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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Briefe aus einem Weltbade.

Von Paul v. Schönthan. Mit Illustrationen von H. Schlittgen.
I.

Villa des Königs in Ostende.

 Liebstes Annchen!
Ich habe es mit Hilfe unseres alten Sanitätsrathes erreicht – er hat mich ins Seebad geschickt. Der brave Doktor hat meinen Mann zu überzeugen gewußt, daß meine Nerven (wenn ich nur wüßte, was man eigentlich darunter versteht) sich nur in Ostende beruhigen und stärken können, daß ich der ersten größeren Wintergesellschaft unterliegen würde, wenn nicht rechtzeitig etwas für mich geschieht. Karl hat sich anfangs gegen dieses Reiseprojekt freilich gesträubt; Du weißt, er ist schwer von einer Nothwendigkeit zu überzeugen (erinnere Dich meiner Kämpfe bezüglich des letzten Subskriptionsballs), er hat bei aller Liebe, mit der er mich sonst überhäuft, kein rechtes Verständniß für zarte Rücksichten; ich glaube, er weiß nicht einmal, was „Nerven“ sind, er selbst erfreut sich ja – unberufen – einer eisernen Gesundheit. Aber ich – erinnerst Du Dich der Gesellschaft bei L–s, im März? Sah ich nicht damals schon schrecklich leidend aus? Ich habe es aber auch verschworen, jemals wieder etwas Grünes anzuziehen, es verträgt sich nun einmal nicht mit – meinem Teint.

Aber nun zu Wichtigerem: Hier ist es herrlich, ach, Annchen, wie bedaure ich Dich, daß Du die Reize eines Seebades nicht kennst, daß Du an einen Mann gekettet bist, der zu seiner Glückseligkeit durchaus Alpennatur nöthig hat, der sich nur so und so viele hundert Fuß über dem Meeresspiegel wohl fühlt!

Partie ins Land.

War es nicht Dein Mann, der in diesem Winter in der Gesellschaft bei P–s die Aeußerung that, das Gemüth bedürfe großartigerer Eindrücke, als das Seebad mit dem ewigen Einerlei „Sand und Meer“ zu bieten vermag? Ich bitte Dich! Was man etwa in der Schweiz hat! Ewig die „Jungfrau“ und immer wieder die „Jungfrau“. Uebrigens ist Ostende besonders von der Natur bevorzugt – wie mir gestern Nachmittag am Strande ein Herr, der mir vorgestellt wurde, versicherte. Würden sonst der König

und die Königin von Belgien den Sommer hier verbringen, hätten sie sich sonst ein wunderbares Schloß im Westen Ostendes erbauen lassen? Ich glaube nicht. Und was für herrliche Ausflüge giebt es hier! Und denke Dir, immer per Esel. Diese Partien ins Land machen ungeheuer viel Spaß. Hast Du schon auf einem Esel gesessen? Es ist ein ganz merkwürdiges Gefühl: der erhabene Menschengeist auf dem Sinnbilde der Dummheit! Man hat mir gesagt, daß es ganz gefahrlos ist, und ein Russe, der mir heute auf der Estacade vorgestellt wurde und der seit 18 Jahren seinen Sommer in Ostende verbringt, hat mir sein Ehrenwort gegeben, daß ein solches Thier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_512.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)