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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

eine warme Hülle über Deinen Tollkopf zu werfen, und bei alledem hast Du Dich rettungslos verflogen und wirst obendrein Deine Glückwünsche nicht loswerden, es sei denn, daß wir umkehrten und dem Prinzen Albert von X. und seiner Braut unsere Aufwartung machten. Aber Du wirst einsehen, daß Dein windzerzauster Lockenkopf in diesem Augenblick nicht gerade salonfähig ist.“

Jetzt hatte sie sich losgerissen. „Dein Glück macht Dich übermüthig!“ stieß sie in schmerzlichem Zorn hervor. „Das ist ein grausamer Scherz!“

„Ruhig, Margarete!“ mahnte er mit sanftem Ernst, indem er sie wieder an sich zog und ihre widerstrebende Hand fest in seine Linke nahm. „Ich scherze nicht. Fräulein von Taubeneck ist nach längerem Hoffen und Harren endlich mit hoher, landesherrlicher Bewilligung die Braut des Prinzen von X. geworden; und jetzt darf es ja ausgesprochen werden, daß ich in dieser Angelegenheit der Vermittler gewesen bin. Die rothe Kamelie, mit welcher ich neulich dekorirt wurde, war ein Dankesausdruck für meine sieggekrönten Bemühungen … Darin also hast Du schwer geirrt. Dagegen muß ich Dir nach einer anderen Seite hin Recht geben. Ich bin wirklich übermüthig! Ich triumphire! Ist mir nicht mein Glück von selbst in die Arme gelaufen? Ja, bist Du nicht gekommen ,in Sturm und Regen‘, getrieben von böser Eifersucht, die ich längst in Deinem Herzen gelesen habe? Denn Du bist und bleibst die Grete, deren gerades, offenes Wesen keine Weltpolitur hat schädigen können. Nun leugne noch, wenn Du kannst, daß Du mich liebst –“

„Ich leugne nicht, Herbert!“

„Gott sei Dank, er ist begraben, der alte Onkel! Und Du bist fortan nicht meine Nichte, sondern –“

„Deine Grete –“ sagte sie mit schwacher Stimme, von dem jähen Wechsel zwischen Glück und Leid völlig überwältigt.

„Meine Grete, meine Braut!“ ergänzte er mit siegerhaftem Nachdruck. „Nun wirst Du auch wissen, weßhalb ich es abgelehnt habe, Dein Vormund zu werden.“

Er hatte sich längst so gestellt, daß er sie mit seiner hohen Gestalt vor dem brausenden Winde schützte; nun bog er sich nieder und küßte sie innig; dann nahm er den Seidenshawl von seinem Halse und band ihn sorglich über ihr unbedecktes Haar.

Nunmehr schritten sie in raschem Tempo der Fabrik zu; und dabei erzählte er der Aufhorchenden, daß er von der Universitätszeit her mit dem jungen Fürsten von X. befreundet sei. Derselbe habe ihn gern und gebe viel auf sein Urtheil. Vor einem halben Jahre nun habe der jüngere Bruder des Fürsten die schöne Heloise am Hofe ihres Onkels kennen gelernt und eine tiefe Neigung für sie gefaßt. Diese Neigung sei auch von ihrer Seite erwidert worden, und ihr Onkel, der Herzog, habe dieselbe begünstigt. Dagegen sei der fürstliche Bruder ein entschiedener Gegner der Verbindung gewesen, auf Grund der illegitimen Geburt der jungen Dame. Der Herzog habe schließlich ihn, Herbert, in das Geheimniß gezogen und die Vermittelung in seine Hand gelegt, und daß dieselbe zum glücklichen Ziele geführt, beweise die heutige Feier im Prinzenhofe.

„Hast Du das wundervolle Klavierspiel gehört?“ fragte er zum Schluß.

Sie bejahte.

„Nun, das war er, der Bräutigam, der sein Glück in alle Lüfte hinaus jubelte … Morgen wird unsere gute Stadt auf dem Kopfe stehen vor Erstaunen über das Ereigniß. An beiden Höfen ist das strengste Stillschweigen beobachtet worden, und daß ich das Geheimniß ebenso streng behütet habe, versteht sich von selbst. Nur mein guter Papa hat darum gewußt. Ich hätte es nicht ertragen, wenn er auch nur stutzig geworden wäre gegenüber dem allgemein kolportirten, albernen Märchen von meiner Bewerbung um Fräulein von Taubeneck’s Hand! … Aber mit Dir habe ich nun noch eine Rechnung abzumachen. Du hast mich für einen Erzbösewicht verschrieen, hast mir die schnödesten Bitterkeiten gesagt über mein Buhlen um Fürstengunst; einer jener gewissenlosen Streber sollte ich sein, die, über das Lebensglück Anderer hinweg, die höchste Spitze des ‚Kletterbaums‘ zu erreichen suchen, gleichviel, ob sie für eine hohe, verantwortliche Stellung befähigt sind oder nicht, und was dergleichen schöne Dinge mehr sind – was hast Du darauf zu sagen?“

„O, sehr viel!“ antwortete sie, und wenn es nicht tiefdunkle Nacht gewesen wäre, so hätte er sehen müssen, wie das liebliche, schalkhafte Lächeln, das ihn beim ersten Wiedersehen an der „übermüthigen Grete“ überrascht und entzückt hatte, ihr Gesicht belebte. „Wer hat mich geflissentlich in dem Glauben bestärkt, daß der Landrath Marschall um die Nichte des Herzogs freie? Du selbst. Wer hat das schlimme Feuer der Eifersucht in einem armen Mädchenherzen entfacht und böswillig zur hellen Flamme angeblasen? Du, nur Du! Und wenn ich anfänglich nicht glauben konnte, daß Du Liebe, wahre, tiefe Liebe für die schöne, aber erschrecklich indifferente Heloise fühltest, so geschah das aus Respekt vor Deiner geistigen Ueberlegenheit, und ich mußte, wie die böse Welt auch, zu dem Schluß kommen, daß die weißen Hände der herzoglichen Nichte erkoren seien, Dich auf die höchste Staffel des Kletterbaumes, den Ministerposten, zu heben … Abbitten werde ich nicht mehr – wir sind quitt! Du hast selbst glänzend Revanche genommen. Denke nur an das arme Mädchen, das Du bei Nacht und Nebel zu einem ‚Gang nach Canossa‘ getrieben hast!“

Er lachte leise in sich hinein. „Das konnte ich Dir nicht ersparen – ich habe ja selbst dabei gelitten. Aber es war doch schön, zu beobachten, wie Du mir Schritt um Schritt näher kamst! … Nun aber genug des Kampfes! Friede, seliger Friede sei zwischen uns!“ Er schlang seinen Arm um ihre Schultern, und nun ging es in wahrem Sturmschritt fürbaß.


29.

Am anderen Morgen war es, als sei die gute Stadt B. durch plötzlichen kriegerischen Trommelwirbel aus dem gewohnten Geleise des Werkeltages aufgeschreckt worden. Das Gerücht von der Verlobung im Prinzenhofe lief von Mund zu Mund, und daß keine Menschenseele auch nur „eine blasse Ahnung“ davon gehabt hatte, ja, daß selbst die Damenkränzchen mit ihrem unbestrittenen Monopol für Spürsinn und Kombinationen so stockblind gewesen waren, das machte allerdings die Leute nahezu auf dem Kopfe stehen.

Durch das Stubenmädchen kam auch die alarmirende Nachricht brühwarm in das Schlafzimmer der Frau Amtsräthin.

„Unsinn!“ rief die alte Dame verächtlich, fuhr aber doch mit beiden Füßen aus dem Bette und stand nach wenigen Minuten in Schlafrock und Nachthäubchen vor ihrem Sohne.

„Was ist das für ein fabelhaft dummes Gerede über Heloise und den Prinzen von X., das die Bäckerjungen und Metzgerfrauen von Haus zu Haus tragen?“ fragte sie, das Thürschloß in der Hand.

Er sprang auf von seinem Schreibstuhl und bot ihr die Hand, um sie tiefer ins Zimmer zu führen; aber sie wies ihn zurück. „Lasse das!“ sagte sie hart. „Ich habe nicht die Absicht, hier zu bleiben. Ich will nur wissen, wie es möglich ist, daß ein solch grundloses Gerücht entstehen konnte.“

Er zögerte einen Moment. Sie that ihm leid, daß sie diesen bitteren Kelch leeren mußte, wenn sie auch selbst die Schuld trug; aber nun sagte er ruhig: „Liebe Mama, die Leute reden die Wahrheit, Fräulein von Taubeneck hat sich allerdings gestern mit dem Prinzen von X. verlobt.“

Das Thürschloß entglitt ihrer Hand – sie fiel fast um. „Wahr?“ stammelte sie und griff nach ihrer Stirn, als zweifle sie an ihrem eigenen Verstande. „Wirklich wahr?“ wiederholte sie und sah ihren Sohn mit funkelnden Augen an; dann brach sie in ein hysterisches Gelächter aus und schlug die Hände zusammen. „Da hast Du Dich ja schön an der Nase herumführen lassen!“

Er blieb vollkommen gelassen. „Ich bin nicht geführt worden, wohl aber habe ich das Brautpaar zusammengeführt,“ entgegnete er ohne die mindeste Gereiztheit und knüpfte daran mit wenig Worten die Mittheilung des Sachverhaltes.

Sie hatte ihm, während er sprach, immer mehr den Rücken gewendet und nagte erbittert an der Unterlippe. „Und das Alles erfahre ich jetzt erst?“ fragte sie, nachdem er geendet, mit zuckenden Lippen über die Schulter zurück.

„Kannst Du von Deinem Sohne wünschen, daß er ein ihm anvertrautes Geheimniß vor Damenohren laut werden läßt? Ich habe nach Möglichkeit gegen Deinen Irrthum angekämpft; ich habe Dir oft genug erklärt, daß mir Fräulein von Taubeneck vollkommen gleichgültig sei, daß es mir nicht einfiele, mich je ohne

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