Seite:Die Gartenlaube (1885) 347.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

dem Dahingeschiedenen die letzte Ruhestätte bereiten! Freunde und Nachbarn beten an seinem Sterbelager, auf ihren Schultern tragen sie ihn hinaus und übergeben ihn dem Schoße der Muttererde. –

Doch lassen wir die Todten ruhen, und wenden wir uns wieder der schönen Gotteswelt zu, die uns mit so eigenem Zauber umfängt. Verlockend zieht die Pezinaspitze immer wieder den Blick auf sich, und wohl dem, der sich die geringe Mühe, die ihre Besteigung erfordert, nicht verdrießen läßt: eine herrliche Aussicht ist der Lohn für verhältnißmäßig wenig Anstrengung. Zwar beschränkt das unmittelbar vor uns liegende Blankahorn die Aussicht nach Westen, doch links davon erblickt man die großartigen Formen der Kuchenspitze, der sich die Silvrettagruppe anschließt, daneben den eisbedeckten Piz Buin, die Jamthalergletscher und das zerklüftete Fluchthorn. Im Süden ragen die gewaltigen Riesen des Engadin hervor, neben ihnen die Kaunser- und Oetzthalerferner. Daran reiht sich das Wilde Kaisergebirge, der Solstein bei Innsbruck und das Wettersteingebirge mit der Zugspitze. Nach Norden zieht sich das Kalkgebirge hin, welches mit der Passeierspitze das Panorama abschließt. Hat das Auge lange genug geschwelgt in dem Anblicke der herrlichen Rundsicht, so mag der Abstieg nach Langestheye beginnen, der über den unvergleichlich schönen Kapplerberg nach dem lieblichen Kappl führt, wo uns in dem saubern, freundlichen Gasthaus „Zum Löwen“ bei herrlichem Weine und guten Forellen Erquickung winkt.

Ullmich.

Abend ist es geworden. Leise verklingen die Glocken, die den kommenden Feiertag einläuten. Vor den Häusern sitzen die Männer, in stiller Beschaulichkeit ihre nimmer erkaltende Pfeife rauchend; Weiber und Mädchen stehen plaudernd, an den unvermeidlichen Wollstrümpfen emsig nadelnd, zusammen.

Allmählich bricht dann die Nacht herein, eine klare, wunderbare Mondnacht voll zauberischen Reizes. Lautlose Stille liegt über Berg und Thal, nur von ferne dringt das Rauschen der Trisanna oder der Schrei eines Nachtvogels an das Ohr. Kein Mißton unterbricht die hehre Einsamkeit, die ganze Natur athmet Ruhe, Frieden. Im klaren Mondlicht heben sich die schneebedeckten Zacken der mächtigen Fastnichtsspitze in scharfen Umrissen vom nächtlichen Himmel ab. Doch was bewegt sich dort oben? Sind das nicht menschliche Gestalten, die aus dem Schatten des Felsens treten? Schwer bepackt, hart an die Felswand gedrückt – kaum scheint es möglich, daß dort ein Pfad führt – schreiten sie vorwärts. Sie machen Halt; nur einer der Männer wagt sich weiter vor. Plötzlich blitzt es auf; in weiten Sätzen, einen Schrei ausstoßend und den Pack wegwerfend, flieht der Voranschreitende, verfolgt von Zweien, deren Waffen im hellen Mondschein glitzern. Des Ersteren Gefährten sind verschwunden, als hätte sie der Boden verschlungen. Grenzwächter und Schwärzer sind an einander gerathen – selbst noch auf diesen unwirthlichen Höhen wogt der Kampf ums Dasein! Und welches sind wohl die Kostbarkeiten, um deren Erlangung diese Menschen ihr Leben wagen? Die benachbarte Schweiz liefert billigen Tabak und Kaffee, und erst seitdem im eigenen Lande der Zoll auf letzteren bedeutend erhöht wurde und dadurch der Preis stieg, nahm der Schmuggel wieder neuen Aufschwung.

Selten kommt es indessen zu scharfen Reibungen zwischen Grenzwächtern und Schwärzern, da diese, die sich vor allem die Befolgung des „elften“ Gebotes angelegen sein lassen, in ihrer angeborenen Gutmüthigkeit den ihnen nachspürenden Finanzern in richtiger Würdigung ihres mühevollen Berufes keinen Groll nachtragen, um so weniger, als letztere bei der Ueberzahl der Schwärzer fast immer den kürzeren ziehen, oder die „Gefoppten“ sind. So wurde einmal ein größerer Zug verabredet, an dem sich auch ein junger Bursche betheiligen sollte, dessen Schuhwerk jedoch erst einer gründlichen Reparatur bedurfte, die in der gegebenen, kurzen Frist nicht mehr ausgeführt werden konnte. Doch unser Bursche weiß sich zu helfen. Der Schuster hat soeben für einen Finanzer ein Paar neue Stiefel fertig gemacht, die leiht sich unser Bursche und geht nun wohlgemuth mit den Schwärzern, während der berufseifrige Grenzwächter daheim über den langsamen Schuster flucht. – Die Erzählung derartiger Erlebnisse aus dem Schmugglerleben, heiterer und grausiger, bildet ein Hauptvergnügen der Paznauner für die langen Winterabende, und es ist ergötzlich zu sehen, wie bei spaßhaften Geschichten den sonst so ernsten Paznaunern der Schalk um Mund- und Augenwinkel zuckt.

So schön auch Kappl ist, müssen wir doch weiter ziehen. Hier und da treffen wir eine Kapelle oder ein Feldkreuz, das frommer Glaube am Wege aufgestellt hat; dann gemahnen uns die sich wieder häufiger findenden „Marterln“, daß wir ein gefährliches Stück Thal durchwandeln. Jetzt im fröhlichen Sonnenscheine, den lachenden, blauen Himmel über sich, kann man es nur schwer begreifen, mit welcher Zerstörungswuth hier oft die entfesselten Naturkräfte hausen. Wenn aber die zahlreichen Quellen und Bächlein, die mit ihren zierlichen,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_347.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2024)