Seite:Die Gartenlaube (1885) 428.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Geräusch bei Seite geschobener Stühle die Aufhebung der Tafel verkündete und die fast gleichzeitig wieder einfallenden Klänge der Musik zu einem flotten Walzer einluden. Aber nicht freudig wie die andern folgte er der Ladung, sondern zögernd und mißmuthig, und nachdem er seine Tänzerin ein paarmal im rasendsten Tempo herumgeschwungen, gab er sich aufs neue seiner finsteren Beobachtung hin. In dem Gewühl, das wie ein Wirbelwind an seinem erregten Blick vorbei flog, sah er Romeo und Julia bald schneller, bald langsamer in anmuthig schaukelnder Bewegung dahin gleiten, verschwinden, wieder auftauchen und, ganz dem Vergnügen des Tanzes hingegeben, nur selten ruhen. Unwillkürlich ballten sich seine Fäuste bei dem Anblick und die dolchscharfen Schnurrbartspitzen knirschten zwischen den sie unbarmherzig zermalmenden Zähnen. Er sah ordentlich unheimlich aus.

Nun plötzlich war ihm das Paar verschwunden und blieb’s, so sehr er darnach forschte; keine neue Woge brachte es wieder.

„Wo sind sie?“ Laut stieß er diese Worte hervor und blieb die Antwort auf das freundliche – „Wie meinten Sie?“ seiner Dame schuldig. Länger vermochte er sich nicht zu halten, die ganze Eifersucht des Moslem, dessen Gewand er trug, erfüllte seine Brust. Zwar glaubte er, einem Rest ruhiger Vernunft zu gehorchen, indem er sich mit seiner Frage an Frau von Helmkron wandte, aber da kam er schlimm an. Diese, in gespannter Ermartung, ob ihr der Prinz zum zweiten Mal die Ehre eines Tanzes, welche ihrer Kollegin eben zu Theil ward, gewähren werde, hatte kein Ohr für ihren Schützling; nur ein zorniger Blick sagte ihm, daß sie heute nicht Kousine, sondern Vorgesetzte für ihn war. Durch diese Behandlung aufs Aeußerste gebracht, vergaß Herr von Hagedorn alle guten Rathschläge seines Obersten und nur seinem hitzigen Temperament folgend, beschloß er, sich selbst die gewünschte Auskunft zu verschaffen. –

Sternan hatte seine von der Schwüle des Saals angegriffene Dame in ein kühleres und zur Zeit ganz verlassenes Nebengemach geführt, wo man die Musik nur gedämpft vernahm und auch keine allzu grellen Lichteffekte die Ruhe störten, zu welcher ein bequemer, von Blattpflanzen überschatteter Eckdivan die tanzmüden Glieder einlud. Nachdem er sie durch eine Limonade gestärkt, glaubte er, den Augenblick gekommen, das entscheidende Wort, das ihm längst auf den Lippen brannte, auszusprechen. In der That war es dazu die höchste Zeit, denn nach drei weiteren Tanznummern ging der Ball zu Ende und wer weiß, ob sich ihm je wieder so günstig die Gelegenheit bot, sein übervolles Herz auszuschütten. Er that es in der bekannten schwungvollen Weise, aber dieses Ueberschwängliche, das die andern für ein Kunstprodukt hielten, war Julien völlig neu und wirkte daher auf sie wie die ungeschminkteste Natur. Ohnehin hatten die Erregung des Tanzes, die Anwesenheit des Prinzen, die Einsamkeit des Orts, die gedämpfte Musik, endlich das Kostüm, dem der berühmten Veroneserin so ähnlich, wie Sternau’s dem des Romeo, ihr empfindsames Gemüth noch besonders auf diesen Fall vorbereitet. Eine süße Mattigkeit war über ihr ganzes Wesen ergossen, in traumartigem Zustand, von Palmen umfächelt, von Quellen ummurmelt, lauschte sie den glühenden Schwüren ihres Anbeters, wie dem bezaubernden Gesang eines Vogels, und dieser, von einer ähnlichen Sinnentäuschung befangen, ward immer kühner, immer feuriger. Vor ihr stehend hatte er, ohne daß sie’s wehrte, ihre beiden Hände erfaßt, seine Kniee beugten sich, seine Lippen neigten sich zu den ihrigen und sie regte sich nicht, „wie Heilige pflegen, wenn sie zugestehn.“ Sternau aber, in dem sich auch in diesem erhabenen Moment der Künstler nicht verlengnete, deklamirte begeistert die Worte des Romeo:

„Entweihet meine Hand verwegen Dich,
O Heil’genbild, so will ich’s lieblich büßen,
Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich,
Den herben Druck im Kusse zu versüßen.“

Da – es ist nie ganz aufgeklärt worden, wie weit die beiden Pilger auf ihrer Wallfahrl gelangt waren – erhob sich plötzlich zwischen den beiden die riesige Gestalt eines Muselmanns und Hagedorn’s Stentorstimme unterbrach den sanften Fluß Shakespeare’scher Verse:

„Gnädiges Fräulein, Ihre Frau Mama wünscht mit Ihnen zu sprechen!“

Ein heller, markdurchdringender Schrei und Julia lag ohnmächtig auf den Polstern des Divans.

Vergebens suchte Sternau den wüthenden Rivalen zu beruhigen, den seine Demuth nur noch rasender machte, so daß auch er die Geduld verlor. Ein heftiger Wortwechsel entspann sich. Gleichzeitig aber verstummte draußen die Musik, Damen und Herren stürzten in das Gemach, wie eine Verzweifelnde warf sich Frau von Helmkron, ihrer Mutterrolle plötzlich eingedenk, über die Tochter, der Prinz kam und erkundigte sich nach der Veranlassnug des bedauerlichen Vorfalles; aus den Reden der beiden Gegner jedoch war kein Aufschluß zu erlangen. Ein Arzt kam, die Herren wurden gebeten, das Zimmer zu verlassen; frisches Wasser und stärkende Essenzen riefen Julia ins Leben zurück. Es war ein schreckliches Erwachen, und sie fühlte sich so erschöpft, daß sie schleunigst nach Hause verlangte. Frau von Helmkron begleitete sie, und um ihren mütterlichen Schmerz nicht durch Fortsetzung des Balls zu entweihen, sprach der Prinz nochmals seinen Dank und sein Bedauern aus und entfernte sich gleichfalls. Im Weggehen jedoch ersuchte er die beiden Kommandeurs, ihm morgen genauen Bericht über den störenden Zwischenfall und seine Ursachen zu erstatten. So schloß das so schön begonnene Fest mit einem schrillen Mißton. Zwischen den Lieutenants von Sternau und von Hagedorn fand in einem einsamen Kasernenraume eine weitere Auseinandersetzung mit blanken Waffen statt, und noch ehe die Sonne Aurorens Bettvorhang ganz weggezogen, hatte der unselige Bruderzwist bereits ein neues blutiges Opfer gefordert, kein geringeres, als die Nasenspitze des Herrn von Hagedorn.

„O, ich Narr des Glücks!“ seufzte Romeo, als er beim Tagesgrauen nach Hause kam. – –

Die Sonne ging an diesem Morgen sehr spät auf und beleuchtete einen trüben Tag. Noch trüber sah es in der Brust unseres Freundes aus. Er hatte sich halbentkleidet aufs Bett geworfen, aber der Schlaf floh ihn, und als er ihn eben zu erhaschen dachte, wurde er durch eine Ordonnanz zum Regimentskommandeur beschieden. Nach einer längeren sehr lebhaften Unterredung kehrte er gegen Mittag wieder in seine Wohnung zurück. Er berührte nichts von den Speisen, die ihm sein Bursche auftrug, wie ein Verzweifelter schritt er im Zimmer auf und nieder, er lud seine Pislolen. In seinen Ohren gellte das Wort „Versetzung“ – schlimmer als der Tod. Gab es eine Welt außerhalb X.? Keine Philosophie brachte ihn darüber weg.

Da klirrten neuerdings Tritte die Treppe herauf, zwei sehr bestimmte Schläge erschütterten die Thür, und hereib trat, ordengeschmückt, die Czapka in der Hand, mit strenger feierlicher Miene, der Oberst von Helmkron.

„Ich habe,“ begann er, noch ehe sich Sternau von seiner Verblüffung erholt hatte – „von Ihrem Herrn Kommandeur die Erlaubniß zu diesem gegen die Vorschrift verstoßenden Besuche erbeten, den mir der gestrige Vorfall zur Pflicht macht. Herr von Hagedorn hat mich von Allem unterrichtet. Schwerlich werden Sie dagegen etwas vorzubringen haben.“

„Ich gestehe, Herr Oberst, die Leidenschaft –“

„Lassen Sie mich, bitte, ausreden. Sie haben meine Tochter öffentlich kompromittirt, ich kann und will nicht annehmen, daß Sie das muthwillig gethan, und frage Sie daher: Lieben Sie Fräulein von Helmkron?“

„Ich liebe sie, ach, längst –“

„Genug, es gab zweifellos richtigere Wege, diesem Gefühle Ausdruck zu geben, als den Sie gewählt. Indessen bin ich nicht hier, Ihnen Vorwürfe zu machen, auch muß ich zugeben, daß das Ungewöhnliche unserer gesellschaftlichen Zustände Ihre Schuld einigermaßen mildert. Dieses Mißverhältniß endet jedoch mit dem heutigen Tage. Seine Hoheit, der Prinz, von der Sachlage längst unterrichtet, ist über den jüngsten Vorgang und seine Folgen aufs Tiefste empört, er wird solche Zustände auch nicht einen Tag länger dulden, wir beide Kommandeurs haben ihm die Versöhnung unserer Regimenter in die Hand gelobt. Selbstverständlich habe ich auch mit meiner Tochter gesprochen, auch sie ist Ihnen geneigt und erwartet ihr Lebensglück von einer Verbindung, die zugleich die einzig vernünftige Lösung der höchst kritischen Situation ist. Meine Gattin und ich, obwohl wir uns bezüglich Juliens mit anderen Plänen trugen, wollen ihrem Glücke nicht im Wege stehen, wir geben unsere Zustimmung. Wenn irgend Etwas im Stande ist, dem Prinzen den schiefen Eindruck, den er vom gestrigen Abend empfangen, zu mildern, ja zu verwischen, so ist

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_428.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2021)