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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 28.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Trudchens Heirath.

Von 0W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Der Wagen rollte schnell den Berg hinunter Niendorf zu, und nun hielt er vor dem Hause. In halber Betäubung stieg die junge Frau aus und stand im Regen auf der Verandatreppe. Es war ihr, als sei sie zum ersten Male hier; die kleinen Fenster, die altersgrauen Mauern mit dem spitzen Dach – wie häßlich, wie fremd! Die Blüthenpracht des Gartens verregnet; verflogen der Zauber, den Liebe giebt; kahle, nüchterne, traurige Wirklichkeit! Und auf des Hauses Schwelle hockte der Dämon des Eigennutzes, der Berechnung.

Sie schritt durch den Gartensaal, die Treppe hinan und nach ihrem Zimmer. Auf dem Korridore kam Johanne ihr entgegen.

„Der Herr sind gleich nach dem Frühstücke mit dem Wagen fort,“ berichtete sie; „der Herr haben einen Zettel auf den Nähtisch der gnädigen Frau gelegt.“

„Ich habe Kopfschmerzen, Johanne, stör’ mich nicht weiter,“ sagte sie tonlos. In ihrem Zimmer angekommen, riegelte sie zuerst die Thür hinter sich zu, dann die zu seinem Zimmer. Und nun las sie den Zettel:

„Das Barometer ist gestiegen, der Amtsrichter will partout auf den Brocken; ich begleite ihn bis Jl., habe dort zu thun und hoffe nicht allzu spät zurück zu sein. 0 Dein Franz.“

Und unten ein Postskript des Gastes:

„Zürnen Sie nicht, gnädige Frau, ich gehöre zu Denen, die einen Berg nicht sehen können, ohne das dringende Bedürfniß zu fühlen, hinauf zu kraxeln. Ich nehme den Brocken zuerst, um bei wiederkehrendem schönen Wetter mit Ruhe seinen Anblick von meinem Fenster aus ertragen zu können. Den Franz schicke ich Ihnen wohlbehalten wieder heim.“

Gott sei Dank, er kam nicht so bald! – Aber was nun? Sie saß regungslos an ihrem Nähtischchen und starrte in den Garten hinaus, ohne dort etwas zu sehen. Stunde um Stunde verrann; ein paarmal fuhr sie mit der Hand über die Augen – sie blieben trocken und brennend, und um den Mund lag ein starker Zug von Verachtung.

Gegen Abend klinkte es an der Thür. Sie wandte den Kopf nicht herum.

„Gnädige Frau!“ rief die Dienerin. Keine Antwort, und die Schritte draußen entfernten sich.

Trudchen Linden stand jetzt auf und ging zum Schreibtische. Ruhig öffnete sie die hübsche Ledermappe, rückte einen Stuhl heran, ergriff die Feder und setzte sich zum Schreiben. Sie hatte lange genug überlegt; ohne zu stocken, kamen die Worte aus ihrer Feder:

„Ich will Onkel Heinrich bitten, daß er Dir Alles in schonender Weise mittheilt; ich selbst könnte nicht ruhig darüber sprechen – es ist die schmerzlichste Enttäuschung meines Lebens. Ich bitte Dich vorläufig nur, meiner Erklärung, daß ich auf einige Zeit aus Gesundheitsrücksichten irgendwo zurückgezogen leben müsse, beizustimmen. Es wird nicht lange Zeit brauchen zu einer Entscheidung.   Gertrud.“

Ich gratuliere!“ 0 Nach dem Oelgemälde von H. Bever.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_453.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2024)