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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Es war das kleine Mädchen, das aufsprang aus seinem Stroh- und Laublager und mit einem Kinderarm voll Tannenspähne zu dem verlöschenden Herdfeuer lief. Der Junge rückte sich nur bequemer zurecht im Stroh, mit frechtrotzigem Blick, nahm die Kniee zwischen die Arme, legte das Kinn auf die Kniee und sah mit zwinkernden, aber aufmerksamsten Augen auf seinen Vater und den Herrn Pastor, und der Herr Pastor konnte da über die Schulter in die Augen von unzählbaren Generationen der Vergangenheit wie der Zukunft sehen, wenn er im Augenblick Zeit dazu gehabt hätte.

Aber wie wir Alle zu jeder Zeit, hatte er keine Zeit; die angstvolle verantwortungsvolle Gegenwart nahm ihn für das Nächstliegende gefangen, und das Nächstliegende war die Todte vor seinen Füßen. Auch redete der Räkel noch weiter.

„Mußt es doch selber sagen, Pastor, daß es für Unsereinen eigentlich eine Kuriosität sein muß, wie Das so still liegen kann, während die arme Seele für ihr Elend im Hundeleben in Euerm ewigen Pech, Oel und Schwefelfeuer bratet und der Satan mit der Bratengabel sein Gaudium am Backofen hat. Zum Teufel, des Jokus halber bin ich ja auch wohl am Sonntage in Deiner Komödie gewesen und habe Dich die Hölle Deinen Dorfhallunken heiß machen hören. Denen zu Liebe wünschte ich selber, daß Du die Sache so genau wüßtest, wie Du von der Kanzel ausschreist. Und die Bälger holt Ihr mir ja mit der Gewalt und Polizei in die Schule, wenn sie nicht das Fieber zur Abwehr haben; und sie bringen genug heim, um ihrem Alten, dem Räkel, das Verständniß für Eure Flausen aufzuknöpfen, die ihn für sein eigen leiblich Aas im Leben und Sterben nicht kümmern sollen; über sein Pläsir an Euch Komödianten hinaus nämlich. Na, so thu doch das Maul auf; des bloßen Hinstarrens lohnte sich doch die Mühe des Weges aus Deinem weichen Bett nicht. Guckst aber wirklich ein Bischen erbärmlich in die Geschichte. Willst Du einen Schnaps, ehe Du im Fuchsbau vor dem Räkel, seinen Jungen und seiner verendeten Fee privatim aufs Seil gehst? Da sauf und stärke Dir Dein heilig Herz, ehe Du Vernunft wegen der Anständigkeit und eines christlichen Begräbnisses der Anna Fuchs zu ihrem Mann redest.“

Der wüste Gesell hielt dem Pfarrer wirklich die Branntweinflasche hin und grinste dabei, als ob das der beste Witz sei, den er je im Leben fertig gebracht habe. Aber um so verblüffter stand er da, als der Pastor Hahnemeyer die Flasche nahm, aus ihr trank, sie zurück gab und sagte:

„Ich danke Dir, Volkmar.“

„Sakerment!“ brummte der Räkel, seiner Betroffenheit nur mühsam Herr werdend. „Na, ja,“ murmelte er bei sich, „daß sie Kourage haben, seine Schwester und er, das wußte ich ja freilich!“

(Fortsetzung folgt.)

Luftschiffer aus alter Zeit.

Von Reinhold Pfeil.

Besnier’s Flugapparat.

Den ersten Triumph auf dem Eroberungszuge in das Reich der Lüfte feierte die Menschheit gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, als die „Montgolfiere“ zum ersten Male stolz in die Höhe gestiegen war und die muthigen Luftschiffer, nachdem sie die Wunder der Wolkenwelt geschaut, glücklich auf fester Erde landeten. Was seit jener Zeit auf diesem Gebiete geleistet wurde, darüber haben wir unseren Lesern schon einmal in dem Artikel „Hundert Jahre der Luftschifffahrt“ (vgl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1882, Nr. 13) berichtet; heute möchten wir jenen Bericht ergänzen und auf einige Vorläufer der Gebrüder Montgolfier hinweisen. Wir folgen dabei dem berühmten Aeronauten G. Tissandier, der vor Kurzem eine interessante Abhandlung veröffentlicht hat, aus der wir lernen können, daß die Luftschiff-Erfinder und „Flugmenschen“ auch in früheren Jahrhunderten keineswegs eine Seltenheit bildeten, wenn sie auch dasselbe Los mit vielen Projektenmachern der Neuzeit theilten, die mit ihren Luftschiffen die Welt unsicher machen.

Zunächst führt uns Tissandier einen „fliegenden Menschen“ vor, der in dem „Journal des sçavans“ vom 12. December 1678 abgebildet wurde. Ein gewisser Besnier ist der Erfinder dieses höchst einfachen Apparates, der aus vier Taffetflügeln (A B C D) besteht, die theils durch Hände, theils auch vermittelst der Leinen E F durch die Füße des zum Fluge Bereiten in Bewegung gesetzt werden sollten. Der Erfinder behauptete, daß es ihm gelungen war, mit diesem Apparate zunächst von einem Tische, dann von einem Fenster der ersten Etage und schließlich vom Dache eines Speichers hinunter zu fliegen. Außerdem soll er ein Paar solcher Flügel „nach der Guibré“ verkauft haben, wo ein „Baladin“ dieselben mit vielem Erfolg benutzte.

Veranzio’s Fallschirm.

Unsere Techniker müssen diese Behauptungen einfach mit ungläubigem Lächeln aufnehmen, da dieser Apparat schwerlich irgend welche Wirkung ausüben konnte.

Anders verhält es sich mit dem Homo volans, „fliegenden Menschen“, unserer zweiten Abbildung. Wir finden diese Illustration in einem Werke des Fausto Veranzio, welches im Jahre 1617 in Venedig erschien. Hier sehen wir zwar keinen Flugapparat, wohl aber einen vollendeten Fallschirm und begegnen auch in dem Texte einer genauen Erklärung desselben: „Mit einem viereckigen Segeltuche, das auf einem Rahmen aufgespannt ist und an dessen Ecken vier Leinen befestigt sind, kann sich der Mensch ohne Gefahr von einem Thurm oder einem anderen erhöhten Punkte niederlassen,“ sagt der Verfasser. „Giebt es keinen Wind,“ fügt er hinzu, „so wird das Herabfallen des Menschen mit dem Apparate einen Wind erzeugen, der das Segel aufhalten wird, sodaß der Betreffende nicht rasch niederstürzt, sondern langsam niedersteigt.“ Schon früher hat der berühmte Leonardo da Vinci das Princip des Fallschirmes angedeutet, aber sowohl seine Ausführungen, wie das Werk von Fausto Veranzio sind vergessen worden, und so hat in späterer Zeit Garnerin den Fallschirm so zu sagen von Neuem erfunden.

Luftschiff von Lana.

Das größte Interesse verdient jedoch die dritte Abbildung, in der uns das erste Projekt eines Luftballons vorgeführt wird. Die Welt verdankt es dem Jesuitenpater Lana, der in ein 1670 erschienenes Werk ein Kapitel aufgenommen hat, welches den Titel führt: „Wie man ein Schiff baut, das sich in der Luft hält und mit Hilfe von Rudern und Segeln vorwärts bewegt.“ Das Werk ist heute sehr selten, und Tissandier suchte es fünfzehn Jahre lang in allen Buchhandlungen und Leihbibliotheken der Welt.

Der Luftballon Lana’s soll, wie wir auf der Abbildung sehen, durch vier hohle Kugeln A B C D emporgehoben werden. Jede von diesen Kugeln ist aus dünnem Eisen- oder Kupferblech hergestellt und mündet in eine mindestens 32 Fuß lange Röhre (vergl. B C bei III), die bei B mit einem Hahn versehen ist. Zunächst füllt man diese Kugel A sammt der Röhre mit Wasser, schließt dann den Hahn sowie die Oeffnung C, dreht das Ganze um, wie dies in V angedeutet ist, taucht den unteren Theil der Röhre in ein mit Wasser gefülltes Gefaß und öffnet den Hahn. Das Wasser fließt nunmehr aus der Kugel heraus, sodaß in derselben ein luftleerer Raum entsteht. Lana meint nun, daß diese luftleeren Kugeln oder Sphären, wie er sie nennt, genügen würden, das Schiff und die Passagiere zu heben, wußte aber nicht, daß sein so hübsch gedachtes Projekt unausführbar war, da der äußere Luftdruck die dünnen Wände der Kugel zerdrücken würde. Charakteristisch ist aber seine Bemerkung: Gott möge es nicht gestatten, daß diese Idee jemals praktisch verwirklicht werde – wegen des großen gefährlichen Umschwungs, den die Luftschifffahrt im Leben der Völker nach sich ziehen würde!

Die Welt denkt heute anders darüber; die Idee ist, wenn auch in einer anderen Weise, verwirklicht worden, und die Luftschifffahrt bildet eins der vornehmsten Ziele der modernen Technik, von dessen Erreichung wir uns keinen Schaden, sondern neue Segnungen der Kultur versprechen.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_467.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)