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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

über die drollige Personalbeschreibung, wie er in den Gesellschaften mitunter nicht so recht vom Flecke komme und in der Absicht, ein Kompliment zu sagen, häufig eine wunderbare Grobheit herausbrächte zu seinem eigensten Erstaunen. Sie wollte sich ganz besonders für diese „Seele“ von einem Menschen, wie Franz ihn nannte, putzen; sie steckte eine Spitzenrosette ins Haar; das hatte Franz gern, es sah so frauenhaft aus, beinahe wie ein Häubchen. Als sie mit dem graziösen Attribut ihrer jungen Würde an den Toilettentisch trat, um in den Spiegel zu schauen, sah sie dort einen Maiblumenstrauß und um seinen Stiel gewunden ein Zettelchen.

„Von ihm, von Franz,“ flüsterte sie und würde roth vor Freude. Er hatte ihr so lächelnd „Adieu!“ gesagt. Eilig wickelte sie das Papier von den Blumen und las:

„Ich hab’ Dich ‚namenlos‘ geliebt!
Was schaust Du mich verwundert an?
Und warum fragst Du schier betrübt,
Wieso ich dieses Wort ersann?

Weil lieben schon so herrlich sei,
Daß es des Beiworts nicht bedürfe?
Es wär’, als ob man in dem Mai
Noch mit gemachten Blüthen würfe?

Du hast wohl Recht; doch gieb die Hand
Und hör’, wie mir die Worte kamen,
Als mir Dein Blick ins Herz gebrannt,
Da kannt’ ich längst nicht Deinen Namen.

Ich sah nur Deiner Augen Paar,
So süß, wie ich sie heute kenne,
Und wußt’ es gleich, daß Dein ich war,
Und wußte nicht, wie ich Dich nenne,

Noch wo Dein Haus, und wer die Deinen,
Und wer davon mir Kunde giebt!
Will Dir das Wort so recht erscheinen?
Ich hab’ Dich ‚namenlos‘ geliebt!“

„So redet er sich heraus,“ flüsterte sie mit seligen Blicken und drückte das Papier an die Lippen. „Ja freilich, das ist richtig, ‚namenlos‘!“ –

Es war ja ihr Lieblingsgespräch, daß sie sich schon gern gehabt, ehe sie wußten: woher, wohin? Sie war doch eine sehr glückliche Frau!

Und sie steckte die Maiblumen an die Brust, den kleinen Zettel in die Tasche, nahm den Schlüsselkorb und ging noch einmal im Speisezimmer musternd um die Tafel, und weil sie weiter nichts vorhatte im Moment, klopfte sie an Tante Rosa’s Thür, die nur durch einen schmalen Flur vom Saale getrennt war.

Die alte Dame saß am Fenster und „machte“ Rosen; es sollte eine Hochzeit im Dorfe sein um Pfingsten. Ihr gegenüber hatte ein kleiner Herr Platz genommen, der jetzt die eintretende junge Frau mit einer tiefen Verbeugung begrüßte.

„Bitte tausendmal um Entschuldigung, gnädige Frau – ich wollte Ihren Herrn Gemahl sprechen – höre, daß er ausgefahren ist, da hat mir das Fräulein gestattet, hier zu warten.“

„Was sagt er, Frau Gertrud?“ fragte die alte Dame, ihr die Hand reichend, „ich habe ihm gar nichts erlaubt, er kam herein – und da ist er.“

„Mein Name ist ‚Wolff‘, gnädige Frau,“ stellte sich der Agent vor.

„Müssen Sie meinen Mann heute nothwendig sprechen? Wir haben Besuch zu Mittag, es paßt sich schlecht; kann ich es nicht ausrichten?“ erkundigte sich Trudchen.

„O nein! Nein!“ wehrte er entschieden ab mit neuen Verbeugungen. „Ich muß Herrn Linden selbst sprechen, kann aber wiederkommen, ’s ist ja nicht so umständlich, bin früher täglich den Weg gegangen. Ich empfehle mich, wünsche den Damen ‚Guten Morgen‘!“

„Was er nur gewollt hat, Tantchen?“ forschte die junge Frau, als er gegangen.

„Nun, was er bei mir wollte, kann ich Ihnen sagen – ausfragen wollte er mich; am liebsten hätte er durch die Schlüssellöcher geguckt, um zu wissen, wie es aussieht bei Euch drüben. Aber setzen Sie sich doch, junges Frauchen!“

Die Beiden verstanden sich ganz gut. Zuweilen trank die alte Dame bei Trudchen Kaffee, und dann mußte sie viele Fragen beantworten. Ganz zufällig war es da herausgekommen, daß sie eine Schulkameradin von Trudchens Großmutter gewesen aus der engen Gasse. Unterweilen gingen sie auch zusammen spazieren, und Trudchen lernte die Dorfleute kennen, erfuhr, wo es Arme gab, und ein wenig von der Chronik des Ortes. Tante Rosa zeichnete in etwas schroffen Strichen, es gefiel ihr nicht leicht Jemand, dafür war aber Linden, nächst einer jungen Nichte, ihr Abgott. „Er ist so anständig,“ pflegte sie ihn zu loben, „ist galant, auch gegen die Alten.“ Und Trudchen vergalt ihr dies Kompliment und erklärte, sie könne sich das Haus gar nicht ohne Tante Rosa denken.

Heute litt es die junge Frau nicht lange in dem Rosenstübchen; es war sonderbar, sie ängstigte sich um ihren Mann. Wenn ihm nur nichts mit den neuen Pferden passirt, dachte sie und trat auf die Veranda. In Blüthenpracht lag der Garten unter der Mittagssonne vor ihr, einsam und still allenthalben. Dann flog ein Schatten über ihre Züge; dort hinten, unter den Kastanien, wo die Sonnenstrahlen wie goldene Flocken durch das Blättergewirr brachen, ging ein Mensch. Kein Zweifel – er war es, der aus Tante Rosa’s Stübchen. Wie kam er dazu, in den Garten einzudringen? Wo hatte sie doch seinen Namen schon gehört? Sie schreckte empor, als hätte sie etwas Unangenehmes berührt. „Wolff“ – der Name stand auf der Visitenkarte, die dem Blumenkorbe beigegeben war, der am Hochzeitsabend – – ja freilich! Aber sie hatte den Mann auch schon gesehen – wo doch gleich? Vielleicht bei Arthur, draußen in der Fabrik? Es konnte sein.

Sie hob den Kopf, und ihre Augen leuchteten wieder; dort bog der Wagen in das Gitterthor; er lenkte die Pferde, und im Fond des leichten Gefährts saß, neben dem erwarteten Freunde, Onkel Heinrich und schwenkte sein rothes Taschentuch.

Die Herren waren in allerbester Stimmung; es wurde eine lebhafte Begrüßung. „Jetzt sieht’s hier anders aus, Franz,“ sagte der kleine Amtsrichter und klopfte Linden auf die Schulter und schüttelte der jungen Frau die Hand; er war so vergnügt, daß er sich sogar nach Tante Rosa erkundigte.

„O, siehst Du, Kind,“ entschuldigte Onkel Heinrich sein Kommen, „ich wäre nicht schon wieder hier, aber der Wirth im ‚Deutschen Hause‘ ist gestorben hente früh – ich kann da nicht essen, ’s ist mir nicht möglich! Du hast doch Spargel?“

„Wird nichts verrathen, Onkelchen!“ Sie legte eben ihren Arm in den des alten Herrn und schritt zwischen ihren Gästen die Stufen hinauf. Oben wandte sie den Kopf zurück und trat dann rasch an die Brüstung der Veranda.

Dort stand dieser Wolff wie hingezaubert vor ihrem Manne, den Hut devot in der Hand, und sein Gesicht war eitel Lächeln.

„O, la la!“ sagte Onkel Heinrich, „wo kommt Der her, Trudchen?“

Der Amtsrichter sah unter seiner blauen Brille hervor mit gespannter Aufmerksamkeit auf die beiden Herren. Jetzt winkte Linden kurz mit der Hand, und sie schritten den Weg entlang, der nach dem Gittertore und zum Hofe führte; Wolff immer eifrig spreched.

Trudchen bog sich weit über das Eisengeländer; es kam ihr vor, als ob Franz unwillig sei. Nun standen sie still, Franz öffnete die Gitterthür und wies plötzlich mit einer nicht mißzuverstehenden sehr energischen Geberde hinaus. Herr Wolff zögerte, er sprach wieder; da noch einmal, noch heftiger die stumme Geberde, und wie ein Blitz verschwand der kleine Mann. Klirrend fiel die Thür ins Schloß und Franz kam zurück, aber langsam, als müsse er sich erst sammeln, und dunkelroth, wie nach heftigem Aerger.

Sie ging ihm entgegen, aber fragte nicht; vor den Gästen wollte sie ihn nicht zum Reden bringen. Sie drückte nur verstohlen seine Rechte und sprach heiter über die Freude, Besuch zu haben.

„Charmant!“ sagte er zerstreut, „aber bitte, Trudchen, unterhalte Dich mit Onkel Heinrich – Richard – komm einen Augenblick – ich muß – ich will Dir Deine Stube zeigen.“ Und die beiden Freunde gingen zusammen hinaus.

„Weißt Du auch, daß Du Nachmittag noch mehr Gäste bekommst?“ fragte der alte Herr, sich behaglich im Salon niederlassend. „Deine Mutter und Fredrichs; sie sind gestern früh zurückgekehrt. Tausend Wetter, sieht Frau Jenny fesch aus! Und, Gott sei Dank, ist auch das Milchgesicht, der Arthur, ein bischen von der Sonne angebräunt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_419.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2021)