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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

durch diese urweltlichen Felsgemäuer den Weg zu Thal erzwungen, in geradezu verblüffender Sprache. Während er jedoch die wasserfallartigen Stromschnellen der „Kaskaden“ mit einer großen Anzahl von Gebirgsflüssen gemein hat, sind die „Dalles“ sein eigenstes Eigenthum: eine Stromlauf-Episode, wie sie sich, so weit bekannt, an keiner zweiten Stelle der Erde wiederholt. Der Name ist französisch. Er rührt von kanadischen vor Zeiten bereits bis hierher gedrungenen Trappern her und bedeutet wörtlich: „Rinnstein“ oder „Ausguß“. Was er aber wirklich bedeutet, ist nichts Geringeres, als die Thatsache: daß der hier plötzlich durch die grimmigste Stromenge gejagte Fluß sich innerhalb derselben regelrecht auf die Kante stellt! Das Wasser des Stromes verbreitert sich vor den „Dalles“ auf das Drei- und Vierfache zu einem weiten seeartigen Becken, welches von nacktem Lava- und Basaltgeklipp wie von einer zackig gerandeten Schale eingefaßt ist. Nur an jener Stelle, wo der Fluß weiter zu strömen hat, öffnet sich in dieser formidabeln Einfassung ein kaum steinwurfbreiter, dafür aber um so tiefer in der Erde hinunter klaffender Spalt. Und durch diesen Felsriß hat sich jetzt die ganze davor aufgestaute Wassermasse, – plötzlich so tief, wie sie vorher breit war, und kaum so breit, wie sie vorher tief gewesen: also buchstäblich „auf die Kante gestellt!“ hindurch zu zwängen, zu schieben, zu stoßen, bis sie unterhalb dieser „Rinnstein“-Schlucht wieder in gewöhnlichem Flußbett von normalen Breite- und Tiefeverhältnissen weiter thalwärts strömen kann.

Blockhaus um Walde.

Die „Dalles“ und die nach ihnen getaufte Stadt Dalles-City liegen bereits östlich vom Kaskadengebirge. Hier beginnt auch jenes wundersame Sand-, Lava- und Basaltgebiet, das uns nun statt des üppig grünen Berg- und Waldlandes aufnimmt, welches bislang von der Mündung des Stromes an bis über die höchste Kammerhebung des von ihm durchbrochenen Kaskadengebirges unser Geleit gewesen. Der Baumwuchs und bald das Pflanzenwachsthum überhaupt verschwindet mehr und mehr, bis schließlich in ungemilderter Nacktheit und Wildheit die groteskesten Basaltformen, bald als cyklopische Mauern, bald als zerrissenes Klippengezack, bald als nachtschwarz-überhängende Vorgebirge den Fluß umstarren, der, zum echten Wüstenstrom geworden, sich nur noch durch unendliche Sandablagerungen dahinwindet. Unwillkürlich ruft man aus, ob man plötzlich an den Nil versetzt sei, fragt man sich: „Wie kommt diese Sahara, eine so leibhaftige Wüste, daß man die Eisenbahn gegen ihre Samums, Sandwehen und Sandtriebe in ähnlicher Weise durch hölzerne Vorrichtungen schützen muß, wie auf den Hochplateaux der Felsengebirge gegen den Schnee – wie kommt dieses Stück unverfälschten Afrikas mitten in das gesegnete Gebiet des neuen Pacifischen Nordwestens hinein?“

Der Geologe beantwortet uns die Frage einfach genug. Er erklärt uns, daß dieser breite, von tausendfachen Basalt- und Lavazacken, -Graten, -Klippen und -Mauern durchbrochene und durchsetzte Sandgürtel einst ein einziger mächtiger Wasserlauf war, der, quer durch das Kaskadengebirge brechend, dem großen östlich

von ihnen bis nach dem Felsengebirge hinreichenden Süßwasser-Binnensee den Abfluß nach dem Ocean vermittelte. Der ehemalige Wasserboden dieses Abflusses aber liegt noch heute auf die Weite von Meilen zu beiden Seiten des Flusses als nackte Sand- und Lavawildniß da, welche den Maler entzücken mag, aber dem nach lebendigem Nutzland Ausschauenden ebenso wenig Erbauliches bietet, wie die endlosen Sandwehen und Sandflüge, aus denen die ägyptische Sphinx ihr malerisch-mystisches Haupt erhebt. Der brave Praktikus wird erst dort wieder anfangen, sich behaglich zu fühlen, wo sich die einstigen Uferhügel dieses zur Wüstenei eingetrockneten Wassergürtels und seiner Nebengürtel erheben. Denn über ihren terrassenförmigen Ansteigungen beginnen jene weiten Plateaux von Ost-Oregon und Ost-Washington, in deren von zermürbtem Lavaschutt gedüngtem Boden jene Ernten gedeihen, welche sich selbst mit der erstaunlichsten Produktion der Humusäcker von Kansas, Nebraska und Dakotah zu messen vermögen und der Marke „Oregon- und Washington-Weizen“ schon jetzt einen dominirenden Klang auf dem Getreide-Weltmarkt erobert haben.


Blätter und Blüthen.

Die Eröffnung des ersten deutschen Reichswaisenhauses in Lahr. Auf dem Felde der werkthätigen Menschenliebe ist eine neue Frucht erwachsen und am zweiten Pfingstfeiertage eingeerntet worden: das erste deutsche Reichswaisenhaus, über dessen Gründungsgeschichte die „Gartenlaube“ 1883 in Nr. 27. berichtet hat. Aus dem Erlöse von Cigarrenspitzen, Flaschenkapseln, Patronenhülsen etc., aus der Sammlung von Pfennigen, die im ganzen Deutschen Reiche und über dessen Grenzen hinaus von fleißigen Händen veranstaltet wurde, ist der schöne und stolze Bau errichtet, der von der Lehne des herrlichen Altvaterberges herab den Wanderer grüßt. Aus allen Gauen Deutschlands waren daher auch die Repräsentanten der Verbände und Vereine, welche für die Gründnug eines Reichswaisenhauses in Lahr „fochten“ und noch „fechten“, herbeigeeilt, um mit von Freude, Genugthuung und Dank erfülltem Herzen dem Weihe-Akte der Eröffnung des Hauses beizuwohnen.

Die Feier verlief programmmäßig in würdigster Weise und dürfte einen neuen mächtigen Impuls gegeben haben, in dem Sammeleifer für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_399.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)