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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Gärten, Felder und Dörfer erreiche und es sei kein besserer Weg zu finden, dann solle der Eigenthümer des Gartens oder Feldes oder Dorfes in gerechter Weise sagen, wieviel an Waaren er für die Zerstörung seines Eigenthums verlange, und nach der Bezahlung solle die Straße in Zukunft ungestört bleiben, und Niemand brauche etwas zu bezahlen, wer dieselbe passirt. Die jungen Leute aus den verschiedenen Distrikten, welche sich durch Arbeit Geld zu verdienen wünschen, haben die volle Erlaubniß, sich auf so lange Zeit engagiren zu lassen, wie es ihnen beliebt. Es solle dadurch keine Schwierigkeit entstehen, und wenn die Wagen durch diesen Distrikt kommen, solle jedes Dorf Hilfe senden, dieselben weiterzuziehen, bis sie den Distrikt passirt haben, und wenn das Dorf nicht Leute genug habe, sollen demselben die benachbarten Dörfer helfen.‘“

Auf Grund dieser Koncession begann Stanley das Riesenwerk. Es wurde glücklich vollendet, obgleich er dabei den Tod von 6 Europäern und 22 seiner schwarzen Leute zu beklagen hatte, obgleich er nicht allein mit den Hindernissen der wilden Natur, sondern auch mit dem Aberglauben der Eingeborenen kämpfen mußte. Als er im Begriff stand, die tiefen, hohen Wälder des Njongena zu durchdringen, waren seine eingeborenen Hilfskräfte von Besorgniß erfüllt. Böse Geister, behaupteten sie, noch schlimmer als diejenigen von Inga, bewachen den Wald, und schon mancher unglückliche Wicht aus dem Innern, der seine Tiefen durchschreiten wollte, ist aus dem Bereiche der Menschen entführt worden. Als sie jedoch sehen, daß die übrigen Arbeiter diese Furcht nicht theilen und gemeinsam zum Angriff gegen die gezeichneten Bäume vorgehen, als die Aexte gehandhabt werden, das zähe, harte Holz zu Boden stürzt und es in der unbekannten Gegend Licht wird, da fassen sie wieder Muth und beginnen mit den scharfen Hacken das kleine Unterholz auszurotten und mit Plantagemessern die Oeffnung und den Blick zu erweitern.

So schreitet der Bau der Straße vorwärts. Dann wird der schwere mit dem Dampferboot beladene Wagen über steile Hügel geschafft – bald schallt dabei durch den Wald der monotone Gesang der Afrikaner, bald hört man ein lautes kräftiges „Hip, hip, hip, Hurrah“, wenn die Mannschaft auf der Krone des Hügels angelangt ist. Felsen versperren den Weg, aber sie werden fortgeräumt, gesprengt – Bula Matari’s Name bewährt sich und steigt im Ansehen bei den Eingeborenen.

„Ein seltsames Kapitel“ nennt Stanley diese Abtheilung seines Werkes – seltsam und wunderbar ist es in der That!

Als Stanley an einem Sonntag während des Straßenbaues in sein Lager zurückgekehrt war, stürzte ihm ein junger Eingeborener entgegen und überreichte ihm einen Papierstreifen, auf welchem die mit Bleiftift geschriebenen Worte standen: „Le comte Savorgnan de Brazza“. Eine Visitenkarte im Urwald! Ob sie Stanley freudig überraschte? Wie er selbst gesteht, kannte er damals noch nicht die Bedeutung des französischen Forschers – er ahnte nicht, daß ein gleichwerthiger Rival ihm gegenüber stand, der schon am Stanley-Pool die Station Brazzaville besetzt hatte, während sich Stanley erst anschickte, Leopoldville zu gründen. Vor dem Sergeanten Malamine, den Brazza dort zurückgelassen, mußte Stanley vom rechten auf das linke Kongo-Ufer weichen. Er hat das Gebiet nie wieder erobert, er mußte auf der Berliner Konferenz noch mehr dem gallischen Nachbar ausliefern.

Mit Stanley’s Erscheinen am Stanley-Pool, jener seeartigen Erweiterung des Kongo, beginnt der interessanteste, spannendste Theil seines großen Werkes. Bis jetzt hat er den Widerstand der Natur zu bezwingen gewußt, nun muß er Menschen zwingen. Schwierig war jener Kampf, dieser wird aber noch schwieriger. Auch der Wilde ist die Spitze der Schöpfung, und seine Schlauheit und List sind nicht minder gefährlich wie die fieberschwangere Luft der Sumpfniederungen.

Die Gründung von Leopoldville hat eine seltsame Geschichte, voll von zwar unbedeutenden, aber interessanten Ereignissen, welche sich um zwei im Mittelpunkte stehende Personen drehen, um die „Blutsbrüder“ Ngaljema und „Bula Matari“.

„Ohne Zweifel,“ sagt Stanley, „ist ‚Bula Matari‘ bekannt, wenigstens glauben viele, die seine Werke über Afrika gelesen haben, sich eine Idee von dem Manne machen zu können; allein wer könnte Ngaljema beschreiben, ohne im Einzelnen die vielen erklärenden Vorfälle zu schildern, welche seinen eigenen Blutsbruder erst nach geduldigem Studium diesen Mann ganz verstehen ließen.“

Wer ist denn Ngaljema? Ein mächtiger Häuptling? Ja, für eine solchen hielt ihn Stanley, als er auf seiner ersten denkwürdigen Kongofahrt mit ihm die Blutsbruderschaft schloß, als solchen begrüßte er ihn und als solchem vertraute er ihm, da er zum zweiten Male nach dem Stanley-Pool gekommen war. Von ihm hatte auch Stanley Land in Kintamo zur Gründung einer Station gegen viele Geschenke gekauft, denn Ngaljema wußte zu rechnen und kostete der Expedition mehr als alle andern Häuptlinge am Kongo zusammen. Aber Ngaljema verkaufte, was nicht sein Eigenthum war. Er war kein Häuptling, sondern nur ein geschickter Elfenbeinhändler, der sich großen Reichthum (Stanley schätzte seine Waarenvorräthe auf 60 000 Mark) erworben und seine Macht durch kluge Heirathen befestigt hatte. Er war außerdem ein Fremder im Lande, der nur mit Erlaubniß der eingeborenen Häuptlinge sich in demselben niederließ. In Folge dieses falschen Kaufes gerieth Stanley in die größten Verlegenheiten und Verwickelungen, wobei Ngaljema bald als der größte Feind seines Blutsbruders sich geberdete. Wir können hier unmöglich ein vollständiges Bild dieser romanartigen Vorgänge geben, die viele Kapitel füllen – nur eine Episode möchten wir erzählen, die eine der Künste veranschaulicht, mit welchen Stanley seinen „Freund“ zu einem fügsamen Menschen zu erziehen wußte.

Durch einen Boten des befreundeten Königs Makoko erfuhr Stanley, daß Ngaljema mit Gewehren aufgebrochen sei, um ihn aus dem Lande zu vertreiben.

„Das waren nicht sehr angenehme Nachrichten,“ schreibt der Verfasser, „die keineswegs dazu dienten, mich in sanften Schlummer und ruhiges Vergessen einzuwiegen. Daß Ngaljema 18 km so rasch zurückgelegt hatte und so plötzlich erschien, deutete darauf hin, daß seine Absicht ernst und sein Entschluß, meine soeben voll erblühten Hoffnungen auf eine friedliche Lösung der Angelegenheit zu zerstören, ein unbeugsamer war.

Der folgende Tag, Dienstag der 8. November, begann mit triefendem Regen, doch brach die Sonne gegen 10 Uhr durch und der Tag versprach schön zu werden.

Ngoma’s Dorf, in dessen Nähe das Lager aufgeschlagen war, liegt auf einem schmalen, aber ebenen Ausläufer der östlichen Abhänge des Ijumbi-Berges, von denen noch mehrere ähnliche Rücken hervorragen, die durch bewaldete oder mit Unterholz bedeckte Schluchten – die Betten kleiner krystallheller Ströme – von einander getrennt werden. Auf dem, dem unsrigen zunächst gelegenen Ausläufer stand das Residenzdorf Makoko’s und wir erwarteten deßhalb aus dieser Richtung das Herannahen Ngaljema’s, was freilich, wenn erst die offenen Feindseligkeiten erklärt waren, ohne die Gefahr vollständiger Vernichtung gänzlich unmöglich war. Ngaljema, obgleich ein Barbar, war jedoch viel zu schlau, um seine Operationen auf diese Weise zu beginnen, viel wahrscheinlicher war, daß er im Vertrauen auf die frühere Brüderschaft und das gegenseitige Austauschen von Höflichkeiten, mit lächelndem Gesichte die brüderliche Liebe zur Schau tragend, zur prahlerischen und lärmenden Begrüßung ins Lager kommen und hoffen würde, uns beim geselligen Trinken des Palmweins zu überraschen.

Ich ließ daher meinen Leuten durch meinen Zeltdiener sagen, sie sollten sich am äußersten Ende des Ausläufers, wo sie von etwaigen Spionen auf Makoko’s Hügel nicht gesehen werden konnten, versammeln, und begab mich wenige Minuten später selbst dorthin, um mich zu überzeugen, daß sie auch wirklich Alle am Platze seien.

Die Instruktionen, welche ich ihnen ertheilte, waren nur kurz, damit sie dieselben besser im Gedächtniß behalten könnten:

‚Gehe Jeder von Euch in seine Hütte und lege den Patronengürtel um, achtet Alle darauf, daß die Taschen mit Patronen gefüllt sind. Legt Eure Gewehre unter die Schlafmatten oder Grasbetten. Ihr Alle, mit Ausnahme von Susi’s (20) Leuten, vertheilt Euch dann in dem Busche auf dieser Seite des Hügels. Einige legen sich im ‚En Avant‘[1] auf dem Wagen, andere hinter meinem Zelte, ein Dutzend im Vorrathszelte nieder und Einige bleiben als angeblich Kranke in den Hütten. Einerlei wie viel Leute ins Lager kommen oder was Ihr hört, Ihr dürft Euch nicht von der Stelle rühren, bis Ihr den Gong hört. Aber wenn Ihr den Gong hört, dann springt Alle auf, ergreift Eure Gewehre, stürzt, wie Verrückte schreiend, herauf und schwingt die Gewehre so wüthend, wie die Ruga-Ruga von Unjamwesi! Habt Ihr verstanden?‘

‚Inschallah!‘[2] riefen sie.

Susi’s Abtheilung mußte sich dagegen auf dem offenen Terrain niedersetzen und eine gleichgültige indolente Haltung annehmen.

Eine Viertelstunde später sah ich eine lange Reihe von Männern an Makoko’s Hügel nach dem zwischenliegenden Thale hinabsteigen; ich zählte im Ganzen 197 Personen jeglichen Ranges in der Expedition Ngaljema’s. Trommeln, Trompeten und Eingeborenenmusik kündigten an, daß der Häuptling in großem, feierlichem Staatsaufzuge komme.“ – –

Wir übergehen den spannenden Dialog, der sich nunmehr zwischen den beiden Blutsbrüdern entwickelte und den Ngaljema mit folgenden Worten unterbrach:

„Genug, genug!“ schrie er. „Ich sage Dir zum letzten Male, daß Du nicht nach Kintamo kommen sollst. Wir wollen keine Weißen in unserer Mitte haben. Laß uns gehen, Endjeli!“

„Mit diesen letzten Worten,“ fährt Stanley fort, „schob er die Thür des Zeltes beiseite und schritt hinaus, während die unterdrückte Leidenschaft deutlich in seinen Zügen zu lesen stand. In der Nähe des Zeltes


  1. Der kleine Dampfer, den Stanley mit sich führte.
  2. „Wie Gott will.“ Die Sansibar-Neger sind bekanntlich Mohammedaner.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_331.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2024)