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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Blätter und Blüthen.

Der Rhein in Graubünden. (Mit Illustration S. 441.) Er ist kaum sechs Stunden alt und macht schon solche Sprünge, der junge Rhein. Als ich vor Jahren vom Berg zum Dorf Splügen herabstieg, begrüßte ich ihn zum ersten Male, den grünen Burschen, der, gesäugt mit Gletschermilch aus Felsenbrüsten, es leicht hatte, zusehens groß und stark zu werden. Nöthig hat er aber seine ganz besondere Kraft, denn es wird ihm nichts Geringes zugemuthet, ehe er zu einem soliden Lebenswandel gelangen kann. Die Strecke vom blauschimmernden Eisgewölbe des Zapportgletschers am Fuße des Rheinwaldhorns, aus welchem der Hinterrhein lustrauschend hervorbricht, bis nach Reichenau, wo er mit dem Vorderrhein verbunden als ganzer Rhein weiterzieht, beträgt nur fünfzehn Wegstunden, aber die Höhe, die er dabei zu überwinden hat, nahezu 4000 Fuß. Diese Zahlen erleichtern die Vorstellung von dem Sturmlauf, zu welchem der junge Bergstrom gezwungen ist.

Auf drei Riesenstufen gelangt der Hinterrhein von Berg zu Thal. Die erste Stufe ist das Rheinwaldthal, die zweite das Schamser- und die dritte das Domleschgerthal. –

Kaum hat der Ewigneugeborene sich zum Bach gesammelt, so beginnt die Ungewöhnlichkeit seines Erdenlaufs, denn während er links einen Theil seiner Wasser in einen Abgrund (die „Hölle“) schleudert, bespült er zur Rechten eine Wiese, die wie eine Insel im Gletscher grünt, und weil im Hochsommer italienische Heerden hier weiden, deren Hirten in Luxuseinfalt sehr an das erste Menschenpaar erinnern, so hat man diese Stätte das „Paradies“ genannt. Nun geht es rasch thalabwärts. Da, wo die Bernhardinstraße das Thal verläßt, um südlich bergauf zu steigen, erfreut uns die erste steinerne Rheinbrücke, und haben wir die drei Rheinwalddörfer Hinterrhein, Nufenen und Splügen hinter uns, so können wir links die Ruine der ersten Rheinburg begrüßen und gehen schnurstracks auf den ersten Rheinfall los. Es ist ein reizender Gang von Splügen auf der prächtigen Kunststraße neben dem fröhlichen Rhein her. Ringsum die majestätischen Bilder des Hochgebirgs und in nächster Nähe liebliche Lärchen- und Tannenwäldchen und lachende Wiesenflächen, bis die Felsen immer näher heranrücken und endlich ein mächtiges Felsenthor uns das Ende der ersten Stufe ankündigt. Um zur zweiten, zum Schamserthal, hinab zu gelangen, dafür haben Natur und Kunst für den Strom und für den Verkehr verschiedene Bahnen geschaffen. Ich schildere sie mit Freuden heute wieder, wie ich sie fast vor einem Menschenalter gesehen und geschildert und wie beide noch unverändert sind.

Jene Felsenpforte steht dort, um uns auf die Schauer vorzubereiten, welche hier zu erleben sind. Denn gleich unter derselben öffnet sich die Schlucht der Rofflen. Im Zickzack abwärts windet das graue Gestein mit immer tiefer und schroffer abstürzenden Wänden und immer trotziger aufgestemmten Zacken und Brocken den Weg für den jungen Riesen. Es wird ihm zu enge, er brüllt vor Wuth und schlägt um sich, daß der Schaum aufspritzt an seine Kerkermauern. Aber vergeblich. Er muß sich fügen. Wo er am schlimmsten zu toben beginnt, führt uns die Straße ab von ihm. Man hört nur noch sein Grollen, immer tiefer herauf, während wir selbst nur wenig abwärts steigen. Plötzlich donnert er wieder vor uns. Eine Brücke überspannt ihn in einem Bogen, und hier endlich genießen wir vom ersten großen Rheinfall einen vollen Anblick. Jetzt senkt sich auch die Straße oft steil in die Tiefe und links verläßt uns das Donnern des Rheins nie. Ueber hundert furchtbare Stufen führt sein Weg hinab, immer mächtiger stürmt er einher, verstärkt durch frische Genossen, und immer herrlicher glänzen ihm Auge und Kleid. Bald sehen wir ihn dahinjagen auf glattem Gestein, im smaragdenen Gewande, verziert mit blüthenweißen Spitzen, bald rafft er sich zum Sprunge auf und stürzt, blinkend im stählernen Panzer und schaumbedeckt, von Fels zu Fels, bald ruht er aus im tiefen stillen Grunde und in seinen blauen Augen spiegeln sich die freudig nickenden Tannen, die grünen Hügel, schwarze Felsen und sonnige Häupter der Berge.

An einem der schönsten Punkte verlassen wir die Rofflenschlucht. Die Straße führt in vielen Windungen abwärts durch einen lustigen Wald, dann auf hoher Brücke über den Averser-Rhein, der mit einer Wassermasse, die der des Hinterrheins fast gleichkommt, rechts vom Gebirg herabstürmend, sich mit in die Rofflen stürzt. Die Schlucht, aus welcher dieser Zustrom herauskommt, heißt wegen des Erzreichthums, der ehedem ausgebeutet wurde, auch Ferrerathal, und hier finden wir auch den Wasserfall unseres Bildes, der uns nicht weit vom Eintritt in die Schlucht Halt gebietet. Kehren wir zur Straße zurück, so führt diese uns endlich rechts in weitem Bogen an dem lieblichen Alpendorf und der Ruine Bärenburg vorüber hinab in das heitere, vom nun doppelt starken Rhein in breitem Bette durchströmte Schamserthal mit den freundlichen Orten Andeer und Zillis. Und hier haben auch wir zu halten, nachdem wir die Leser bis zur Stätte unserer Illustration geleitet haben.

Unserem jungen Rhein steht aber noch „ein böser Weg“ bevor, dem schon die Römer seinen Namen gegeben: Via mala. Durch einen Hunderte von Klaftern tiefen und oft nur wenige Klaftern breiten, stundenlangen Abgrund muß er seine Wassermenge pressen, oft dem Menschenauge ganz verschwindend, bis er endlich seine dritte Stufe erreicht hat, das Domleschgerthal mit dem Hauptorte Thusis. Der Wanderer aber, der die Schauer dieses Weges überwunden hat und in Thusis seinen Stab ans Wirthshaus lehnt, kann sich die Ehre erzeigen, irgend ein recht liebes Wohl in dem ersten Rheinwein zu trinken. Fr. Hfm.     


Keilschrift-Räthsel.

Rettet zwei deutsche Forscher in Afrika! Von Prof. Dr. A. Supan, dem Herausgeber von „Petermann’s Geographischen Mittheilungen“, geht uns folgender Aufruf zu, den wir der Beachtung unserer Leser auf das Wärmste empfehlen:

„Durch die kriegerischen Ereignisse im Sudan sind zwei hochverdiente deutsche Forscher, Dr. Wilh. Junker und Dr. Schnitzler (Emin-Bey) von der Verbindung mit der Heimath abgeschnitten worden. Seit zwei Jahren haben wir keine Nachrichten mehr von ihnen erhalten, und unsere Besorgnisse sind natürlich erheblich gesteigert worden, seit Khartum in die Hände des Machdi gefallen und damit jede Hoffnung auf eine baldige Wiedereröffnung der Nilstraße verschwunden ist. In einer besonders gefahrvollen Lage befindet sich Emin-Bey als Gouverneur der ägyptischen Aequatorialprovinz, aber nicht minder auch Dr. Junker, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach bei Emin-Bey in Lado aufhält. Zum Zwecke ihrer Rettung hat Dr. Junker’s Bruder in St. Petersburg den durch seine Reise im Massailande rühmlichst bekannten deutschen Arzt in Sansibar Dr. G. A. Fischer beauftragt, von Sansibar aus eine Expedition nach Lado zu unternehmen. Am 21. April dieses Jahres hat sich Dr. Fischer in Triest eingeschifft, und er wird hoffentlich nicht allzu viel Zeit mit Vorbereitungen zur Expedition in Sansibar verlieren müssen.

In der Erwägung, daß es nicht blos Sache des Bruders ist, den Bruder zu retten, sondern daß es auch die Ehrenpflicht eines großen und mächtigen Kulturvolkes ist, seiner im Dienste der Wissenschaft in fernen Erdtheilen weilenden Söhne nicht zu vergessen, hatte ich im Verein mit der Geographischen Anstalt Justus Perthes schon vor längerer Zeit an die geographischen Vereine Deutschlands die Bitte gerichtet, durch Beiträge das Unternehmen Dr. Fischer’s zu unterstützen. Bisher sind aber erst 3000 Mark zu diesem Zwecke eingelaufen. Nur durch Sammlungen in weitesten Kreisen kann ein günstiges Resultat erzielt werden, und wir sind überzeugt, daß das deutsche Volk sich niemals vergebens an eine nationale Ehrenpflicht gemahnen läßt.“

Dr. G. A. Fischer ist als Mitarbeiter der „Gartenlaube“ auch unsern Lesern bekannt und bietet in seiner Person die beste Garantie für eine erfolgreiche Leitung der geplanten Expedition. Darum möchten wir den beredten Worten des Aufrufs nur noch die dringende Bitte hinzufügen, die Beiträge möglichst bald und zwar, damit sie sofort verwendet werden können, an die Hauptsammelstelle „Das Geographische Institut Justus Perthes in Gotha“ zu senden. Auch die kleinste Gabe ist willkommen, denn „Viele Wenig machen ein Viel“. D. Red.     


Wann ist der Mensch am kräftigsten? Eine sonderbare Frage! Doch früh Morgens, wenn er ausgeschlafen und ausgeruht, werden die Meisten erwidern. Denn so glaubt man es im Volke. Die Sache verhält sich jedoch in Wirklichkeit ganz anders.

Die Gelehrten haben besondere Apparate, sogenannte Dynamometer, oder, deutsch gesagt, Kraftmesser, mit welchen Dr. M. Buch vor Kurzem die menschliche Muskelkraft geprüft hat. Da ergab sich, daß der Mensch, wenn er sich aus dem Bette erhebt, gerade am schwächsten ist. Nach dem Frühstück steigt unsere Muskelkraft und erreicht nach dem Mittagsessen ihre Höhe. Kurz darauf sinkt sie für einige Stunden, steigt dann wieder gegen Abend und nimmt während der Nacht bis zum Morgen ab. Interessant sind auch die ferner angestellten Beobachtungen, daß Schwitzen die Muskelkraft verringert, und daß nicht zu übermäßig anstrengende Arbeit bei guter Kost die Kraft mehr erhöht, als geringes Arbeiten, das heißt faules Leben. Darum arbeite fleißig, wer stark bleiben will! — i.     


Auflösung des Buchstaben-Räthsels in Nr. 26: Lessing.


Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht beantwortet.)

B. G. in Köln. Die schnellsten Züge der Erde kursiren nicht auf amerikanischen, sondern auf deutschen und englischen Eisenbahnen. Auf kleineren Strecken ist die Geschwindigkeit der Eilzüge selbstverständlich größer als auf längeren, wo durch das Anhalten auf verschiedenen Stationen ein nicht unbeträchtlicher Zeitverlust entsteht. So z. B. legt der Eilzug Stendal-Lehrte je 1 Kilometer in 0,838 Minuten, der Eilzug Spandau-Köln dagegen je 1 Kilometer in 1,01 Minuten zurück.

Y. Z. in B., C. S. G…S in Erfurt. Ungeeignet.


Inhalt: Sommerblumenzeit. Gedicht von Carl Weitbrecht. Mit Illustration S. 437. – Trudchens Heirath. Von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 438. – Deutsche Turnfeste. Von Professor Dr. C. Euler. S. 442. – Kälte im Sommer. Von G. van Muyden. S. 444. – Siesta. Illustration. S. 445. – Unruhige Gäste. Ein Riman aus der Gesellschaft. Von Wilhelm Raabe. S. 446. – Symposion bei Tizian. Von Ferdinand Groß. S. 451. Mit Illustration S. 449. – Blätter und Blüthen: Der Rhein in Graubünden. S. 452. Mit Illustration S. 441. – Rettet zwei deutsche Forscher in Afrika! – Wann ist der Mensch am kräftigsten? – Keilschrift-Räthsel. – Auflösung des Buchstaben-Räthsels in Nr. 26. – Kleiner Briefkasten. S. 452.


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_452.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)