Seite:Die Gartenlaube (1885) 296.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Das Schiller-Haus in Gohlis.
Originalzeichnung von Rudolf Cronau.

Das Jubiläum eines Liedes.

Am 7. Mai sind es nach gewöhnlicher Annahme gerade hundert Jahre, seit Friedrich Schiller in Gohlis, damals einem unbedeutenden Dörfchen, jetzt einer der Villenvorstädte von Leipzig, sich zu mehrmonatlichem Aufenthalte niederließ, um in ländlicher Abgeschiedenheit im Kreise lieber, verständnißvoller Freunde die vielleicht glücklichste Zeit seines nur zu kurzen Erdenseins zu verbringen und mit seinem begeisterten Dithyrambus „An die Freude“ daselbst die zweite Periode seines dichterischen Schaffens zu beginnen. Schiller hatte, indem er Mannheim verließ, um sich nach Sachsen zu wenden, einem Herzenswunsche seiner begeisterten Verehrer und Freunde Christian Gottfried Körner und Ludwig Ferdinand Huber und der beiden Töchter des Kupferstechers Stock nachgegeben, von denen die jüngere, Minna, mit Körner, die Aeltere, Dora, damals mit Huber verlobt war. Am 17. April war der jugendliche Dichter der „Räuber“ in Leipzig eingetroffen und mit Freuden von Huber und dem Schwesternpaare Stock empfangen worden, während Körner, sein treuester Freund, durch Amtsgeschäfte in Dresden zurückgehalten wurde. Rasch lebte er sich in Leipzig ein, wo er im „kleinen Joachimsthal“ auf der Hainstraße eine bescheidene Wohnung bezogen, und sein Freundeskreis erweiterte sich schon in den nächsten Tagen, indem der Dichter auch mit Goethe’s Lehrer Oeser, dem Musikdirektor Hiller, dem Kupferstecher Endner und Anderen näher bekannt ward. Da aber Minna und Dora Stock, sowie Huber und Endner in Gohlis Landaufenthalt genommen hatten, so führte auch Schiller seinen schon vorher gefaßten Entschluß, den Freunden nach dem freundlichen Dorfe zu folgen, am 7. Mai aus, um, nachdem in dieser Zeit sein Verhältniß zu Margarete Schwan sich gelöst und er sich wieder um eine frohe Hoffnung ärmer sah, in idyllischer Stille an der Seite der neugewonnenen Freunde Erholung zu suchen und Trost und Stärkung für bessere Tage. Und diese Hoffnung sollte unsern Dichter nicht getäuscht haben, er fand, wonach sein Herz verlangte, im reichsten Maße. „DaS Lied an die Freude“, das in der Zeit seines Gohliser Stilllebens entstanden ist, darf als das beredteste Zeugniß dafür gelten, dies Lied, das ein Zumsteeg und Zelter in Musik gesetzt und welches einen Beethoven derart begeisterte, daß er als Schlußchor seiner tongewaltigen letzten Symphonie eben dies Schiller’sche Lied erwählte. Das ärmliche Haus in Gohlis, in dessen erstem Stockwerk Schiller ein kleines Zimmer nebst Dachkammer bezog, ist noch erhalten, so wie es hier im Bilde vorgeführt wird. Es liegt Hauptstraße Nr. 18 und befindet sich im Besitze des Leipziger Schiller-Vereins, der pietätvoll dafür gesorgt hat, daß wir uns beim Anblick dieses kleinen Hauses und seiner Räume daran erinnern: diese Stätte ist durch den Namen ihres berühmten Bewohners geweiht für alle Zeit. Karl Siegen.     




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_296.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2020)