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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Sie durfte nicht zu den Leuten gehen, von denen sie wußte, daß sie unstatthafte Ansprüche an die Erben erheben.“

„Jene Ansprüche sind gerecht,“ sprach das junge Mädchen fest.

„Was –“ fuhr die Großmama auf – „diese Elenden haben gegenüber der Tochter, als Dank für ihren Samaritergang, über den verstorbenen Vater gesprochen? Und Du glaubst die Fabel?“ Sie zog mit hastigen Händen an ihrer Kapotte. „Hier ist mir’s zu kalt – Du gehst jetzt mit mir hinauf, Grete, die Sache muß besprochen werden!“

Margarete folgte ihr schweigend, während Tante Sophie mit einem besorgten Blick nach ihr die Treppe hinabging.

(Fortsetzung folgt.)

Bei der Musi’.

(Mit Illustration S. 293.)

Aber Du kannst es schön,
Aber dös geht verweg’n;
Da is ja mei’ Zithern
Glei’ gar nix dageg’n!“

„Gel, dös is a Gaudi[1]
Heunt hast wohl an Stand,
Heunt bist scho der richtige
Bettelmusikant!“

So scherzt halt der Vater,
Und d’ Muader schaugt zua;
Und der Dackl[2], der schlaft –
Nur die Kloa’ giebt koan Ruah.

Denn der Kochlöffel spielt
Ihr halt soviel schön auf …..
Wie’s koa Geig’n nimmer kann,
In a fufzehn Jahr’ d’rauf!
 Karl Stieler.


  1. Vergnügen.
  2. Dachshund.

Der Stil in der Wohnung.

Von Ferdinand Avenarius.
(Schluß.)

Unsere Mode auf dem Gebiete des Kunsthandwerkes pflegt reinen Buchstabenglauben. Wir lernen Vokabeln und bilden uns ein, eine Sprache zu lernen. Das Lexikon aber, aus dem wir unsere Weisheit fischen, ist das „altdeutsche“.

Wer schert sich heute darum, daß unser Jahrhundert in seinem Denken, Fühlen, Streben, in seinen materiellen, politischen, künstlerischen Verhältnissen, in seinem ganzen Sein eben doch ein anderes ist, als das fünfzehnte und sechzehnte? Getrost wird das Alte auf das Neue geklebt, und der biedere Wohnungsausstatter hält es womöglich noch für ein Kompliment für seine Behausung, wenn sie „altdeutsch“ ist. Und doch ist sie dann unsinnig und verlogen und deßhalb stillos, so gut sie die einzelnen Wörtlein der todten Sprache auswendig gelernt haben mag, ja, um so stilloser, je besser sie das gethan hat. Denn was vielleicht trefflicher Ausdruck für eine Wohnung des 16. Jahrhunderts war, kann es gerade deßhalb nicht mehr für eine solche des 19. Jahrhunderts sein.

Aber es ist mal so Mode. Wie in der Litteratur die „Butzenscheibenpoesie“ florirt und würdige Pedantenherzen nach den Hopsern „altdeutscher“ Weisen springen läßt, wie unser Publikum solche Kindereien „frisch“ findet und das Maskengefiedel für Natur hält, so ahnen auch unsere altdeutsch stilvollen Wohnungsbesitzer nicht, daß sich Dürer oder Holbein den Leib vor vergnüglichem Lachen halten würden, sähen sie unserem permanenten Karneval zu. Leute, die sich über die Schweizergarde des Papstes in Rom vornehm belustigen, pflanzen sich Landsknechte aus Majolika unter Bronzeteller mit grimmigen Ritterbildnissen; friedfertige Kaufleute, denen das Schaufenster eines Gewehrladens schon Unbehagen erweckt, hausen daheim unter grausigen Hellebarden, Schilden, Schwertern und Morgensternen; Männlein und Weiblein gießen aus Apostelkrügen ihr Bier in altdeutsche Steintöpfe, denen womöglich noch vermittelst einer „echten Renaissance-Jahreszahl“ – etwa 1560 – in köstlicher Naivetät ausdrücklich bescheinigt ist, daß sie in unserem Jahrhundert eigentlich nichts zu suchen haben. Jede Dummheit, die ein altdeutscher Renaissancetischler aus Mißverständniß der Antike oder Gedankenlosigkeit einst verbrochen, wird um so freudiger nachgeschnitzt, je verrückter – ach nein: origineller – sie ist, denn der nachahmende Gewerbekünstler hat sie irgendwo gesehen, sie ist also „echt“, altdeutsch und somit – modern. Und wenn wir einen gescheiten Mann fragen, was er denn eigentlich mit den „altdeutschen Sprüchen“ anfange, die, an den Wänden angebracht, seine Augen zum ewigen Spazierengehen auf ihren Gemeinplätzen zwingen, so erfahren wir als Entschuldigung den Gebrauch unserer Vorfahren aus einer Zeit, da dergleichen eben beim Mangel an Büchern und Zeitschriften noch eine Hauptanregung für den Geist sein mußte!

Und warum richten wir uns nicht wenigstens ganz so ein wie die Altvordern? Ja, das ist eben der Hauptspaß, daß wir’s natürlich hübsch bleiben lassen, echt stilvoll in engen Gäßchen, schmalen Häuschen, dunkeln Stüblein zu hausen, bei Talglichtern oder Thranlämpchen die Abende zu vergähnen, Petroleum, Elektricität, Dampfschiffe, Eisenbahnen und was sie bringen, kurzer Hand aus der Welt zu werfen. Ach, man kann ja unserer altdeutschen Sucht nicht einmal nachsagen, daß sie, sei sie gleich Narrheit, doch Methode habe!

Es geht dem Altdeutschen also wie allem äußerlich Angezogenen: nachdem es eine Weile getragen, zeigt’s Fadenschein, beginnt zu platzen, und wenn der Körper darunter wächst, so zerreißt es schließlich ganz und gar. Es ist eben ein Rock und keine lebendige Haut, die sich mit dem Körper ändert und erneut, weil sie sich aus dem Körper nährt. Und ist es denn ganz unmöglich, daß sich auch unsere Zeit einmal einen Stil schaffe, der solcher natürlichen Haut entspricht, statt einem Anzug vom Schneider?

Es seien mir einige Bemerkungen darüber gestattet!

Nichts liegt mir ferner, als die hohe Bedeutung jener Bewegung schmälern zu wollen, welche die letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete des Kunstgewerbes gezeitigt. Von dem gewaltigen nationalökonomischen Gewinne zu sprechen, den die kunstgewerbliche Arbeit durch das Umsetzen eines geistigen Faktors, des Geschmacks, in materiellen Werth mit sich bringt, wäre hier nicht der Ort. Wie hoch aber ist auch die ideale Bedeutung einer Strömung zu schätzen, die dem Volke die Wichtigkeit des Schönen fürs Alltägliche wieder nahelegt und es allmählich zum Genuß von deren Segnungen wieder erziehen könnte? Daß es auch der großen Masse wieder fühlbar geworden, daß nicht nur Wissen, daß auch Schönheit Macht ist – diese Thatsache ist großartig genug, um auch den verbissensten Pessimisten zu erfrischen. Und wenn der goldene Boden des Handwerks gründlich und gesund vom Jungbrunnen der Schönheit durchtränkt werden könnte, wär’ nicht zu hoffen, daß auch die hohe bildende Kunst wieder im festen Erdreich unseres Volkes wurzelte, statt, wie noch jetzt, ein Ziergewächs im Topfe zu sein?

Im Einzelnen hat unsere Bewegung viel, sehr viel Gutes hervorgebracht. Drei Viertheile unserer Zimmermöbel sind ungleich schöner als die früheren. Unsere Weberei, unsere Metall-, unsere Glasindustrie erzeugen Gutes, ja Treffliches. Aber eben deßhalb: wär’ es nicht doppelt schade, wenn alles das unterginge in öde Faxerei? Haben nicht Alle, die sich des Guten von Herzen freuen, das wir neben dem Schlechten erworben – haben wir nicht Alle die Pflicht, nach Kräften dem vorzubeugen, daß dereinst das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werde? Man darf’s nicht bezweifeln: unser ganzes „altdeutsches“ Schiff wird an der Klippe der Lächerlichkeit zerschellen – suchen wir das Schöne und Herrliche, das es trotz alledem birgt, aus dem Meere der Mode zu retten!

Und wie könnte das geschehen?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_294.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)