dem Geschäftsnachfolger, gegenüber gewesen wäre – bei Zeiten ein Testament gemacht, dann stünden die Sachen jetzt anders; so aber muß ich Unsummen an Dich hinauszahlen.“

„Ja, der Ansicht bin ich auch, daß mir dieses große Erbe nicht zukommt – ich werde theilen müssen!“ versetzte Margarete bedeutsam.

„Mit mir noch einmal?“ lachte Reinhold höhnisch auf. „Das wirst Du bleiben lassen! Du hast noch nicht einmal das Recht, darüber zu verfügen. Und ich will auch Deine Großmuth gar nicht, so wenig wie es mir einfällt, auch nur einen Pfennig oder das kleinste Rechtstitelchen von dem Meinigen herauszugeben – Jeder bleibe für sich, das ist meine Maxime! … Bei dieser Gelegenheit will ich Dir auch sagen, Großmama, daß nirgends auch nur eine Spur von einem Geschäftskontrakt zwischen dem Papa und dem Menschen da drüben –“ er deutete nach dem Packhause – „zu finden ist. Jene Nachforderung, mit welcher Du so geheimnißvoll thust, ist mithin Schwindel und für mich abgethan – ich will nun gar nichts Näheres wissen! … Uebrigens danke ich Dir, daß Du auf meine Bitte heruntergekommen bist; Du hast Dich nun selbst überzeugen können, wie perfide und hinterrücks meine Schwester zu handeln gewohnt ist.“

Er ging hinaus und ließ die Thür schallend hinter sich zufallen.

Margarete war bis in die Lippen erblaßt.

„Nimm Dir’s nicht zu Herzen, Gretel!“ tröstete die Tante Sophie. „Hast’s ja von kleinauf nicht besser gewußt, bist immer der Sündenbock und Prügeljunge gewesen! Und er ist dadurch ein herzloser Bursche, ein grausamer Egoist geworden –“

„So jung schon ein ganzer Mann, wollen Sie sagen, liebe Sophie, ein Mann, der sich kein X für ein U vormachen und nicht mit sich spaßen läßt,“ fiel die Frau Amtsräthin ein. „Margarete trägt selbst die Schuld, wenn er ihr böse Dinge gesagt hat.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_292.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)