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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Um Mitternacht weckt man den Prinzen. Er wird in ein Gemach geführt, dessen Fenster auf den Forst von Vincennes hinausgehen. Hier ist die an Bonaparte’s Befehl durch Murat bestellte „Militärkommission“ versammelt, welche den letzten Sproß der Condé’s „richten“ soll. Die Namen dieser „Richter“ verdienen am Schandpfahl der Geschichte angenagelt zu bleiben. Es sind der General Hullin, Vorsitzender, die Obersten Guitton, Bazancourt, Barrois, Ravier, Rabbe und der Major Tautaucourt, welcher als „Rapporteur“ fungirt. Im Hintergrunde des Gemaches hält sich Savary, um darauf zu sehen, daß alles „nach Befehl“ zu- und hergehe und geschehe.

Der Major Dautancourt bringt sechs Anklagepunkte vor, der Hauptsache nach lautend auf Verschwörung gegen die Sicherheit des Staates und gegen das Leben des Ersten Konsuls, sowie auf Bekämpfung der französischeu Republik mit bewaffneter Hand. D’Enghien, obgleich erschöpft und abgemüdet durch alles, was er in den letzten Tagen und Nächten ausgestanden, hält sich gefaßt und würdig. Den ersterwähnten Hauptpunkt der Anklage bestreitet er ganz entschieden, den zweiten gibt er zu mit den Worten: „Ich vertheidigte die Rechte meiner Familie. Meine Geburt und meine Ueberzeugungen zwingen mich, ein Feind der republikanischen Regierung zu sein.“

Hieraus der Form halber eine Berathung der „Richter“ und als Resultat derselben einmüthiger Schuldigspruch des Augeklagleu, selbstverständlich ein Todesspruch.

Der General Hullin hat später, freilich erst zur Zeit der Restauration, behauptet, er hätte sich nach der Urtheilsfällung hingesetzt, um an den Ersten Konsul zu schreiben. Nämlich zu dem Zwecke, denselben zu bitten, dem Prinzen die von diesem erbetene Unterredung zu gewähren, sowie auch, den Verurtheilten der Gnade Bonaparte’s – ja, der „Gnade“ Bonaparte’s! – zu empfehlen. Da wäre aber Savary hinter ihn getreten und hätte ihm die Feder aus der Hand genommen mit den Worten: „Was noch zu thun, geht Sie nichts an; es ist meine Sache …“

In die Wohnung Harels zurückgeführt, hat der „Gerichtete“ wiederum den Schlaf gesucht und gefunden. Aber man gönnte ihm denselben nicht lange. Um 3 Uhr des Morgens aufgestört, wird er eine feuchte Wendeltreppe hinab in den Festungsgraben geführt, wo am Fuße des Pavillons der Königin schon vor der Fällung des „Richterspruchs“ sein Grab gegraben worden. Dort ist ein Peloton Gendarmen aufgestellt, in zwei Gliedern von je acht Mann. Das Geflimmer einer Laterne beleuchtet nothdürftig die unheimliche nachtdunkle Scene. Man heißt den Prinzen an den Rand der Grube treten und der Adjutant Pelé verliest das „Todesurtheil“. Nach einem Augenblick bangen Schweigens fragt D’Enghien: „Ist niemand da, der eimm Sterbenden einen letzten Dienst erweisen will?“ Der Leutnant Noirot nähert sich ihm und nach einigen mit demselben gewechselten Flüsterworten wendet sich der Prinz an die Gendarmen mit der Frage: „Hat einer von Euch eine Scheere bei der Hand?“ Es wird ihm eine Scheere hingereicht, er schneidet sich damit eine Haarlocke ab, wickelt dieselbe mit einem Ring in ein Stück Papier und richtet an Noirot die Bitte, diesen Scheidegruß der Prinzessin Charlotte von Rohan-Rochefort zukommen zu lassen. Dann erhebt er die Stimme und ruft aus: „Wie traurig ist es doch, durch die Hand von Franzosen sterben zu müssen!“

In diesem Augenblick gibt der Adjutant Pelé das verabredete Signal, indem er seinen Hut abnimmt. Die Gendarmen schlagen an, die Schüsse knallen und der Prinz fällt todt zu Boden. Der noch warme Todte wird in seinen Kleidern in die Grube gelegt. Man schaufelt Erde darüber und sucht alle Spuren der Unthat zu verwischen.

Als es Tag geworden, bemerkte man, daß ein kleiner Hund kläglich winselnd die Erde, worein das Opfer der schändlichen Mordthat vergraben worden, mit seinen Vorderpfoten aufzuscharren suchte. Man schlug den armen treuen Mylof todt. Auf eine Brutalität mehr oder weniger in diesem wüsten Zwischenspiel des Drama’s der Cadoudal’schen Verschwörung kam es ja nicht an …

Bonaparte, in der Erwartung, den heimlich ausgesonnenen und unwiderruflich befohlenen Schlag fallen zu sehen, hielt sich in Ermangelung einer korsischen „Macchia“ seit dem 18. März in seinem Malmaison nicht gerade versteckt, aber doch abseits. Monsieur Thiers hat mythologisirt, der Erste Konsul wäre in diesen Tagen unruhig, zerstreut und aufgeregt gewesen, so sehr, daß er gar nicht zu arbeiten vermocht hätte. Der Napoleonzinkenist will damit andeuten, die schwebende Sache hätte den Mann gemüthlich sehr angegriffen. Fabelei! Bonaparte hat, wie seine Korrespondenz klärlich darthut, in diesen Tagen so viel, wenn nicht mehr gearbeitet als sonst. Er hielt seine gewohnte Lebensführung ein und spielte Abends viel Schach. Sein Gebaren war heiter und ruhig („serein et calme“), sein Gesichtsausdruck friedsam („paisible“), wie die Zeugin sagt, welche wir hier anrufen.

Diese Zeugin, Frau von Rémusat, ist höchlich beunruhigt gewesen über das, was im Werke war. Es hatte ja doch nicht verhohlen bleiben können, so heimlich auch die Sache betrieben worden und betrieben wurde. Die Palastdame Josephine’s ließ nicht ab, diese zu bestürmen, daß sie ihrerseits Bonaparte bestürmte, das Leben des Herzogs von Enghien zu schonen. Josephine that es, aber ihre Fürbitten richteten nichts aus. Der Herr Gemahl sagte ihr: „Die Frauen müssen derartigen Angelegenheiten fremdbleiben. Meine Politik fordert diesen Staatsstreich“ – was er dann wortreich weiter ausführte. Ab und zu erschienen Régnier, Réal und Murat in Malmaison und hatten lange Audienzen. Am Morgen vom 20. März sagte die Frau des Ersten Konsuls zur Frau von Rémusat: „Alles ist vergeblich. Der Herzog von Enghien wird heute Abend nach Vincennes gebracht und in der Nacht abgeurtheilt werden. Bonaparte hat mir verboten, ihn weiter damit zu behelligen. Er sagte auch, Ihre Traurigkeit sei ihm aufgefallen. Nehmen Sie sich zusammen!“

Frau von Rémusat wußte aber nicht so gut zu schauspielen wie der Erste Konsul. Beim Diner ließ er seinen kleinen Neffen Napoleon, den erstgeborenen Sohn seines Bruders Louis und seiner Stieftochter Hortense, vor sich hin auf die Tafel setzen und hatte seinen Spaß daran, als das Kind alles, was es erreichen konnte, umwarf oder zerschmiß. Nach dem Essen setzte er sich auf den Boden und spielte ausgelassen heiter mit dem Kleinen. Dann wandte er sich zur Frau von Rémusat, welcher diese Heiterkeit doch „etwas gezwungen“ vorkam, und sagte zu ihr: „Sie sind zu blaß. Warum haben Sie kein Roth aufgelegt?“ – „„Ich habe es vergessen.““ – „Was? Eine Frau, welche ihr Roth vergißt? Das passirt Dir nie, Josephine, gelt?“ Dazu lachte er laut und fügte dann hinzu: „Die Frauen haben zwei Dinge, die ihnen sehr gut stehen, das Roth und die Thränen.“ Hierauf erwies er seiner Frau Zärtlichkeiten, die nicht eben von Geschmack und Takt zeugten, und dies gethan, lud er Frau von Rémusat zu einer Partie Schach ein. Während des Spiels murmelte er das bekannte geflügelte Wort: „Lass’ uns Freunde sein, Cinna!“ aus dem Trauerspiel Corneille’s. Dann begann er halblaut zu singen und endlich deklamirte er die berühmte Stelle aus dem 5. Akt von Voltaire’s „Alzire“, wo der Christ Guzman zum Heiden Zamor sagt:

Des dieux que nous servons connais la différence:
Les tiens t’ont commandé le meurtre et la vengeance;
Et le mien, quand ton bras vient de m’assassiner,
M’ordonne de te plaindre et de te pardonner
.“

Gut gespielt, Komödiant! In derselben Stunde, in welcher Bonaparte der Frau von Rémusat solche Gefühle christlicher Milde, Großmuth und Barmherzigkeit vorgaukelte, versammelte sich in Vincennes die „Militärkommission“, um den ihr anbefohlenen Todesspruch über den unglücklichen Enghien zu fällen.

Frau von Rémusat hatte sich durch das Lächeln, die Lustigkeit, die Deklamationsübung des Gewalthabers für den Augenblick täuschen lassen. Ihre Hoffnung auf Erbarmen sollte aber rasch zu schanden werden. Frühmorgens vom 21. März erschien Savary in Malmaison, bleich und verstörten Gesichts. Frau von Rémusat wagte keine Frage an ihn zu thun. Die Gemahlin des Ersten Konsuls kam in den Salon, traurig und niedergeschlagen. Sie fragte Savary: „Es ist also geschehen?“ – „„Ja wohl, Madame. In der ersten Morgenfrühe ist er gestorben und zwar, ich muß es sagen, sehr muthvoll.““

Den Tag über kam eine Menge von Besuchern nach Malmaison. Man sah nur Gesichter, die ihre Bestürzung zu verbergen suchten, so gut es gehen wollte. Niemand wagte dem Ersten Konsul davon zu sprechen, welchen erschütternden, welchen geradezu furchtbaren Eindruck die Hinmordung des Herzogs von Enghien in Paris hervorgebracht habe. Er mußte es aber wohl merken. Als am Abend in dem gedrängtvollen Salon ein unheimlich drückendes Schweigen herrschte, durchmaß Bonaparte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_376.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2023)