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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Ich zittere an allen Gliedern,“ hörte Trudchen jetzt Jenny, „es ist empörend, wir sind auf ewig lächerlich gemacht! Gestern Abend erst sagte ich noch zur Frau von S.: ‚Sie können sich nicht vorstellen, welch ein idyllisches schäferhaftes Glück da draußen in Niendorf seinen Wohnsitz hat!‘“

„Zum Henker mit Eurer Logik! Ich sage Euch –“ rief jetzt der kleine Herr zornig. Aber er verstummte jäh, dort auf der Schwelle stand Trudchen Linden.

„Sprecht Ihr von uns?“ fragte sie, und ihre erschreckten Augen irrten über die Anwesenden und blieben an der Mutter hängen, die bei ihrem Erscheinen weinend in den Sessel zurücksank.

„Ja, Kind!“ Der alte Herr war zu ihr geeilt und suchte sie hinauszudrängen. „’S ist ein unüberlegter Streich von Deiner Mutter gewesen, daß sie Dich holen ließ, es ist nämlich gar nichts Schlimmes passirt, so eine dumme Rederei, ein Mißverständniß, lächerlich! Komm erst mal herüber in ein anderes Zimmer, ich will es Dir erklären.“

„Nein, nein, Onkel, ich möchte es wissen, genau wissen!“ Sie zog ihre Hand aus der seinen und schritt zur Mutter hinüber. „Hier bin ich, Mama, nun sage mir Alles, aber rasch – ich bitte Dich.“

Sie sah aus todtenbleichem Antlitz zu der weinenden Frau hinunter, und so stand sie in ihrer einfachen Sommertoilette fast regungslos, nur die Bänder des Hütchens, die zur Seite des Gesichtes in einen leichten Knoten geschürzt waren, bebten in raschen Schlägen und gaben Kunde von ihrer furchtbaren Erregung.

„Ich kann’s ihr nicht sagen,“ schluchzte Frau Baumhagen, „sag Du es, Jenny!“

Sofort wandte sich Trudchen zu der Schwester. Die junge Frau schlug die Augen nieder und wickelte die schwarzen Sammetschleifen ihres Morgenkleides nervös um die Finger.

„Dein Mann ist in eine unangenehme Situation gerathen,“ begann sie leise.

„In wiefern?“ fragte Trudchen.

„Eine fatale Geschichte ist es, aber nicht darnach angethan, solche Leichenbittergesichter zu machen,“ polterte der alte Herr, der am Fenster stand.

„Er hatte –“ Frau Jenny stockte wieder, „gestern ein Gespräch mit Wolff.“

„Das weiß ich.“ bestätigte Trudchen.

„Wolff hat eine Forderung an ihn, eine sehr diskrete Forderung; Dein Mann will sie nicht anerkennen, und –“

„So kommt in drei Teufels Namen zu Ende!“ Der alte Herr schlug zornig auf das Fensterbrett, „wollt Ihr der Frau das Gift tropfenweise geben?“

Er faßte wieder Trudchens Hand und suchte nach Worten.

„Sieh, Trudchen, es ist so schlimm nicht; es kommt manchmal vor, und der Wolff mag sich auch aufgedrängt haben – kurz und gut, er ist so ein lebendiges Lexikon, kennt alle Menschen hier herum, und was Einer wissen will, das erfährt er sicher bei ihm. Da hat Dein Mann sich nun – na, wie soll ich mich denn ausdrücken? – hat sich nach Deinen Verhältnissen erkundigt, verstehst Du? – ehe er um Dich anhielt, voilà tout. Es kommt hundertmal vor, Kind, Du bist vernünftig, nicht wahr, Trudchen?“

Die junge Frau stand wie eine Statue, nur allmählich kehrte die Farbe wieder auf ihr Antlitz zurück.

„Das ist eine Lüge!“ sagte sie hoch aufathmend. „Deßhalb habt Ihr mich holen lassen?“

„Aber Wolff war bei mir,“ klagte Frau Baumhagen, „er rief meine Vermittelung an.“

„Nein, er war bei uns,“ berichtete Jenny, „schon in aller Morgenfrühe; er wollte Arthur sprechen. Aber Arthur –“ sie stockte, „Arthur ist gestern Abend –“

„Vielmehr in dieser Nacht urplötzlich verreist,“ ergänzte Frau Baumhagen schneidend, „ich habe Freude an den Ehen meiner Kinder.“

„Ich kann nichts dafür, daß er Alles gleich übelnimmt,“ lachte die junge Frau unbekümmert; „eigentlich sind wir doch sehr glücklich!“

„Das weiß was von Glück!“ brummte der alte Herr vor sich hin, so leise, daß es nur Trudchen verstand, neben der er Posto gefaßt hatte. Und laut setzte er hinzu: „Eine eilige Geschäftsreise; sagen wir, eine eilige Geschäftsreise, der eine kleine süße Gardinenpredigt voranging.“

„Allerdings eine Geschäftsreise,“ betonte Frau Baumhagen pikirt, „nach Manchester.“

„Was hat das mit Trudchens Angelegenheit zu thun?“ fragte Onkel Heinrich; „genug, Arthur war nicht da und der Gentleman stieg eine Treppe höher und sprach mit Deiner Mutter, mein Kind. Nicht der Rede ist’s werth – wäre ich nur früher hier gewesen! Es ist zwar fatal, daß Du es erfährst, aber glaube mir, Kind, sie erkundigen sich Alle heutzutage.“

Der kleine gutmüthige Herr klopfte ihr freundlich auf die Schulter.

Frau Baumhagen aber fuhr wie eine gereizte Löwin empor. „Rede nicht so wunderlich! Was ist da noch zu beschönigen? Eine ganz gemeine Heirathsvermittelung ist es gewesen. Ich hoffe, daß Gertrud soviel Ehrgefühl besitzt, Herrn Linden zu sagen, daß –“

„Vorläufig kein Wort!“ Die junge Frau trat förmlich drohend in die Mitte des Zimmers.

„Aber ich bitte Dich! Es wird der skandalöseste Proceß, den die Welt kennt,“ schluchzte die erregte Dame, „er will ja Linden verklagen – Du und er, Ihr werdet Beide vor Gericht müssen.“

Trudchen erwiderte keine Silbe.

„Habe die Güte, mir einen Wagen besorgen zu lassen, Onkel,“ bat sie.

„Nein, Du darfst nicht fort, so nicht! Du siehst erbarmungswerth aus!“ schlugen die Angstrufe von Mutter und Schwester an ihr Ohr.

„Laß doch mit Dir reden, Trudchen,“ klagte Frau Jenny, „wir beschwichtigen den Wolff. – Onkel kann ja fragen, wie hoch die Forderung ist für seine Vermittlung, und –“

„Und Du kommst wieder zu uns,“ schluchzte die Mutter. „Trudchen, Trudchen, mein armes unglückliches Kind, habe ich es nicht geahnt?“

„Da hört Alles auf!“ murmelte ingrimmig der alte Herr. „diese Weiberweisheit hole der Teufel! Laß Dir nicht dreinschwatzen, Kind,“ rief er kräftig dazwischen, „mach’s mit Deinem Mann allein aus.“

„Einen Wagen, Onkel!“ wiederholte die junge Frau ihre Bitte.

„Warte doch wenigstens,“ flehte Frau Jenny, „bis Mamas Anwalt –“

„Das fehlt auch noch!“ brummte Onkel Heinrich, „wäre nur Arthur hier gewesen, so konnte diese verfl .... Geschichte nicht gleich in die Hände der Frauenzimmer kommen. Ich hole Dir einen Wagen, Trudchen. Eure Gäule sind wohl auf der Fabrik, Jenny? Auch gut. Verziehe nur einen Moment!“

Trudchen war wie betäubt an das Fenster getreten, noch hatte sie kein klares Verständniß der Sache. „Die ganze Stadt spricht davon!“ hörte sie die Mutter schluchzen. Wovon denn? – Sie versuchte mit Gewalt ihre Gedanken zusammen zu fassen, aber es ging nicht. Nur das Eine: Es ist nicht wahr! stand deutlich vor ihrer Seele.

Sie ballte die kleine Faust im Lederhandschuh. „Lüge! Lüge!“ kam es über ihre Lippen. Aber wie ein schwerer Nebel hatte sich diese Lüge über ihr junges Glück gelegt, so beängstigend, daß ihr das Athmen schwer wurde.

„Soll ich mit Dir fahren?“ fragte Jenny hinter ihr. Eben kam der Wagen über den Marktplatz.

„Ich danke! Zwischen meinem Mann und mir brauche ich keinen Dritten!“ Kalt und schroff klang es.

„Du siehst so jammervoll aus,“ stöhnte die Mutter.

„Um so besser, daß ich bald heim komme.“

„Schicke doch wenigstens gleich einen Boten!“

„Vielleicht glaubt Ihr auch, daß er mich schlägt?“ fragte sie schneidend und sich zum Gehen wendend.

„Kind! Kind!“ rief Frau Baumhagen und streckte die Arme nach ihr aus, „nimm Vernunft an; sei doch nicht so verblendet, wo Thatsachen sprechen!“

Aber sie wandte sich nicht zurück; ruhig nahm sie draußen ihren Mantel vom Garderobenständer. Sophie blickte angstvoll in das blasse stille Gesicht der jungen Frau, die ganz vergaß, der alten Dienerin ein freundliches Wort zu sagen. Am Wagenschlag stand Onkel Heinrich.

„Ich will Dich begleiten, Trudchen,“ bat er.

Sie schüttelte den Kopf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_440.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)