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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Die alte Dame schrak zusammen, als sei ein jäher Donnerschlag ihr zu Häupten hingerollt. „Ah, bist Du schon so früh zurück, Herbert?“ stotterte sie verlegen sich umwendend. „Du kommst ja wie hereingeschneit!“

„Keineswegs. Ich bin zur gewohnten Zeit zurückgekehrt und stehe seit lange hier in der offenen Thür, allein ich fand keine Beachtung.“ Mit diesen Worten kam er herüber. Er sah ernst, ja finster aus, und doch war es dem jungen Mädchen, als leuchte sein Blick blitzartig auf, indem er ihr Gesicht streifte.

„Ich würde mich sofort diskret zurückgezogen haben,“ wandte er sich an seine Mutter, „wenn die leidenschaftliche Verhandlung zwischen Dir und Margarete nicht auch mich anginge – Du weißt, ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Licht in die Angelegenheit zu bringen.“

„Auch jetzt noch, nachdem Du Dich hast überzeugen müssen, daß jeder gesetzliche Anhaltspunkt fehlt?“ fragte die alte Dame zitternd vor Aerger. Sie zuckte die Schultern. „Nun meinetwegen, steckt Fackeln an, um einen Schandfleck zu beleuchten – mehr werdet Ihr nicht erreichen! Dich, Herbert, begreife ich nicht! Es liegt doch auf der Hand, daß die Papiere – wenn sie je existirt haben, was ich durchaus bezweifle – aus gutem Gründen verschwunden sind. Sagst Du Dir nicht selbst, daß Du Dich mit diesem Aufbauschen des widerwärtigen Handels an Balduin schwer versündigst?“

„Wie – eine Versündigung nennst Du es, wenn ich mich bemühe, seine Schuld gut zu machen?“ zürnte ihr Sohn. „Uebrigens kommt es für mich gar nicht mehr in Frage, ob eine Vertuschung von Seiten des Verstorbenen stattgefunden oder nicht; ich vertrete hier das Recht des Lebenden, der nicht bestohlen werden darf. Ich weiß bereits zu viel, um es geschehen zu lassen, daß das Dunkel über dem ‚widerwärtigen Handel‘, wie Du die schwebende Frage nennst, verbleibt. Oder glaubst Du, ich würde mich je zum passiven Mitwisser einer verschwiegenen Schuld qualificiren? Margarete sagt, aus –“

„Komme mir nicht mit diesen Hirngespinsten!“ rief die Frau Amtsräthin, in erbitterter Abwehr beide Hände gegen ihn ausstreckend. „Man weiß zur Genüge, daß es für solch einen müßigen Mädchenkopf nur eines sehr geringen Anhaltes bedarf, um daran ein ganzes Gewebe von Phantastereien zu knüpfen.“

Der Landrath wandte den Kopf seitwärts nach dem jungen Mädchen. „Lasse es Dich nicht kränken, Margarete!“ sagte er.

„Was für ein liebevoll tröstender Ton!“ spottete seine Mutter. „Wirst Du mit einem Male ein zärtlicher Onkel, Du, der für Fanny’s Aelteste nie auch nur eine Spur von Sympathie gehabt hat? … Immerhin! Haltet zusammen gegen mich, die allein den Kopf oben behält! Mich werdet Ihr nicht überführen, es sei denn, daß ich’s Schwarz auf Weiß sähe!“

„Du wirst es Schwarz auf Weiß sehen, Mama!“ sprach Herbert ruhig und bestimmt. „Die Kirchenbücher in London werden nicht auch verbrannt sein.“

„O mein Gott! Damit sagst auch Du, Onkel, daß mein Vater die in seinen Händen befindlichen Papiere selbst vernichtet haben müsse?“ rief Margarete in einer Art von stiller Verzweiflung. „Es ist nicht wahr! Er hat es nicht gethan! Ich werde ihn vertheidigen und gegen diesen schmachvollen Verdacht ankämpfen, solange ich Athem in der Brust habe! … Ich bin der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß es keiner Reise nach London bedarf; die Papiere müssen sich hier finden, wir müssen besser suchen.“

„In dieser Illusion kann ich Dich leider nicht bestärken,“ entgegnete Herbert. „Der ganze schriftliche Nachlaß, alle Dokumente, selbst die Geschäftsbücher sind auf das Gewissenhafteste durchsucht worden, auch nicht das kleinste Briefblatt ist unseren Augen und Händen entgangen. Ich habe die ganze Beletage durchforscht, auch alle Fächer und Kasten der unbenutzten Möbel in den Gesellschaftsräumen.“

„In den Gesellschaftsräumen der Beletage, sagtest Du?“ fragte sie wie mit zurückgehaltenem Athem. „Und die Zimmer im Seitenflügel?“

Der Landrath sah sie groß an. „Wie hätte mir auch nur der Gedanke kommen können, dort zu suchen?“

„Im Spukzimmer der schönen Dore, das seit Jahren kein Menschenfuß betreten hat!“ setzte die Frau Amtsräthin mit Hohnlächeln hinzu. „Da siehst Du ja, Herbert, wie logisch es in solch einem kunterbunten Mädchengehirn zugeht!“

„Ich habe den Papa kurz vor seinem Tode hineingehen sehen,“ sagte Margarete scheinbar ruhig, aber ihre Stimme wankte vor innerer Bewegung. „Er hat sich damals eingeschlossen.“

„So gehen wir unverzüglich!“ rief der Landrath überrascht.

Sie flog hinunter, um die Schlüssel zu holen. Nach wenigen Minuten kehrte sie zurück und traf mit Herbert an der Thür des Flursaales zusammen; aber er war nicht allein; seine Mutter, in dicke, warme Shawls und Tücher gewickelt, ging an seinem Arme. Sie müsse doch auch dabei sein, wenn der Schatz gehoben werde, sagte sie mit einem spöttischen Seitenblicke auf die Enkelin.


27.

Margarete eilte voraus und schloß die Thür des Zimmers auf. – Zum ersten Male in ihrem Leben trat sie auf diese Schwelle, hatte sie das wundervolle Deckengemälde zu Häupten. Eine mit dem schwachen Hauche verdorrter Blumenreste gemischte, röthlich durchschimmerte Luft schlug ihr entgegen – die tiefstehende Nachmittagssonne fiel durch die rothen Klatschblumen der zermürbten, aber in den Farben ziemlich erhaltenen Brokatgardinen. Ueber diese Schwelle sollte die weiße Frau schlüpfen, und manche der Gespensterseher hatten auch die spinnwebige, furienhafte Frau Judith hinzu gedichtet; über diese Schwelle waren aber auch die Füßchen in den Hackenschuhen gehuscht, aus dem Prunkgemache nach dem Dachboden des Packhauses, und hatten die Leute im Hause erschreckt und die Sage von der wandelnden schönen Dore neu aufleben gemacht.

Die Frau Amtsräthin fuhr beim Eintreten mit dem Taschentuche durch die Luft. „Puh, was für eine häßliche Atmosphäre! Und diese Staubmassen!“ rief sie ganz empört und zeigte über die Möbel hin. – Da blinzelten allerdings Sammet- und Seidenschimmer und der Glanz der Vergoldung, die herrlichen Spiegelscheiben nur schwach durch den weißgrauen Staubschleier. „Und da willst Du uns weismachen, Dein Vater habe hier in seinen letzten Lebenstagen verkehrt, Grete? … Ich sage Dir, seit Jahren ist diese Thür nicht aufgemacht worden! … Nun, ein Wunder ist’s freilich nicht, wenn Du in dem Gange draußen alle möglichen Visionen gehabt hast – da ist’s ja zum Fürchten schrecklich!“

Margarete schwieg. Sie sah den Landrath bedeutungsvoll an und zeigte auf eine Fußspur, die über das staubige Parkett hinweg direkt nach dem Schreibtische am Fenster lief.

Herbert zog die Fenstergardinen aus einander, und der abgesperrte Sonnenschein kam breit herein und ließ in seinem blassen Golde die köstlichen Perlmutter- und Metallarabesken an dem Schreibtische matt aufleuchten. … Es war ein herrliches Stück Möbel mit geschweifter Tischplatte und einem mächtigen Aufsatze, dessen Mitte eine Schrankthür, zu beiden Seiten flankirt von einer Unzahl kleiner Schiebekasten, breit einnahm.

Die Frau Amtsräthin hatte ihren Kleidersaum aufgenommen und war, sichtlich betroffen, auch der Fußspur nachgegangen. Nun stand sie mit langem Halse hinter Sohn und Enkelin und konnte eine nervöse Spannung nicht verbergen.

Der Schrankschlüssel drehte sich leicht und willig unter Herbert’s Hand, und die Thür sprang auf. Der Landrath fuhr zurück, und die alte Dame stieß einen schwachen Schrei aus; über Margaretens Gesicht aber flog verklärend ein Gemisch von freudiger Ueberraschung und tiefer Wehmuth. „Da ist sie!“ rief sie wie erlöst von Angst und Spannung.

Ja, das war der herrliche Frauenkopf, wie ihn einst die Aristolochiabogen umrahmt hatten! Das war der unvergleichliche lilienhafte Schimmer der Haut, der die Mädchenstirn so unschuldsvoll leuchten gemacht, das waren die in tiefem Blau funkelnden Augensterne, über denen sich feine, dunkle Brauen wölbten! Nur die blonden, einst über Brust und Nacken hinabfallenden Mädchenzöpfe fehlten – das Haar thürmte sich wellig gelockt hoch über der Stirn, und in der matten Goldfluth glitzerten die Rubinsterne der schönen Dore. … Ah, deßhalb sollten diese Steine „nie wieder ein Frauenhaar schmücken, so lange er lebe“, wie der Verstorbene an jenem Gesellschaftsabend in so leidenschaftlicher Aufregung erklärt hatte! – Ja, diese Frau mit den Karfunkelsteinen war ebenso geliebt und beweint worden wie die erste, die wandelnde weiße Frau des Lamprecht’schen Hauses! Der alte Justus hatte sich nie wieder verheirathet und war ein finsterer,

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