Seite:Die Gartenlaube (1885) 379.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Während wir die Abreise vorbereiteten, die Sammlungen an Bord unterbrachten, tauchte ein neues Segel auf. Die Takelage ließ ein Kriegsschiff erkennen. Von Süden kommend umfuhr es Pelekan-Point, die Spitze der die Bai abgrenzenden Nehrung und stand auf die Ansiedelung zu. Bald wurden die Segel eingezogen, und nun erkannten wir deutlich die deutsche Kriegsflagge. Das Kanonenboot „Möwe“ ankerte in der Bai, wo bisher erst ein einziges deutsches Kriegsschiff und zwar Anfangs August das Kanonenboot „Wolf“ eingelaufen war.

Eine Dampfbarkasse löste sich von der „Möwe“ und schleppte ein Boot zum Strande; schon von Weitem erkannten wir den Generalkonsul unter den Insassen. Er war höchlich überrascht, mir nach Jahren wieder einmal so fern von der Heimath zu begegnen; noch mehr erstaunte er jedoch, als er hörte, daß meine Frau, auf deren besonderen Wunsch diese Reise unternommen war, mich nicht nur so weit begleitet, sondern mit mir auch die Wildniß durchzogen hatte. So gab es denn viel zu erzählen und Meinungen auszutauschen. Da nun gerade ungewöhnlich viele Deutsche an der Bai verweilten und auch der Kommandant der „Möwe“, Herr Korvettenkapitän Hoffmann, mit verschiedenen Officieren an Land kam, nahm die kleine Ansiedelung für einige Tage gewissermaßen einen deutschen Charakter an, und nur die im Winde flatternde englische Flagge gemahnte uns, daß wir nicht auf deutschem Boden standen. Ein Gastmahl im Hause des deutschen Hafenagenten, Herrn L. Koch, dessen liebenswürdige Gattin vor einem Jahrzehnte nicht nur die erste deutsche Heimstätte an der Bai schuf, sondern überhaupt als erste weiße Frau daselbst lebte, vereinte die so glücklich zusammengetroffenen Landsleute, und warmen Herzens wurde des Kaisers und Reiches, des Kanzlers und seiner Kolonialpolitik gedacht. Das wichtige Thema, das uns Alle gerade an dieser Stelle am lebhaftesten beschäftigen mußte, drängte sich stets wieder in den Vordergrund.

Noch immer gewann sich Gustav Nachtigal Aller Sympathien durch seine Liebenswürdigkeit, seine echte Höflichkeit des Herzens und seinen untrüglichen Takt. In seinem Wesen war sonach keine Veränderung zu erkennen, wohl aber in seinem Aussehen. Das Klima Westafrikas hatte den rastlos thätigen, ganz der Vollführung seiner Aufträge lebenden Mann nur zu deutlich gezeichnet, und ich konnte mein Erschrecken nicht verbergen, als er mir mittheilte, daß er nochmals einige Monate in jenen Gegenden zu verweilen haben würde, die selbst vollkommen Gesunden gefährlich sind. Am Lande litt er unter Fieberanfällen und auf dem Schiffe schwächte ihn die Seekrankheit, sodaß seiner Natur keine Pause der Erholung vergönnt war. Wohl fühlte er, welche zunehmende Gefahr ihn bedrohte und wie gut der Rath war, daß er entweder schnellstens heimkehren oder auf einige Zeit nach St. Helena oder Madeira gehen sollte. Er aber hielt trotz alledem die äußerste Erfüllung der ihm anvertrauten Aufgabe, der Pflichten gegen das Vaterland für wichtiger, als die Wiederherstellung der Gesundheit und sogar die Erhaltung des Lebens. Kein Zureden und Bitten, kein Hinweis auf das bereits von ihm Geleistete vermochte ihn in seiner Auffassung wankend zu machen.

So schieden wir nach einigen Tagen. Er, um ohne Zagen der wachsenden Gefahr entgegen zu treten; wir in bangen Befürchtungen um sein Wohlergehen. Zur nämlichen Stunde am 24. November verließen wir die Walfischbai. Ein letztes Winken, ein letzter Flaggengruß, und die stattliche „Möwe“ lief unter vollen Segeln nach Norden, während der kleine „Louis Alfred“ hart am Winde nach Südwesten stand. –

Noch fünf Monate lang hat Gustav Nachtigal seine Kräfte[WS 1] im Dienste des Vaterlandes verwerthen können, bis ihn das Schicksal ereilte, das er, der erfahrene Arzt und Reisende, wohl voraussah. Unter der deutschen Kriegsflagge, an Bord der „Möwe“, die ihn an der Küste Afrikas hin und wieder getragen, ist er aus dem Leben geschieden. In treuester Pflichterfüllung bis zum Tode und vollführend, was der Meister geplant, ist er in Wahrheit für das Vaterland gestorben – nicht minder auf dem Felde der Ehre, als Diejenigen, die im Getümmel der Schlacht ihr Leben lassen. Auf der sonnigen Höhe des Ruhmes, verehrt von Allen, die ihn kannten, und bewundert weit über Deutschlands Grenzen hinaus, ist er hinweggenommen worden: ein ganzer Mann, den Keiner je vergessen kann und darf, dem des Vaterlandes Größe und Zukunft das Herz erfüllt.

Und nicht allein ein Vertreter des Reiches war Gustav Nachtigal, dessen Muth und Umsicht, dessen Klugheit und unentwegte Energie das höchste Vertrauen rechtfertigte; er war auch ein Forschungsreisender ersten Ranges, der obenan genannt wird unter den Männern, welchen die Erdkunde die höchsten Ehren zuerkennt. Nicht nur als Entdecker hat er vordem weite unbekannte Räume Afrikas durchmessen, sondern auch als Forscher Länder und Völker mit klarem Blicke geprüft und, was er geschaut und ergründet, der Wissenschaft dargeboten in einem so mustergültigen Werke, daß dieses sein schönstes Monument sein und bleiben wird und allein schon genügt, den Namen Gustav Nachtigal der Nachwelt werth zu machen.

Die Walfischbai.0 Nach einer Originalskizze von Dr. Pechuel-Loesche.

Es war wohl eine sonderbare Fügung des Schicksals, daß jener Mann, der zur allgemeinen Trauer dem afrikanischen Klima erlag, den Boden Afrikas zum ersten Male in der Hoffnung betreten hatte, dort seine Gesundheit zu stärken. Ein Lungenleiden veranlaßte im Jahre 1863 den jungen Militärarzt – Gustav Nachtigal wurde am 23. Februar 1834 zu Eichstätt bei Stendal geboren – nach Algier und Tunis zu gehen. Während seines Aufenthaltes in diesen Ländern sammelte er die hohe Summe von Erfahrungen, die er

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kräft0
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_379.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)