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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

finsteren Gesichts mit großen Schritten das Gemach. Dann brach er los und redete allerlei bunt durcheinander. Zuletzt mußte er aber doch dem Gedanken, welcher, wie er wohl wußte, alle Anwesenden beschäftigte, sein Recht widerfahren lassen, und so sagte er: „Alle diese Leute da – die Verschworenen – wollten Unruhen in Frankreich erregen und in meiner Person die Revolution tödten. Ich mußte dieselbe vertheidigen und rächen und ich habe gezeigt, wessen sie fähig ist. Der Herzog von Enghien hat konspirirt wie ein anderer“ – (das war verlogen und der Komödiant wußte, daß er log) – „er mußte demnach auch behandelt werden wie ein anderer. Ich habe Blut vergossen, ich mußte es vergießen, ich werde vielleicht noch mehr vergießen; aber ich werde es thun ohne Zorn und ganz einfach darum, weil so ein Aderlaß zur politischen Medicin gehört. Ich bin Staatsmann, ich bin die französische Revolution, ich wiederhole es, und ich werde sie aufrechthalten.“

„Der Staat bin Ich!“ sagte Ludwig der Vierzehnte. „Das Vaterland bin Ich!“ sagte der Herzog Karl von Wirtemberg. „Die Revolution bin Ich!“ sagte Bonaparte. Immer dieselbe Melodie, nur mit etwas verändertem Text.

Später hätte bekanntlich der Bonapartismus den Frevel des an Enghien begangenen Justizmordes gern den Werkzeugen Bonaparte’s aufgebürdet und diese Werkzeuge haben dann die böse Bürde einander gegenseitig zugeschoben. Der „diable boitoux“ der Revolution und des Kaiserreichs, Talleyrand, soll der Legende zufolge bei dieser Gelegenheit das bekannte, übrigens auch andern zugeschriebene Wort gesprochen haben: „Das ist schlimmer als ein Verbrechen, das ist ein Fehler.“ In Wahrheit aber hat Talleyrand, als Herr von Hauterive, einer der Divisionschefs in seinem Ministerium, ihm von dem Entsetzen sprach, welches durch das Verbrechen von Vincennes hervorgerufen worden, wegwerfend zur Antwort gegeben: „Ach was! Das ist eine Geschäftssache, weiter nichts.“


9.0 Was nach verkrachter Verschwörung mit den Verschwörern geschah.

Der Tod D’Enghiens markirte den Höhepunkt unseres Verschwörungsdramas. Es wurde dabei so viel „Schrecken und Mitleid“ verbraucht, daß für die übrigen Opfer nicht mehr viel davon übrigblieb. Wenigstens nicht für den Plebeier Cadoudal und seine plebeischen Todesgefährten. Die mußten die Suppe ausessen, welche die vornehmen Herren eingebrockt hatten. Es ist ja immer und überall so in der Welt: die ehrliche Ueberzeugung muß büßen, was die berechnende Selbstsucht verschuldet hat.

Auch der weiland hochangesehene General der Republik, Pichegru, ist ein Opfer dieser historischen Tragödie geworden und noch dazu hat er mit eigener Hand sich geopfert. Denn daß er auf Anordnung Bonaparte’s selber oder wenigstens auf Anstiften von Bonapartisten in seinem Kerker erdrosselt worden sei, das war nur eine von der Parteigehässigkeit aufgebrachte Lüge und noch eine ganz dumme dazu, nicht der Mühe der Widerlegung werth. Der Selbstmord Pichegru’s dagegen war eine logische Folge seiner Lage. Monsieur Thiers, freilich eine fragwürdige Autorität, erzählt, der Erste Konsul habe den „Eroberer von Holland“ nicht nur schonen, sondern auch einer ersprießlichen Thätigkeit im Dienste Frankreichs zurückgeben wollen. Er habe nämlich beabsichtigt, im französischen Guyana (Cayenne), welches ja Pichegru als Verbannter kennen gelernt, durch diesen eine Kolonie im großen Stil gründen zu lassen, und habe den Staatsrath Réal beauftragt, dem General bezügliche Eröffnungen zu machen. Möglich immerhin, daß so ein Gedanke dem Gewalthaber gekommen, aber gewiß ist, daß es beim Gedanken verblieb. Pichegru wollte anfangs an die Großmuth Bonaparte’s gar nicht glauben, ließ sich aber dann durch Réal gern davon überzeugen und ging mit Lebhaftigkeit auf den Kolonisationsplan ein. Allein Réal ließ sich nicht mehr sehen oder von sich hören, und so verfiel der Gefangene auf die naheliegende Vorstellung, die Mittheilung vonseiten des Herrn Staatsraths wäre nur eine Flunkerei gewesen oder wohl gar eine List, um ihn, Pichegru, zu Geständnissen inbetreff der Verschwörung zu bewegen. Seine Stimmung mußte sich noch mehr verdüstern, als die Kunde von dem, was im Morgengrauen vom 21. März im Festungsgraben von Vincennes geschehen, auch in seine Gefängnißzelle drang. In seiner Vergrämung sagte er sich, daß ihm nichts übrigbliebe, als mit einer Bande von Chouans auf der Anklagebank zu erscheinen. Unerträglich das! Eines Frühmorgens im April schlug er einen Band von Seneca auf, welchen Réal ihm geliehen, las, was der Lehrer Nero’s über den freiwilligen Tod zusammenphilosophirt hatte, und machte hierauf das Gelesene zur That, indem er sich mittels seiner seidenen Halsbinde erwürgte.

In denselben April- und Maitagen spielten sich die groteskkomischen Scenen der Verkaiserungskomödie im Tribunat und im Senat ab. Am 18. Mai begrüßte der Senat in corpore im Schlosse von St. Cloud den weiland Artillerieleutnant als Empereur mit den Anredeformeln „Sire“ und „Majestät“. Zwölf Jahre zuvor war die Monarchie in Frankreich förmlich und feierlich abgeschafft worden, „für immer“. Komödie hüben und drüben!

Sieben Tage vor der Huldigung in St. Cloud, am 11. Mai 1804, begann vor dem Kriminalgerichtshof des Seinedepartements die Procedur gegen die 47 Angeklagten der Cadoudal-Pichegru’schen Verschwörung. Die Verhandlungen, deren Darstellung nicht in den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes paßt, währten bis zum 9. Juni. Am meisten Schwierigkeit verursachte Moreau, welcher sich in der Procedur mit Geistesgegenwart und mehr Talent, als man ihm hätte zutrauen sollen, auf den unbescholtenen Biedermann hinausspielte. Mit solchem Erfolg, daß die kaiserliche Regierung den 12 Richtern, von welchen zuerst 7 für Freisprechung und 5 für die Verurteilung des Generals zum Tode gewesen waren, nur mit Noth schließlich ein Schuldig entriß. In der Morgenfrühe vom 10. Juni verkündete der Gerichtshof die Urtheilssprüche. Sie lauteten für Cadoudal, Bouvet, Rivière, Lajolais, Armand Polignac, den Chouan Picot und 13 seiner Kameraden auf Tod; für Moreau, Jules Polignac und Rolland auf zwei Jahre Gefängniß. Von der Kriminalanklage entbunden wurden 21 Angeschuldigte, Leute, welche mit der Verschwörung nichts zu schaffen gehabt, sondern nur die Verschwörer beherbergt hatten.

Für die vornehmen Herren Verschworenen, welche zum Tode verurtheilt worden, traten sofort an dem frisch aus dem Backofen gekommenen Kaiserhofe alle Fräcke und Unterröcke in wetteifernde Thätigkeit. Infolge derselben wurde Napoleon bewogen, für Bouvet, Rivière, Lajolais und Armand Polignac die Todesstrafe in einfache Einsperrung zu verwandeln. Seinen tiefgedemüthigten „Nebenbuhler“ Moreau begnadigte der Kaiser zur Auswanderung nach Amerika, von wo der schwache Mann zum nicht wieder gutzumachenden Schaden seines Rufes im Jahre 1813 zurückkehrte, um im Quasidienst der verbündeten Monarchen gegen sein Vaterland die Waffen zu tragen und in der Schlacht von Dresden durch eine französische Kugel getödtet zu werden. Für Georges Cadoudal ließ sich von dem höfischen Geschmeiß niemand zu Bitten, Kniefällen und Thränen herbei: er war ja nur ein Müllerssohn. Am 24. Juni ist er, der beste Mann, welchen die bourbonische Partei aufzuweisen hatte, mit 11 seiner Chouans auf dem Grèveplatz unter dem Fallbeil gestorben.

Was Napoleon angeht, so ist man stark versucht, anzunehmen, daß in den Falten des Kaisermantels, den er umgethan, vom Anfang an der Kaiserwahnsinn gelauert habe, an welchem er später zu Grunde gegangen. Als er am 2. December von 1804 aus Notre-Dame, allwo ihn Papst Pius der Siebente gesalbt hatte, in die Tuilerien zurückgekehrt war, sagte er zu seinem Marineminister Decrès: „Ich kam zu spät zur Welt. Die Menschen sind heutzutage zu klug. Man kann nichts Großes mehr thun.“ – „„Wie, Sire? Was kann es denn Größeres geben, als, so man als Artillerieleutnant angefangen hat, den ersten Thron der Welt zu besteigen?““ – „Wohl, ich geb’ es zu, meine Carrière ist nicht übel. Aber welch’ ein Abstand z. B. gegen Alexander den Großen! Nachdem er Asien erobert und sich den Völkern als einen Sohn Jupiters dargestellt hatte, glaubte alle Welt daran, seine Mutter Olympias und etwa den Aristoteles und noch etliche andere Philosophen ausgenommen. Wenn aber ich heute erklärte, daß ich der Sohn Gottvaters wäre, und wenn ich nach Notre-Dame ginge, ihm dafür zu danken, jedes Fischweib auf meinem Wege würde mich auslachen. Ach, die Menschen und die Völker sind heutzutage zu klug. Man kann nichts Großes mehr thun.“

Fürwahr, es war ein gescheider Mann, welcher den Ausspruch gethan hat:

„Genie und Wahnsinn sind so nahverwandt,
Daß beide trennt nur eine dünne Wand.“


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_377.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2024)