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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

jeder Willkürlichkeit – für diesen Fall die Geschworenenbank zu suspendiren. Das machte freilich, wie unschwer vorauszusehen, auf die öffentliche Meinung einen noch schlimmeren Eindruck, als vielleicht ein Kriegsgericht gemacht hätte. Aber was war dem bonaparte'schen Säbelskepter die öffentliche Meinung? Ein Windhauch.




6.0 Wie die Pariser die Verschwörung bewitzelten und wie ihr Witz eine Maulschelle abbekam.

Die angeordneten Verhaftungen wurden vollzogen. Moreau ist in seinem Wagen auf der Brücke von Charenton zwischen Grosbois und Paris aufgehoben und in den Temple gebracht worden – mit aller Höflichkeit, versteht sich. Innerhalb der Mauern der alten Templerburg, allwo Ludwig der Sechszehnte geseufzt, Marie Antoinette geweint und der unglücklichste aller Dauphins das Martyrium jakobinischer Rohheit durchgelitten hatte, konnte der General darüber nachdenken, was dabei herauskomme, wenn der Ehrgeiz eines Menschen beträchtlich viel länger ist als sein Verstand. Der Großrichter Régnier richtete eine amtliche Botschaft an die drei großen Staatskörperschaften, welche die Komödie des Parlamentarismus zu agiren hatten, um denselben die Verschwörung und was dagegen vorgekehrt wäre bekanntzugeben. Als die Neuigkeit in der Stadt bekannt wurde, nahm sich der vorhin erwähnte Windhauch doch heraus, etwas schneidend oder wenigstens spöttisch zu blasen. „Eine Verschwörung Moreau's? Ach, das sollte wohl heißen: eine Verschwörung gegen Moreau?“ Oder: „Die ganze Geschichte ist eine Fabel, aber eine schlecht ersonnene.“ Oder: „Cadoudal und Pichegru seien die Hauptverschwörer? Hat man sie? Bewahre! Sind sie in Paris? Ja, vielleicht in Gedanken.“ Derartige Witzeleien fanden natürlich großen, obzwar nur hehlings kichernden Beifall und es bewahrheitete sich eben auch hier wieder, daß die liebe öffentliche Meinung gar häufig nichts anderes ist als ein aus dem hohlen Bauch der Unwissenheit oder aus der vollen Gallenblase der Bosheit hervorgegurgelter Klatsch.

Nun war aber dazumal Bonaparte gegen den besagten Windhauch noch etwas empfindlich, was er sich später gründlich abgewöhnt hat. Er gerieth daher in eine Zornwallung, welche bis zur Wuth gesteigert wurde durch den Umstand, daß die Pariser oder wenigstens viele Pariser in ihrem Unglauben an die zweifellose Thatsache des Komplotts beharrten, noch mehr aber dadurch, daß die mit Bouvet und Picot fortgesetzteu Verhöre immer Bedenklicheres ergaben. Insonderheit dieses, daß unter den nach Paris gekommenen Verschwörern vornehme Herren aus der nächsten Umgebung der bourbonischen Prinzen sich befänden, De Rivière und die Polignacs. Weiterhin, daß mit dem nächsten Emigrantentrupp, welcher im Februar bei Biville landen sollte, der Graf von Artois oder der Herzog von Berry oder beide kommen würden, um sich an die Spitze der Angreifer des Ersten Konsuls zu stellen. Endlich, daß Pichegru seine alten Bekanntschaften im Gesetzgebenden Körper und im Tribunat, ebenso Moreau seinen Einfluß im Senat und seine Autorität in der Armee geltend und fruchtbar machen sollten, um durch die gemeinsame Wirksamkeit von allen diesen Hebeln die Wiederaufrichtung des bourbonischen Throns zu bewerkstelligen.

Es liegt kein Grund vor, zu bezweifeln, daß Bonaparte an die Thatsächlichkeit dieses Schreckgemäldes in dessen ganzem Umfange geglaubt habe, und darum ist es auch glaubhaft, daß der Mythograph und Glorificirer des Bonapartismus, Monsieur Thiers, die Wahrheit sage, wenn er meldet, daß der Erste Konsul in wilde Drohungen gegen die Bourbons ausgeborsten sei und erklärt habe, er würde jeden Prinzen, dessen er habhaft werden könnte, erschießen lassen. Er ging auch unverweilt auf die Habhaftwerdung aus. Der Oberst Savary, Kommandant der Elitegendarmerie, welchen er als ein verlässliches, völlig skrupelfreies, zu jedem Dienst bereites Werkzeug kannte, erhielt Befehl, mit einer Schar seiner Leute stracks nach der Normandie abzugehen und in aller Heimlichkeit auf der Höhe der Klippen von Biville einen Lauerposten zu beziehen um die landenden Emigranten, mit welchen der oder die Prinzen kommen sollten, abzufangen und nach Paris zu liefern.

Derweil dieser Befehl zur Ausführung kam, rückte auch der verhaftete Lajolais mit Geständnissen heraus. Immerhin jedoch nur soweit, als er bekannte, nach London gereist zu sein und Pichegru mit nach Paris und zu Moreau gebracht zu haben – einzig und allein, wie er sagte, damit der letztere für die Heimberufung des ersteren sich verwende. Lajolais ahnte nicht, wie sehr er mit diesem halben Geständniß Moreau beschwerte, weil die Regierung ja schon von anderwärtsher die Verbindung Pichegru's mit Cadoudal und die Zusammenkünfte des Generals mit den beiden Verschwörern kannte. Moreau hinwiederum hatte keine Ahnung, daß Lajolais verhaftet wäre und überhaupt etwas gestanden hätte, und daraus erklärt sich sein Gebaren gegenüber dem Großrichter Régnier, der im ganzen Pomp seines Amtes zum Temple gefahren kam, um den Sieger von Hohenlinden zu verhören. Dieser benahm sich hierbei ebenso ungeschickt als unehrlich, indem er sich durch den Großrichter in einen ganzen Knäuel kläglicher Lügen verwickeln ließ. Régnier befragte ihn über seine Beziehungen zu Lajolais, Pichegru und Cadoudal. Moreau erwiderte, er wisse nichts von solchen Beziehungen. „Aber Sie haben doch die Genannten gesehen und gesprochen?“ „„Nein, weder gesehen noch gesprochen. Ich begreife auch gar nicht, warum man mich mit solchen Fragen behelligt.““ Der Großrichter trug dieses Ergebniß des Verhörs in die Tuilerien und nach erstattetem Bericht soll der Erste Konsul ausgerufen haben: „Nun denn, wenn er sich mir nicht entdecken und anvertrauen will, so mag die Sache ihren gerichtlichen Verlauf nehmen!“

Ihm, dem Machthaber, mußte vor allem daran gelegen sein, mittels der Einfangung von Cadoudal und Pichegru vor Paris und Frankreich den Beweis der Wesenheit des Komplotts zu führen. Der Gesetzgebende Körper, zur Sklavenhaftigkeit des römischen Senats unter Caligula und Nero herabgebracht, mußte ein ungeheuerliches Gesetz votiren, welches allen, die Pichegru, Cadoudal und sechzig signalisirten ihrer Mitverschworenen Zuflucht oder Unterschlupf gewährten, die Todesstrafe androhte, sowie allen welche die Verstecke der Verschwörer kennten und nicht anzeigten, sechsjähriges Zuchthaus. Die Thore von Paris wurden geschlossen wie zur Zeit des Septembermordgräuels von 1792, die Stadtmauer unausgesetzt durch Reiterschwadronen umritten, die Ein- und Ausflüsse der Seine scharf bewacht. Dann ging in der Stadt eine unerbittliche Jagd los, welche die Verschworenen von einem Schlupfwinkel in den andern hetzte. Ihre Lage war schrecklich. Die Drang- und Trübsal, welche sie bei Tag und Nacht auszustehen hatten, überstieg oft die Kraft von Fleisch und Blut. Hungernd, frierend, fiebernd irrten sie umher. Nicht selten mußten die von ihnen, welche die Mittel dazu besaßen, die Gewährung einer elenden Nachtherberge mit 6000, ja mit 8000 Franken bezahlen. Es ist wie ein tröstlicher Lichtstral in diesem Dunkel, daß einer der Minister des Ersten Konsuls, Marbois, seinem Freunde von ehemals, dem jetzt vogelfreien Pichegru, welcher eines Abends in der Verzweiflung, kein Nachtlager finden zu können, an die Thür des Ministerhôtels klopfte, für eine Nacht das erbetene Asyl gewährte und daß Bonaparte seinem Minister, der ihm später Mittheilung davon machte, diese Gastlichkeit nicht verübelte.

Pichegru war es auch, welcher zuerst in die Hände der Späher und Spürer fiel. Ein Mitverschworener, welcher bei dem General Adjutantendienst gethan, verrieth den letzten Schlupfwinkel, den er gefunden, und überlieferte ihn den Gendarmen, welche den verrathenen und mit Mühe überwältigten Mann in den Temple brachten, aus dessen Mauern er nur im Sarge wieder herauskommen sollte. Bald darauf wurden De Rivière und die Brüder Polignac aufgejagt, gestellt und zur Haft gebracht. Cadoudal zuletzt, erst am 9. März. Die Spürhunde hatten sein letztes Versteck ausgewittert. Als er es Abends 7 Uhr verließ, um ein anderes zu suchen, verfolgten sie ihn bis zum Pantheon, allwo ein vertrauter Chouan mit einem Kabriolet auf ihn wartete. Georges, welcher die Verfolger hinter sich spürt, steigt ein und treibt den Kutscher zur Elle. Die Meute stürzt nach. Auf dem Platz Bussy fällt ein Polizist dem Pferde in die Zügel. Cadoudal entladet ein Pistol auf ihn und schießt ihn todt. Dann springt er aus dem Wagen und streckt mit einem zweiten Schuß einen zweiten Polizisten schwerverwundet zu Boden. Allein er wird umringt, nach verzweifelter Gegenwehr bewältigt, entwaffnet und dingfest gemacht. Die 60,000 Franken oder mehr, die er in Gold und Banknoten bei sich getragen, sind der Frau von Rémusat zufolge (Mém. I, 310) der Witwe des getödteten Polizeimanns gegeben worden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_362.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2023)