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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Vorherrschen holzstengliger Pflanzen mit lederartigen Blättern. Die Pflanzen sind reich an flüchtigen Oelen, unter den wildwachsenden machen sich besonders die nelkenähnlichen und die lippenblumigen breit. Der Oelbaum, die Zwergpalmen, die Opuntien, welche schön gedeihen, deuten auf noch wärmere Länder hin, während nicht weniger Pflanzen aus dem Norden sich angesiedelt haben und es an jenen Seen gar nichts Seltenes ist, neben der Zwergpalme die Alpenrose zu erblicken.

Diese Art von Flora erinnert an zwei andere Pflanzengebiete, in welchen ebenfalls kältere und wärmere Einflüsse sich so nahe berührt haben wie in den Uferländern des Mittelmeeres. Es ist dies der Pflanzenwuchs des heutigen Japan, welches noch immer viele Eigenthümlichkeiten zur Schau trägt, insbesondere aber jene Pflanzendecke, welche in der tertiären Periode der Geschichte unserer Erdrinde über dem Festland grünte. Auch dort stand Lorbeer und Myrthe neben Weißdorn und Kornelkirsche. Heidelbeeren und Haidekraut gediehen unter Storaxbäumen, von welchen balsamduftiges Harz abtrieft. In Japan überzieht sich an Wintertagen das Wasser mit Eis, während seine sommerliche Gluth auch am Mittelmeer nicht ihres Gleichen hat.

Der Dichter hat vom geschmückten Throne des Frühlings gesprochen. Wenn der Letztere über unseren Erdtheil eingezogen ist, weilt er allerdings hier in besonderer Pracht und Herrlichkeit. Ist aber der Sommer hinabgeflohen weit übers Meer, den Ländern der Sonne und der Palmen entgegen, dann wird es hier so winterlich still, wie nur irgendwo in den mittleren Ländern unseres Erdtheils. Die Räder des Dampfers, welche die Fluth theilen, belegen sich mit dicken Eiskrusten. Viele der Baumstämme, aus deren Kronen es jetzt so süß herabduftet, sind dicht mit Stroh umwickelt. Unheimlich schimmert der weiße Schnee durch die Lichtfluth der Mondnacht von den nächsten Hügeln herüber. Weit hinaus in den See schwimmen die Eisschollen, welche der Ticino mit herabbringt. Das schmutzige Wintergrün der Olive über dem Schnee sieht aus wie eine sorgenvolle Erinnerung an die vergangenen Sommertage.

Es ist, wie wenn alljährlich über diese Seen eine Ahnung ihres Ursprunges hinzöge. Dort, wo im Sommer vor schützenden Mauern unter der obwaltenden Sorgfalt des Menschen die Orange ihren Duft aushaucht, tritt um ein halbes Jahr später der Winter herein wie eine schauerliche Gestalt verklungener Märchen und alter Sagen. Demjenigen, der für Solches Ohren hat, erzählt er von den Tagen, in welchen der See geboren wurde. Damals, als die großen Gletscher sich zurückzogen, klaffte hier ein tiefer Schlund. Draußen, weit südlich vom See, liegen noch die Stirnmoränen jener Gletscher, jetzt grüne Hügel, von Oelbäumen und Reben bedeckt und von manchem Heiligthume gekrönt. Dort, wo keine Kluft, kein Schlund war, blieben nur der Schlamm der Gletscher, ihr Geröll, ihre Seiten- und Mittelmoränen auf dem nassen Boden zurück, um alsdann von Wasserrinnsalen durchwaschen und ausgefurcht zu werden. Hierüber, im tiefen Felsabgrunde, hielt sich das Eis aufgetürmt. Lange Zeitläufte hindurch gelangte deßhalb das Geschiebe der einmündenden Wasser nicht auf den Grund. Endlich lösten sich auch diese Eismassen in Wasser, es entstand der See. Am See aber erhoben sich Jahrtausende später die Paläste mit Werken hoher Kunst geschmückt. Hier sieht man die wundervolle Entwicklung des Geistes in der Natur und den Sieg der Götter über die Titanen.


Unter der Ehrenpforte.

Von Sophie Junghans.
(Fortsetzung.)


Der junge Fürst zog am nächsten Morgen weiter, seinem Vater und dem fürstlichen Brautzuge entgegen, mit dem er eine halbe Tagereise von der Stadt zusammentreffen sollte. Das letzte Nachtquartier wurde von den hohen Reisenden im ehemaligen Kloster zum weißen Stein, kaum eine Stunde westlich vor der Stadt, genommen, damit am nächsten Morgen Pferde und Reiter frisch und ausgeruht, und ohne den Staub der Landstraße auf den Festgewändern, beim Einzuge erscheinen konnten.

Hierher hatte sich der Bürgermeister Herr Jakob Tiedemars zur ersten, man hätte sagen können vertraulichen Begrüßung seines fürstlichen Herrn begeben, denn hier erschien er gewissermaßen nur in eigner, privater Person, noch nicht in Vertretung seiner Stadt, nicht als Bürgermeister.

Der Landgraf hatte den ihm vertrauten Mann noch zu ziemlich später Stunde, nachdem der Hof die Nachtkost bereits eingenommen hatte, allein in seinem Gemache empfangen. Es war mancherlei, was den morgenden Tag betraf, zur Sprache gekommen, und der Doktor hatte nur Günstiges zu berichten gehabt, so daß der Fürst, nach seiner ernsthaften, etwas wortkargen Art, zufrieden und in behaglicher Laune erschien. Als ihm der Schlaftrunk in silberner Kanne gebracht wurde, schenkte er dem Bürgermeister eigenhändig ein und sagte dann, indem er seinen Becher zum Munde hob.

„Das bringt Euch Euer wohlgewogener Herr, Bürgermeister ... sprecht, kann ich Euch noch irgend was zu Liebe thun?“

Jetzt war der Augenblick gekommen, auf den der kluge Mann seit so manchem Tage unverrückt den Blick gerichtet hielt. Er gestattete es seinen beherrschten Zügen, einen sorgenvollen Ausdruck anzunehmen, während er begann: „Fast möcht’ ich sagen: leider ja ... Landgräfliche Gnaden, und nur Sie allein, können einem besorgten Vater das Herz erleichtern, wenn anders es Ihr fürstlicher Wille ist.“

Der Herr zog die buschigen Brauen in die Höhe. „Wie wäre das?“ fragte er in seiner kurzen Weise.

„Ich habe einen ungehorsamen Sohn, gnädiger Herr,“ sagte Tiedemars und seufzte. – „Nicht daß ich bisher über ihn zu klagen gehabt hätte. Eure Gnaden erinnern sich des Jünglings wohl, der vor drei Jahren am St. Michaelistage bei dem Festspiel aus Eurer hohen Hand selber den Preis für das Ringelstechen empfing und Eures fürstlichen Lobes vor Andern sich zu erfreuen hatte?“

Der Landgraf nickte bedächtig mit dem Kopfe. „Er hat seitdem gehalten, was er damals versprach,“ fuhr der Bürgermeister fort, „und auf den Schulen von Padua und Bologna gutes Lob davon getragen. Seit Kurzem ist er heimgekehrt, und ich dachte nun meines Alters Freude an ihm zu erleben. Denn der Bursche kann sich sehen lassen! Seinem Jus habe ich auf den Zahn gefühlt und mich schier verwundert ... er wird überall seinen Mann stehen. Aber ich dachte ihn als Adjunkten bei mir zu behalten und meinem gnädigen Herrn einen tüchtigen Diener an ihm zu ziehen, welcher dero Rechtssachen im Kopfe und am Herzen trüge ...“

„Nun?“ fragte der Landgraf, als Tiedemars eine Pause machte.

„Verzeihen Eure fürstlichen Gnaden, wenn ich zu breit werde. Aber Alles, was ich bisher vorgebracht habe, möge meinem gnädigen Herrn darthun, wie hart es mich ankommen muß, solche Hoffnungen sämmtlich in die Brüche gehen zu sehen. Ich will mich kurz fassen. Wir Alten sahen schon runde Enkel um uns herum ... seit Jahren ist es zwischen meinem und dem Hause eines achtbaren Bürgers und meines Gevatters, des Herrn Peter Külwetter, abgesprochen, daß unsere Kinder, mein Sohn – alles was ich von Nachkommen habe – und seine einzige Tochter, ein Paar werden sollten. Die Jungfer Külwetter ist unter unsern Augen aufgewachsen, ein Mädchen wie Milch und Blut und dem Georg von ganzer Seele ergeben. Er aber weigert sich jetzt, seines Vaters Wort einzulösen. Ich wußte nicht anders, als daß er der Dirne herzlich gut sei ... die Aussteuer liegt bereit, die Truhen sind gepackt, sozusagen, und das Kränzel gewunden – denn noch vor dem Herbste sollte die Hochzeit sein. Da läßt zur elften Stunde noch mein sauberer Patron von Sohn die Augen umherschweifen und siehe da, er entdeckt eine Andere, welche ihm besser als der alte Schatz gefällt ... und all das Hoffen der Alten – der Mutter auf die Herzensfreude an dem jungen Hausstand, des Vaters auf die Stütze, die er an dem ansässigen, als ehrbarer Bürger und geschickter Jurist neben ihm lebenden Sohn haben werde – das Alles bläst der frevle Eigenwille des Burschen wie ein Kartenhaus über den Haufen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_314.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)