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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Die Post zu Fuß.[1]


Die Postillione, die mit des Posthorns Schall und mit der Peitsche Knall dahinjagten über Berge und Thäler, haben ihre Dichter gefunden und sind längst in der Poesie und folglich auch im Volksmunde gut eingebürgert. In unserer Phantasie leben sie fort mit aller Jugendfrische ihres lustigen Treibens, obwohl der Zeitgeist ihnen in Wirklichkeit das Lebensflämmchen ausgeblasen. Lenau und Scheffel sorgten dafür, daß die „Schwager“ unsterblich geworden sind. Die Post zu Fuß wird schwerlich jemals solche Anwälte finden. Wenn auch noch so viele schmachtende Herzen in dem Häusermeere einer Großstadt und in den stillen Hütten entlegener Weiler sehnsüchtig den Briefträger erwarten, er wird dennoch niemals ein Gegenstand hervorragender dichterischer Verherrlichung werden. Der Post zu Fuß hängt einmal die Prosa des Lebens an.

Darum aber braucht die Post zu Fuß nicht zu trauern; wir können unmöglich alles in der Welt besingen und in das duftige Gewand des poetischen Nimbus kleiden. Im wirklichen Leben und Schaffen hat sogar die Prosa eine viel festere Basis und einen viel umfangreicheren Wirkungskreis, als ihre leichtbeschwingte Schwester Poesie.

Und in der That, was wäre in unserm Falle die große Weltpost ohne die Post zu Fuß? Mit den Telegraphenlinien, den Eisenbahnen und den Postwagen, welche die Weltpost sich unterthänig gemacht hat, vollbringt sie Wunder und dient Vielen, einem großen Bruchtheile des Volkes. Erst seit dem Augenblicke aber, wo sie den Fußbotendienst in größtem Maßstabe herangezogen, hatte sie ihre Wohlthaten verdoppelt und wurde zu einem gemeinnützigen Institute im vollsten Sinne des Wortes, zu einem Institute, das nicht allein den Städter und den an den Heerstraßen des Verkehrs wohnenden Bürger, sondern auch den Bewohner der entlegensten Weiler und Gehöfte an ihren Segnungen theilnehmen läßt. Die schnellen Rosse, der schnellere Dampf und die blitzgeschwinde Elektricität konnten das älteste aller Mittel zur Nachrichtenbeförderung – die Post zu Fuß, nicht verdrängen, mußten vielmehr ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Abgesehen von den städtischen Briefträgern, beschäftigt gegenwärtig allein die deutsche Reichspost 20000 Personen im Landbriefträgerdienste. Und wie rührig ist dieses Landbriefträgerheer; es bietet alljährlich die respektable Marschleistung von 156 Millionen Kilometer, es besucht werktäglich zweimal 40000 Ortschaften zur Bestellung und Einsammlung von Postsendungen und einmal werktäglich 17000 Ortschaften, während dank seinen Bemühungen 45000 Ortschaften sich im Genusse einer Sonntagsbestellung befinden.

Dieses Landbriefträgerheer hat schließlich im letzten Postjahre nicht weniger als 257 Millionen Postsendungen befördert und im vollsten Sinne des Wortes das platte Land auch in den entlegensten Winkeln, durch die kein Dampfroß braust, dem großen Postverkehre erobert.

Diese Zahlen, diese Thatsachen sprechen deutlich, und sicher werden nach Betrachtung derselben nunmehr auch unsere Leser in dem Manne, der in Wind und Wetter, auf den krummen Stab sich stützend, rüstig und pflichtbewußt seinem Ziele entgegeneilt, einen der stillen Pioniere des Kulturfortschritts erkennen, der uns nicht minder beachtenswerth erscheint, wie sein mit lautem „Hoiho!“ auf der Landstraße dahintrabender Genosse Postillion. – –

Wir haben die Post zu Fuß das älteste aller Mittel zur Nachrichtenbeförderung genannt, und in der That begegnen wir ihr in Gestalt schnellfüßiger Läufer schon in den frühesten Sagen und in der Urgeschichte der Völker. Auf altägyptischen Denkmälern sind Briefboten abgebildet, und auf vergilbten Papyrusrollen finden wir sogar die Namen hervorragender Läufer verzeichnet. Bei Tagesanbruch erschienen sie vor den ägyptischen Königen die eigenhändig alle aus den entlegensten Provinzen des Reiches eingelaufenen Briefe in Empfang nahmen.

Nirgends jedoch hatten im Alterthum die Läufer eine so hohe Stellung erlangt, wie in dem klassischen Griechenland, das neben andern Leibeskünsten auch die des Schnelllaufens mit besonderer Vorliebe pflegte. Aus den Siegern bei den olympischen Spielen waren die „Hemerodromoi“ oder Tagläufer hervorgegangen. Es waren zumeist „junge Leute, welche vor Kurzem aus den Kinderschuhen getreten, denen nahe, welche einen Milchbart haben.“ Auf ihrem Laufe nahmen sie nichts als Bogen, Pfeile, Wurfspieß und Feuersteine mit.

Baseler Briefbote aus dem 17. Jahrhundert.

Von der Schnellfüßigkeit der Hemerodromen berichten die griechischen Geschichtschreiber geradezu erstaunliche Proben. Als die Athener beim Einfall des Darius von den Lacedämoniern schleunige Hilfe erbaten, legte der Tagläufer Phidippides den 1200 Stadien (etwa 200 Kilometer) langen Weg von Athen nach Lacedämon in einem Tage und einer Nacht zurück, und in den Kriegen des Epaminondas bewährten sich die Hemerodromen, wenn man den Zeitverhältnissen Rechnung trägt, in ähnlich rühmlicher Weise wie der Feldtelegraph in modernen Feldzügen. Kein Wunder also, daß noch heute Denksäulen vorhanden sind, die den im Staatsdienste erworbenen Ruhm bewährter Läufer der späten Nachwelt verkünden.

Weniger angesehen waren die Fußboten in Rom, da nur Sklaven und Freigelassene zu diesem Dienst verwandt wurden. Man klagte vielfach über ihre große Unzuverlässigkeit und behandelte sie nach ihrem Werthe. Einst richteten die römischen Fußboten an Kaiser Vespasian eine Petition um Erhöhung des Schuhgeldes, aber mit recht schlimmem Erfolg. Der geldgierige Kaiser dekretirte nämlich, daß den Bittstellern das Schuhgeld ganz entzogen und ihnen zum Ausgleich dieses Verlustes angerathen wurde, künftighin ihren Dienst barfuß zu verrichten.

Als die große römische Staatspost in den Wogen der Völkerwanderung weggeschwemmt wurde,

  1. Wir entnehmen die Illustrationen zu diesem Artikel dem im Verlage von Herm. J. Meidinger in Berlin erscheinenden Werke „Das Buch von der Weltpost“ von O. Veredarius. Die großartige Entwickelung der Post und der Telegraphie und ihr Wirken im Weltverkehre sind bis jetzt noch nirgends in so klarer und anziehender Weise geschildert worden, und wir glauben unseren Lesern einen guten Dienst zu erweisen, wenn wir durch Wort und Bild ihre Aufmerksamkeit auf dieses hochinteressante, reich und schön illustrirte Werk hinlenken. D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_393.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2024)