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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Karl Stieler.
† 12. April 1885.


Es muß wohl eine grundtiefe Wahrheit, eine ergreifende Gewalt im Wort eines Dichters liegen, wenn es ihm gelang, nicht blos in den Seelen der Gebildeten, sondern auch in den breiteren Schichten des Volks ein klangvolles Echo zu finden und den einfachen Naturlaut seiner Heimath in die Herzen dringen zu lassen bis zu den fernsten Reichsgrenzen.

Karl Stieler.
Nach einer Photographie von Max Fackler in Tegernsee gezeichnet von Adolf Neumann.

Das gilt von Karl Stieler. Man kennt ihn wirklich vom Fels zum Meer, diesen Dichter des bayerischen Hochlands. In erster Linie sind es seine Dichtungen in oberbayerischer Mundart, welche ihm frühzeitig Bahn brachen; Sammlungen, welche die Titel führen: „Bergbleaml’n“, „Weil’s mi freut“, „Habt’s a Schneid?“, „Um Sunnawend“ und „Von dahoam“. Neben den Dialektdichtungen dann hochdeutsche Gedichte: „Hochlandslieder“, „Neue Hochlandslieder“, „Wanderzeit“. Endlich Reiseschilderungen in farbenreichem Prosastil.

Das Gemeinsame an den Werken Karl Stieler’s, das einfache Geheimniß seiner ganzen Bedeutung liegt darin, daß er mit nie täuschender Empfindung die echtesten Töne des Volkslebens aufnimmt und sie treu wiedergiebt in einer Form, wie sie kürzer, treffender und schneidiger nicht gefunden werden kann. Dieser Grundzug seiner Dichtungsweise hängt mit seinem Leben innig zusammen.

Stieler ward am 15. December 1842 zu München geboren, als zweiter Sohn des Hofmalers Joseph Stieler, der als ausgezeichneter Portraitmaler bekannt war und besonders in den höchsten Kreisen der Gesellschaft ehrenvolle Thätigkeit fand. Beruf und Stellung des Vaters brachten es mit sich, daß Stieler’s Elternhaus in lebendiger Fühlung stand mit dem ganzen geistigen und gesellschaftlichen Leben des damaligen München. Des Dichters Kindheit fiel in die Zeit, als der feinsinnige König Ludwig I. bestrebt war, sein geliebtes München zu einem Mittelpunkte künstlerischen Wirkens zu machen. Warm pulsirte dieses Streben auch im Hause des Hofmalers Stieler und mußte schon den Knaben berühren. Kaum daß dieser zum Jüngling herangewachsen war,

brach wieder eine neue Epoche schöner und durchgeistigter Regungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_297.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2019)