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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 31.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Trudchens Heirath.

Von 0W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Mit leisen Schritten wandelte der Sommer über das Land; gelb bogen sich die Aehrenfelder unter dem warmen Winde, und leergepflückt standen die Kirschbäume auf dem Anger und längs der Chausseen. Wolkenlos blaute der Himmel, und in Niendorf wurde das erste Korn eingefahren.

Aus der Stadt war man in die Bäder geflüchtet, oder in die kühlen Bergthäler. Das Eckhaus am Markte zeigte von oben bis unten verhangene Fenster; Frau Baumhagen weilte in der Schweiz, Herr und Frau Fredrich in Baden-Baden. Onkel Heinrich war nach Helgoland ausgewandert, weil doch nirgend das Frühstück so gut schmeckt wie auf der Badedüne der Felseninsel. Nur jene Beiden saßen still in ihren Nestern; ein kleines Stückchen Wald und Feld trennte sie, aber sie konnten sich nicht ferner sein, hätte zwischen ihnen der Ocean gewogt. Es gab kein Hinüber!

In Niendorf ging es laut her, ungeordnet und unregelmäßig; woher auch sollte Fräulein Adelheid das Getriebe einer Landwirthschaft verstehen? Sie war den ganzen Tag auf den Füßen, sie machte hundert unnütze Wege, und Abends klagte sie, daß die zwei zierlichen Füßchen in den spitzen Hackenschuhen ihr so weh thäten und daß die Mädchen keinen Respekt vor ihr hätten. Tante Rosa war schlechter Laune, sie sah sich auf ihre alten Tage dazu verurtheilt, das Amt einer Ehrendame zu üben; Fräulein Adelheid konnte doch unmöglich mit Linden allein zu Mittag und zu Abend speisen, und sie durfte auch nicht fehlen bei Tische. Also stülpte sich die alte Dame jeden Tag um die zwölfte Stunde ihre Sonntagshaube auf und saß, wie ein Häufchen Unglück, neben Linden auf Trudchens leerem Platz. Es waren verzweifelt traurige Mahlzeiten. Nach und nach verstummte auch Heidchen;


Weidende Schafheerde.0 Nach dem Oelgemälde von H. Zügel.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 501. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_501.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2024)