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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

sollte mit einem Schaugepränge, welches der Geschenke, wie der Empfangenden würdig war, ihr in endlosem Zuge entgegen getragen werden! Wie viele Personen gab es da nicht auszustatten! Und nicht im oberflächlichen Maskeradenputz – der lag nicht in der Weise der damaligen Zeit und wäre den Bürgern auch wie ein Ermangeln an der dem Fürstenpaare schuldigen Achtung erschienen, sondern in köstlichen, neuen Festkleidern, von denen jedes einzelne Stück der Gelegenheit würdig war.

Jedes Gewerke hatte längst unter Gesellen und Lehrbuben die stattlichsten und geradesten zu Bringern der Geschenke ausgesucht, und daß es da manch einen Jüngling von blühender Wohlgestalt gab, welche durch den prächtigen Anzug aufs Beste zur Geltung kam, wird man gerne glauben. Wie weit bei dieser Gelegenheit manche Zunft den Luxus und, wie man später sagte, den Uebermuth trieb, mag daraus erhellen, daß die Schuster zur Ueberreichung ihrer Ehrengabe an die Fürstin zwanzig Lehrbuben und Gesellen der Zunft, Jünglinge von fünfzehn bis zwanzig Jahren, in völlig gleiche neue Anzüge von echtem veilchenfarbenen Sammet, mit geschlitzten Aermeln und einer Unterlage von safrangelber Seide – in Puffen gebauschet, wie die Chronik meldet – gekleidet hatten.

Eine wunderliche Metamorphose dieser an Werkeltagen durch pechbewölkte Gesichter und schmierige Lederschürzen kenntlichen Burschen, die sonst Jahr aus Jahr ein mit nackten Fersen auf Schlappen daher schlurften! Wie das damals den Volkswitz lebhaft in Bewegung setzte, mag es ihnen selber nicht am wenigsten seltsam vorgekommen sein. Immerhin aber sah am festlichen Tage kein Mensch dieser schmucken Knappenschaar an, daß sie nicht etwa Edelknaben, sondern nur Schusterbuben waren.

Mehr und mehr gerieth nun die Stadt, je näher der Einzugstag heranrückte, in einen wirbelnden Taumel von Aufregung und Geschäftigkeit. Von dem, was im Innern der Häuser, der Stuben und Werkstätten vor sich ging, von dem Tag und Nacht kaum unterbrochenen Ameisenfleiße dort, gar nicht zu reden: aber auch auf Gassen und Plätzen trieb unablässig das Volk hin und her, zwischen Haufen von Arbeitern, die an den verschiedensten Stellen sägten, richteten und klopften und sogar in der Nacht beim Lichte von Pechpfannen ihre Thätigkeit fortsetzten. Denn der Weg, den der fürstliche Brautzug durch die Stadt nehmen würde, vom nördlichen, dem Einzugsthore, bis zum Schlosse, sollte in eine Via Triumphalis, mit mehrern Ehrenbogen und fortlaufendem Blumen- und Teppichschmuck der Häuser, verwandelt werden. Dazu die vielen Estraden für die Musiker, die Schranken gegen den Andrang des Volkes, und jedes Gerüst über und über mit Tuch beschlagen, mit Fahnen und Wappen geschmückt – kein Wunder, daß das Zimmergewerk Tag und Nacht zu schaffen hatte und sogar die Zünfte der Schlosser und Schmiede zu Hilfe nehmen mußte.

Ganz wunderlich mußte den damaligen Menschen in einer solchen Festperiode zu Muthe werden, anders, als wir es uns nur vorzustellen vermögen. Das brachte schon die lange Dauer der Feste mit sich, denn damals war es mit einem Tage nicht gethan, wie heutzutage. Eine ganze Woche hindurch pflegte ja schon eine vornehme Bürgerhochzeit die Stadt um und um zu kehren, mit der offenen Tafel, die Tag für Tag gehalten wurde, dem Uebermaß an Essen und Trinken, der Kurzweil an Possenreißern, die keineswegs nur für die geladenen Gäste berechnet war, sondern für das ganze in den Zugängen sich hin und her drängende Volk, welches an allem lebhaften Antheil nahm.

Und nun gar ein solches Ereigniß! genug für eine ganze Generation, um daran lebenslang zu zehren in genußreicher Erinnerung und dieselbe sogar noch ein paar folgenden zu überliefern! Der Einzug mit seiner unerhörten Pracht war ja nur der Anfang, das Vorspiel. Nach demselben ging man nicht ruhig nach Hause, in die stille Stube, zum nüchternen Abendbrot, um dann am andern Morgen etwas unlustig die Werkeltagsarbeit wieder aufzunehmen. Nein, da war in jedem Hause eine Art Fest, da gab es das Beste, was Küche und Keller vermochte, und die ehrbarsten Bürgerfamilien versetzten sich in eine Art Taumel, um desto besser zum Genuß der kommenden Herrlichkeiten, die das fürstliche Beilager begleiten würden, vorbereitet zu sein. Acht Tage lang zum allermindesten würde da kein Mensch zu sich selber kommen ... bei den Geringeren wurde gar nicht gekocht, denn der Landgraf bewirthete seine getreuen Städter, so viel ihrer kommen wollten, täglich mehrere Male im Schloßhofe. Die Zunftgenossen zechten in ihren Gewerkstuben und thaten sich nach der vorhergegangenen Anstrengung gütlich, und die Geschlechter tanzten allabendlich, ob sie nun mit glänzendem Bankett das fürstliche Paar auf dem Rathhause ehrten, oder ob dieses sie im Schlosse empfing, wo dann die Lust des Tanzes durch allerlei wunderbare Kurzweil, durch Mummereien und Komödien unterbrochen und erhöht wurde.

Dies Alles stand zur Zeit noch bevor und konnte, da die Aufeinanderfolge der Festlichkeiten Jedermann bekannt war, einstweilen vorahnend genossen werden. Kein Wunder, wenn Vornehm und Gering in diesem Taumel aufging, wenn sogar der Geringste auf eine Weile sich verwandelt fühlte und das eigne Los kaum empfand, so lange diese mächtige Lebenswoge ihn zugleich mit so viel Hunderten hoch fluthend über das Gewöhnliche hinwegtrug.

Vielleicht war in der ganzen Stadt in dieser Zeit nur ein Mann, welcher es bitter fühlte, daß er mit der allgemeinen Lust nichts zu schaffen habe, und der, während ein heiterer Rausch alle Menschen um ihn her ergriffen zu haben schien, ein Herz wie Blei in der Brust trug. Und dieser eine war Georg.

Die Vorbereitungen zu den Festen, die er allenthalben mit ansehen mnßte, waren ihm widerwärtig. Wenn er einen Wunsch hatte, so war es der, es möchte erst Alles vorüber sein, damit er der Entscheidung seines Schicksals um so viel näher gerückt sei. Er strich ruhelos durch die belebten Straßen, deren Treiben ihm keinen Antheil abgewann. Seine Augen suchten wohl umher, aber immer nur die Eine, die sie zu finden nicht erwarten durften. Einmal hatte er Hilden gesehen seit der Unterredung mit dem Vater, aber sein Herz war seitdem nicht leichter geworden. Ja, wenn es möglich gewesen wäre, hätte sich zu der Sorge – die der vom Glück Verwöhnte jetzt wie einen ihm noch ganz unbekannten, herben Trank kostete – etwas wie Groll gegen die heiß Geliebte gesellt.

Frei und offen, am Tage, war Georg in das Weberhaus gegangen, und Meister Lukas wußte jetzt, wie die Sachen standen. „Kommt Ihr von nun an hierher zurück mit dem guteu Willen Eueres Vaters, Herr, so sollt Ihr mir herzlich willkommen sein, aber auch nur dann,“ hatte der Alte ihm gesagt. Und Hilde? Sie war ihm hinaus in den Flur des kleinen Hauses gefolgt und hatte ihm einen Abschied gegönnt, der ihm noch jetzt, in der Erinnerung, alles Blut siedend heiß nach dem Herzen drängte. Als er sie dann aber, ein Lächeln auf den Lippen, aber mit einem düstern Lichte in den Augen, gefragt hatte: „Und wenn wir uns ohne diesen guten Willen behelfen müssen, Hilde? Die Welt ist groß, ein Dach für mein Weib und Brot für uns find’ ich auch anderwärts“ – da war sie blaß geworden. Immer wieder hatte sie auf sein heißes Drängen nur die Versicherung gehabt, sie sei sein, sie werde ihm treu bleiben, ob er nah oder fern wäre, Jahre lang, ein Leben lang – Georg aber hatte die böse Ahnung mitgebracht, daß die Art, wie er sein Glück gegen seinen Vater zu vertheidigen gedachte, sich mit der ernsten Pflichttreue dieses Mädchens nicht vertragen, daß er bei einem gewaltthätigen Schritt, wie er seiner Natur gemäß war, an ihr keine Gefährtin finden würde.

Dies Alles trug der Bürgermeisterssohn mit sich in den festlichen Straßen herum. kein Wunder, wenn die Gruppen der schwatzenden Nachbarn ihm kopfschüttelnd nachsahen, wie er schweigsam und mit seinem frendlosen Angesicht an ihnen vorüberschritt. Wie Georg seinen Vater kannte, war es ihm nicht ganz unwahrscheinlich, daß der Alte, wenn er merkte, die Külwetter’sche Hochzeit sei nicht durchzusetzen, versuchen werde, ihn, den Sohn, auf eine Weile zu entfernen. Und für diesen Fall besaß Georg dann freilich einen bittersüßen Trost in der Ueberzeugung, Hilde Vanderport werde sich eher auf die Folter legen lassen, als daß sie die Treue, die sie ihm versprochen hatte, verriethe.

Indessen war die Zeit heran gekommen, wo die vorbereitenden Schauspiele wenigstens ihren Anfang nahmen. Schon langten mancherlei vornehme Gäste an und wurden in der Stadt einquartiert; andere dagegen zogen einstweilen nur durch, um dem schon unterwegs begriffenen Fürstenpaare sich entgegen zu begeben und dann erst im Gefolge desselben ihren eigentlichen Einzug in die Stadt zu halten.

Unter diesen Durchziehenden befand sich Einer, den die getreue Stadt schon mit einem Vorgeschmack der dem Fürsten zugedachten Ehren zu empfangen sich anschickte, und dem sie ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_300.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2021)