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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

zu Geschlecht forterbte. Dienstlich war der gegenseitige Wetteifer zwar von den besten Erfolgen begleitet, anders stand es jedoch außer Dienst. Begegnungen, welche die geringe räumliche Ausdehnung der Stadt unvermeidlich machte, führten manchmal zu blutigen Raufereien unter den Gemeinen. Bei Bällen und Gesellschäften beanspruchten beide Officierkorps den Vortanz, und war man auch nothgedrungen zu einer Verabredung über die abwechselnde Ausübung dieser Prärogative gelangt, immer wieder gab es Einzelne, die sich daran nicht kehrten. Besonders schroff trat der Zwiespalt in Sachen des Geschmacks und der Mode zu Tage. Trugen zum Beispiel die Ulanen ihre Mützen nach hinten umgestülpt, schief auf dem Ohre, so konnte man sicher sein, die Dragoner mit hochaufgerichteter, schnurgerade sitzender Kopfbedeckung einherwandeln zu sehen, und fanden es diese dem hohen Stande militärischer Bildung entsprechend, das oberste Knopfloch am Ueberrocke uneingeknöpft zu lassen, gleich knöpften die Ulanen das unterste auf und behaupteten, hieran den Maßstab zeitgenössischer Kultur zu erkennen.

Da nun jedes der beiden Regimenter wieder seinen Anhang hatte, so entstand dadurch eine heillose Begriffsverwirrung, und der Riß, der die beiden Korps trennte, ging manchmal mitten durch die Garnison.

Keine vorgesetzte Behörde hatte bisher etwas dagegen vermocht. Nur zwei- bis dreimal im Jahre kam es zu einer Art Waffenstillstand, nämlich, wenn der gemeinsame Divisions- oder Brigadekommandeur Besichtigung abhielt, wobei sich der Mützensitz genau nach den bestehenden Vorschriften zu richten hatte und auch bezüglich der Knopflöcher eine wohlthuende Gleichförmigkeit herrschte. Diese Besichtigungen schloß gewöhnlich ein gemeinsames Liebesmahl, dem die Generale beiwohnten, und wobei es an den üblichen Toasten auf Korpsgeist und Kameradschaft nicht fehlte. Dazu schmetterten die vereinigten Trompeterkorps ihre betäubendsten Fanfaren, die Kommandeurs schüttelten sich die Hände und die Lieutenants tranken sich große Quantitäten erbfeindlichen Getränks aus einem silbernen Pokale zu, dessen prompte Leerung mit technischen Schwierigkeiten verknüpft war.

Allein etwas mehr oder weniger Lob bei der vorhergegangenen Kritik gespendet, etwas mehr oder weniger Sekt, der in dem Pokal zurückgeblieben, genügte, schon andern Tags den alten Streit zu neuen Flammen anzufachen und die Nothbrücke, welche des Generals Anwesenheit über den Abgrund geschlagen, bis zu dessen nächstem Besuche wieder abzubrechen.

Wie die Männer, so die Frauen. Jedes Regiment bildete in sich eine geschlossene Familie und die Zugehörigkeit wurde im Gespräche durch Vorsetzen des Wörtchens „unser“ vor Alles, was in dem Verbande stand, betont. So zum Beispiel sagten die Damen: „Unsere Rittmeister sind sehr angestrengt“ – „Unsere Lieutenants haben sich die Magen verdorben“ – „Unser kleiner Fähnrich tanzt Sechsschritt“, und ebenso ungenirt bedienten sich die Herren des persönlichen Fürworts, wenn von den Damen die Rede war, was hier nicht mit Beispielen belegt werden soll. Blieb sich nun auch der männliche Effektivbestand, wie ihn der Etat vorschreibt, allezeit ziemlich gleich, so war doch der weibliche manchen Schwankungen unterworfen, es dienten oft bei einem Regimente mehr Familienväter, beim andern mehr Junggesellen, und auf ein Dutzend kourfähiger Damen auf der einen Seite kam oft nur ein Paar auf der andern. Während dieses Paar sich nun von einem ganzen Schwarm huldigender Lieutenants umworben sah, mußten sich jene zwölf mit drei bis vieren von der Sorte begnügen und blieben daher beim Tanze häufig sitzen, wenn sich die anderen fast die Schwindsucht an den Hals rasten.

Es konnten auch die geselligen Elemente in beiden Officierkorps ungleich vertheilt sein, sodaß sich die Lieutenants des einen als düstere Misanthropen in den Saalecken herumdrückten oder gar – dies freilich selten ohne die verdiente Enttäuschung – gastronomischen Studien oblagen, indessen die des andern sich wie trainirte Rennpferde geberdeten. Eine streuge Disciplin konnte da Hilfe schaffen. Hatten aber die Grazien gar ihr Füllhorn einseitig über das „Ewig Weibliche“ ausgeschüttet, so ergaben sich Situationen, die nach einem Tragödiendichter schrieen.

Eine solche war eingetreten zu Anfang des Jahres Achtzehnhundertund – es war der letzte Wille des längst verschiedenen Freundes, dessen Nachlaß ich diese Aufzeichnungen verdanke, daß das genauere Datum verschwiegen bleibe. Damals also stand die weibliche Flora des Ulanenregiments in geradezu überraschender Blüthenfülle, während sie bei den Dragonern einen entschieden herbstlichen Charakter trug. Dagegen war der jüngste Nachwuchs tanzender Lieutenants, der bei jenem Vieles zu wünschen ließ, bei diesen ganz vorzüglich gerathen, namentlich aber verfügte das Dragonerregiment über einen Officier von so vielseitigem gesellschaftlichen Talente, daß er, selbst vom Feinde anerkannt, als eine erste Kraft, als der maître de plaisir der Garnison galt. Es war dies der Lieutenant von Sternau.

Schlank, blond, mit veilchenblauen Augen, entbehrte Herr von Sternau äußerlich nur einer derjenigen Eigenschaften, welcher der Lieutenant im Kampfe ums Weiberherz, dieser für ihn so wichtigen Episode des Kampfes ums Dasein, bedarf, allerdings einer der wirksamsten, nämlich des Schnurrbarts. Doch war es nicht der Geiz der Natur, der ihn dieser Zierde beraubte, nein, er selbst hatte sie geopfert auf dem Altar der Kunst. Der Drang zur Kunst war ein Erbtheil aller Sternaus, und einige Vorfahren hatten ihm nicht nur ihre Schnurrbärte, sondern auch den größten Theil ihrer beweglichen Habe geopfert, sodaß auf unsern Helden nicht viel mehr, als gerade dies Erbstück kam. Wie aber wußte er es zu nützen! Die Idee des universellen, alle bisher isolirten Gattungen in sich vereinigenden Kunstwerks war ihm schon aufgegangen zu einer Zeit, da man von Richard Wagner kaum sprach, und mit diesem Meister theilte er die Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel, die rastlose, durch nichts zu beirrende, alle Hindernisse besiegende Energie. Schauspieler, Dichter und lustige Person in einer verschmelzend, war er des Erfolges im Voraus sicher. Die Aufführungen, die er veranstaltete, erfreuten sich daher auch eines Rufs weit über die Grenzen der Garnison hinaus und erregten den Neid der selbstverständlich davon ausgeschlossenen Ulanenfamilie.

Aber auch ein leicht entzündbares Künstlerherz schlug in seiner Brust. Seine Verehrung des andern Geschlechts hatte einen großen Zug; unabhängig von dem wechselnden Naturspiele der Haar- und Augenfarbe, entsprang sie eben jenem allgemeineren Drange zum Schönen, und er liebte es, ihr in schwungvoller Rede Ausdruck zu geben. Dafür fehlte nun leider seiner Umgebung das Verständniß, und die Kameraden nannten ihn scherzend den Romeo.

Der Rosalinden, für welche dieser Romeo geschwärmt, waren es verschiedene, keine hatte seine Gluth getheilt, ja, wenn man den bösen Zungen glauben durfte, hatte er sich zu den vielen Lorbeeren seiner Stellung auch bereits einen und den andern Korb geholt.

Sternau war, wie schon bemerkt, nicht mit Glücksgütern gesegnet. Die Familie besaß zwar ein Rittergut und er konnte mit vollem Recht zu seiner Zukünftigen sagen: „Komm auf mein Schloß mit mir!“ was er natürlich unter allen Umständen gesungen hätte. Doch würde ihn die Annahme der Einladung in Verlegenheit gebracht haben, denn die Zahl derer, mit denen er sich in den werthvollen Besitz theilte, war so groß, daß auf ihn selbst nur ein Paar Kämmerlein in höchster Lage mit allerdings vortrefflicher Aussicht kamen.

Nicht seine Mittellosigkeit war es jedoch – wo hätte die je eines Lieutenants Siegerschritt gehemmt! – die seinem Glück bei den Frauen im Weg stand, vielmehr gerade die bevorzugte Stellung, welche er ihnen gegenüber einnahm. Keiner stand mit ihnen auf so vertrautem Fuß wie er; die Mütter verhätschelten ihn und die Töchter versicherten ihm bei jeder Gelegenheit: „Das haben Sie reizend gemacht, lieber Sternau, es war ganz entzückend, zum Todtlachen, wir haben uns göttlich amüsirt!“ und was dergleichen Redensarten mehr sind. Er war ihnen unentbehrlich, aber eben weil er vor ihnen allen der Reihe nach auf den Brettern schon gekniet, hatten sie sich gewöhnt, seine Gefühlsergüsse auch im Leben für nichts Anderes als besonders gelungene Kunstleistungen zu nehmen. Ihn heirathen wäre ein Raub an der Gesellschaft gewesen, dessen sich keine schuldig machen wollte.

Weibliche Vertraulichkeit, wenn sie eine gewisse Grenze überschreitet, ohne sich zur Liebe zu entwickeln, ist immer ein zweifelhaftes Geschenk, geradezu eine Beleidigung aber, wenn ihr Gegenstand ein Lieutenant ist. Kann man sich etwas Ungereimteres denken, als wenn Tiger und Gazelle, Wolf und Lamm, Lunte und Pulverfaß ein Bündniß schlössen, sie wollten sich in Freundschaft harmlos mit einander vertragen?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_408.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2021)