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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

zeigt und einen wahrhaft überwältigenden Eindruck macht. Der Abstieg von hier aus ins Montafon ist wohl etwas weiter, aber nicht so steil wie über Zeynis.

Von Galthür bis zum Zeynisjoche ist wegen der hohen Lage Galthürs die Steigung nur mäßig und führt über moosige, oft von Gräben durchzogene Wiesen. Auf der Paßhöhe befindet sich ein dem Wirthe in Galthür gehörendes Alpenwirthshaus, an das man aber keine großen Ansprüche stellen darf. – In einiger Entfernung davon erhebt sich hart an der Grenze von Paznaun und Montafon eine kleine Kapelle, in deren unmittelbarer Nähe ich bei meinem letzten Besuch einen Maler vor einer Feldstaffelei sitzen sah. Da ich schon in Galthür erfahren hatte, daß Mathias Schmid gegenwärtig auf Zeynis weile, so vermuthete ich sofort, daß mein lange gehegter Wunsch, den Künstler persönlich kennen zu lernen, erfüllt werden sollte. Und so war es auch. So Manches, was in diesen Artikel verflochten wurde, verdanke ich seinen anregenden Mittheilungen, von denen Gebrauch gemacht zu haben er mir hoffentlich nicht übelnehmen wird.

Die Majestät der Berge, die weltverlorene Einsamkeit, der schroffe Jochübergang mit der Kapelle, die sich in scharfen Konturen von dem düstern Horizonte abhebt, gaben unserem Meister Schmid den Impuls zu einem ergreifenden Sittengemälde „Verlassen“, zu welchem er hier die landschaftliche Studie malte und das aufs Neue dazu beitragen wird, seinen Ruhm zu erhöhen und die Zahl seiner Freunde und Verehrer zu mehren.[1] – Und nun noch einen Scheidegruß und einen letzten Blick zurück zu dir, du schönes Thal! Will’s Gott, seh’ ich dich wieder im nächsten Sommer! Vielleicht locken diese anspruchslosen Schilderungen mit den Blättern aus denn Skizzenbuche von Mathias Schmid noch manchen Anderen in deinen Zauber!

V. D. N.




Ferdinand Hiller †.


Ferdinand Hiller.

Schroffere Gegensätze, als die Musikgeschichte der letzten siebzig Jahre sie bietet, sind in so kurzem Zeitraume und in so stärkstem Maße wohl in keiner Kunstgeschichte zu finden. Auf der einen Seite das offenbare Streben, in der Oper und in der Instrumentalmusik eine Umkehr wo möglich noch hinter Mozart zu bewirken, ein Festhalten an alten morschen Regeln, ein offenes und geheimes Wirken gegen alles Fortschreiten auf der andern Seite ein immerwährendes Vorwärtsstürmen, ein Verhöhnen und Ueberschreiten aller Gesetze. Und was noch wichtiger: ein Hineinziehen von allgemeinen Angelegenheiten in die Kunst, ein Vermengen der Begriffe, daß zuletzt die eigentliche Kunstfrage, die Bedeutung des Kunstwerkes als solches zurücktritt vor der Frage nach der Tendenz des Künstlers, nach seiner Lebensanschauung. Wir haben bei dieser Betrachtung nicht etwa nur die Schriften und Theorien Richard Wagner’s im Sinne (die wir von den Musikwerken dieses hochgenialen Meisters scharf trennen). Seine Bücher und Artikel sind nur das sichtbare feste Ergebniß einer Bewegung, die lange vorher begonnen hatte. Wir haben einmal in einem Buche[2] durch Citate bewiesen, daß die meisten der Hauptsätze in „Oper und Drama“ von Richard Wagner schon im Anfange des Jahrhunderts von Tieck, Friedrich Schlegel, Wackenroder u. A. ausgesprochen worden waren. Liszt und Berlioz haben lange vor Richard Wagner’s Erscheinen in einzelnen Schriften Principien aufgestellt, die Wagner in ein System brachte. Und vor 60 Jahren hat Zelter (der Dirigent der Berliner Singakademie, der Freund Goethe’s) gegen Weber’s „Freischütz“, hat Spohr gegen Beethoven’s Symphonien noch weit Aergeres geschrieben, als je der edle Hiller gegen Wagner.

Und ein wahrhaft edler Künstler ist mit Hiller dahingeschieden, ein Mann, dem das eigenthümliche Schicksal beschieden war, daß er aus friedlichster Entwickelung in die Kämpfe stürmischester Umschwünge und Neubildungen mitthätig eintrat.

Er war, am 24. Oktober 1811 in Frankfurt a. M. geboren, der Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns. Frühzeitig entwickelte sich sein musikalisches Talent; Ludwig Spohr, dem er bei dessen Durchreise vorgeführt ward, äußerte sich beifällig und rieth dem Vater, den talentvollen Knaben unter Hummel’s Leitung zu bringen. Der berühmte Komponist und Pianist lebte als Hofkapellmeister in Weimar, und der alte Herr Hiller scheute die weite unbequeme Reise nicht, um dem Sohne den Unterricht des hochberühmten Meisters zu verschaffen. Der junge Hiller verbrachte mehrere Jahre in Weimar, ward von Goethe protegirt, der ihm ein kleines Gedicht widmete (es steht in der Sammlung „An Personen“), ging 1827 mit dem Meister nach Wien und lernte dort Beethoven und Schubert kennen. Als er in das väterliche Haus zurückkehrte, brauchte er nicht an eine Verwerthung des Gelernten behufs des Erwerbes zu denken; er ging nach Paris und weilte dort, sich immer weiter ausbildend, im regen Verkehre mit den Bedeutendsten und Besten. Paris war in den dreißiger Jahren die tonangebende Stadt für Musik, besonders für die ausübende, wie für Mode; wer nicht dort das Diplom des Rufes erlangt hatte, der war in Europa fast unbekannt. In Paris gewann auch Hiller die ersten Erfolge als Komponist und Pianist. Nach siebenjährigem Aufenthalte in der französischen Hauptstadt verweilte er kurze Zeit in Frankfurt und ging dann nach Italien, um 1838 sein Glück als Opernkomponist zu versuchen, was ihm jedoch nicht gelang. „Romilda“, die er in Mailand vorführte, ward ungünstig aufgenommen.

Nun kehrte Hiller nach Deutschland zurück, komponirte das Oratorium „Die Zerstörung Jerusalems“, das bedeutenden Erfolg gewann, und begann seine Laufbahn als Dirigent, in der er unbestritten ganz Ausgezeichnetes leistete. In den verschiedenartigsten Richtungen und in den verschiedensten Städten ward er als ein Führer anerkannt, der mit geistreicher und idealer Auffassung große Energie und jene Sicherheit verband, welche sich den Mitgliedern des Orchesters mittheilt und sie zu feuriger Thätigkeit begeistert. In den Leipziger Gewandhauskoncerten, in Dresdener Abonnementskoncerten, in Düsseldorf als städtischer Kapellmeister, in Köln als Direktor des Konservatoriums und der Gürzenichkoncerte; als oberster Leiter vieler rheinischer Musikfeste und englischer „Festivals“ zeigte er sich ebenso hochbedeutend wie auf dem ganz entgegengesetzten Felde – als Kapellmeister der italienischen Oper in Paris 1850 bis 1852. Ebenso ehrenvolle Anerkennung gewann er als Pianist; er war der Erste, der es wagte, in Paris die letzten Sonaten 109 bis 111 im Jahre 1853 (wir haben sie gehört) vorzutragen. Auch in der Improvisation, in welcher sein Lehrer Hummel einst als der Erste galt, leistete er Bedeutendes. Seit dem Jahre 1850 wirkte er als Direktor des Kölner Konservatoriums, unternahm zwar öftere Ausflüge, widmete aber seine Hauptthätigkeit dem Institute; die letzten 25 Jahre hat er fast immer in Köln zugebracht. Er hob das Institut sowie das ganze Musikleben der Stadt zu glänzender Bedeutung; seine Verdienste werden unvergessen bleiben.

Hiller’s musikalische Natur gehörte entschieden der Mendelssohn’schen Richtung an, er war aber auch Verehrer der Schumann’schen Romantik und versuchte sie in manchen seiner Werke mit der Mendelssohn’schen Formschönheit zu vereinen – und das ging eben nicht.

In diesem inneren Zwiespalte traf ihn die ungeheure durch Richard Wagner hervorgerufene Bewegung. Es ist hier nicht der Ort, die Entwickelung und Bedeutung dieser großartigen Erscheinung darzulegen, wir haben nur deren Wirkung auf Hiller in Betracht zu ziehen. Ihm, dem feinfühligen, künstlerisch gleichmäßig Entwickelten, in Kunst und Leben die feinste Form Anstrebenden, ihm, dem Freunde Mendelssohn’s und Schumann’s, mußte die Bewegung als ein gänzlicher Umsturz erscheinen. Der vulkanische Ausbruch der Polemik, das Hineinziehen politischer, philosophischer und gesellschaftlicher Organisationsfragen in die rein künstlerischen; die unbedingte, als unbestreitbar antretende Entschiedenheit der Grundsätze, die Rücksichtslosigkeit der Angriffe, wie sie bei Richard Wagner und seinen Anhängern vorherrschen, dies Alles mußte gerade eine Natur wie die Hiller’s aufs höchste erregen. Und da er von jeher sich in schriftstellerischen Arbeiten geübt hatte, so lag es ganz nahe, daß er – anstatt als schaffender Künstler in fester, ruhiger abwehrender Stellung zu verharren – mit der Waffe des Schriftstellers in den Kampf eintrat, auch hier Erfolge anstrebte und gewann, wenn sie auch auf die Kunstangelegenheiten selbst nur wenig Einfluß übten.

Hiller’s schriftstellerische Thätigkeit bietet eine in ihrer Art merkwürdige Erscheinung. Er war unbestreitbar ein höchst gediegener, durch und durch gebildeter Musiker; er war auch ein sehr geistreicher Schriftsteller, sein Stil kann zu den elegantesten gerechnet werden. Und er hat sehr viel geschrieben. Wird man nun begreifen, daß solch ein Musiker, solch ein Schriftsteller kaum einen einzigen wahrhaft gründlichen Artikel, keine umfassende Studie über künstlerische Angelegenheiten der Musik veröffentlicht, daß er all seine Fachkenntniß, all seine Geschicklichkeit in geistreichen Feuilleton-Artikeln zersplittert hat? Nur so läßt es sich erklären, daß seine Schriften überall mit großem Vergnügen gelesen wurden, daß aber seine Urtheile über ernste Angelegenheiten nicht den Einfluß übten, der einem Manne wie Hiller wohl gebührte. Seine Artikel gegen Wagner, gegen die neudeutsche Schule, gegen Liszt’sche Komposition waren glänzend; sie sind Muster geistreicher Momentartikel (der Franzose nennt sie „causeries“, wir finden das deutsche Wort „Plauderei“ zu schwerfällig). Aber sie

  1. Wir haben das Vervielfältigungsrecht dieses Bildes für die „Gartenlaube“ erworben und freuen uns, dasselbe seiner Zeit unseren Lesern vorführen zu dürfen.
    Die Red.
  2. Die Musik-Aesthetik in ihrer Entwickelung von Kant bis auf die Gegenwart.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_367.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)