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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 32.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Trudchens Heirath.

Von 0W. Heimburg.
(Schluß.)


Der Weg noch Niendorf war weit, Trudchen hätte Flügel haben mögen. „Mein Gott!“ stöhnte sie auf, als sie die Anhöhe erklommen und den rothen Schein am Himmel gewahrte. Immer rascher eilte sie am Bergeshang weiter; an der nächsten Biegung Schon mußte sie Niendorf sehen – und nun stand sie dort, hochathmend; fast sinnlos irrten ihre Blicke über das Thal. Gott sei gelobt! Ja, dort wand sich noch rother Dampf zum Himmel empor, hier und da zuckte noch die Flamme auf, aber die Wuth des Elementes schien gebrochen. Zwar hallten noch Rufe und Stimmen herüber, doch schon kamen Zurückkehrende des Weges daher.

Sie trat in den tiefsten Schatten und starrte in die Thalsenkung; heil und unversehrt stand das Herrenhaus, der rothe Schein der ersterbenden Flamme spielte auf seinem grünumsponnenen Giebel und streifte die Wipfel des Gartens. Die Scheuern lagen freilich in Trümmern, aber was that das? Und wie sie so dastand und mit nimmersatten Blicken das Haus umfaßte, da flammte Licht auf hinter zwei Fenstern, und sie schauten zu ihr herauf wie zwei grüßende treue Augen. Es waren seine Fenster. Aber die junge Frau sah keinen Gruß darin. Die schreckliche Angst, die beim Anblick des unversehrten Hauses von ihr gewichen, stieg jäh aufs Neue empor in ihrer Seele. Wie kam es denn, daß in seinem Zimmer Licht war, dort unten lohete doch noch immer die Gluth? Er wäre im Hause, wo seine Hilfe noch so nöthig?

Nein, nimmer – oder er – –

Hinunter! Hinunter – nur sehen – nur von Weitem sehen, ob er lebt, ob er gesund! „Das Leben hängt an einem Faden,“ klangen Johanne’s Worte von vorhin in ihren Ohren. „Herr Gott im Himmel, sei barmherzig, strafe mich nicht so!“

An der Gartenpforte blieb sie stehen.

Was wollte sie denn hier? Dort unten war heute ihr Abgesandter eingekehrt und hatte ihm klingendes Geld geboten für ihre Freiheit. Ach Freiheit! Was hilft sie dem Menschen, wenn das Herz in Ketten und Banden geblieben ist? Und sie lief unter den dunklen Bäumen des Gartens dahin, um den kleinen Teich, auf dessen Fläche ein schwacher rosiger Schimmer des verlöschenden Brandes sich spiegelte, und nun war sie unter den Kastanien und sank erschöpft auf einen Gartenstuhl nieder; dicht vor ihr, nur über den Kiesplatz hinweg, das Haus und aus dem Gartensaal schimmerte mattes Licht.

Da droben, hinter seinen Fenstern war der helle Schein erloschen; vom Hofe scholl noch lautes Rufen und Lärm herüber, Wagen wurden geschoben, Pferde ausgespannt,


Antipoden.0 Nach dem Oelgemälde von B. Piglhein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_517.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2024)