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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

dem Meere, der Avenue und dem Leopolds-Parke. Denke Dir unter einer imposanten Rotunde einen Saal, der 6000 Personen faßt; besonders am Abend, wenn 600 Gasflammen und ein Paar Sonnenbrenner diesen eleganten Raum erhellen, ist der Anblick geradezu feenhaft. Rings herum wandelt man unter Arkaden, so daß man den Anblick der geliebten See nie zu missen braucht, selbst bei Sturm und Wetter sieht man durch die Scheiben auf das unendliche, geheimnißvolle Meer. Ach, wie erhaben ist der Anblick der unermeßlichen See, mein liebes Annchen, und ganz in der Nähe ist ein Ballsaal, der 17 Meter lang und 36 Meter breit ist. Ich habe die Maße von meinem russischen Freunde, der mir auch eingeprägt hat, daß der neue Kursaal von einem Brüsseler Architekten Namens Naert erbaut wurde und daß die Anlage ein tiefes Studium und eine glückliche Hand bekunde.

Man hat mir auch die Namen der Künstler rühmend genannt, welche die Säle dekorirt und bemalt haben – aber ich habe sie vergessen. Nur Rühmliches kann ich Dir von der Kurkapelle melden. Sie besteht aus 75 tüchtigen Musikern, die sich hören lassen können. Gott, wie haben sie gestern wieder den Walzer aus „Mascotte“ gespielt, als ich mit dem jungen Grafen L. tanzte! Ein reizender, junger Kavalier! Audran ist mir unter allen Komponisten der liebste!

Aber auch die täglichen Koncerte entsprechen höheren Anforderungen, natürlich: Mr. Perrier, der Chef des Orchesters, gehörte jahrelang der Großen Oper in Paris an. Außerdem besitzt Ostende ein niedliches Theater, in welchem besonders Operetten und Vaudevilles aufgeführt werden, die reizende Judic und Coquelin vom Theatre Français aus Paris haben hier vor einiger Zeit gastirt. Vom Rennen habe ich Dir schon geschrieben – ich interessire mich nicht dafür, mir thun auch hier die armen Pferde leid, aber wie beschäftigt ein bevorstehendes Rennen die hiesige Gesellschaft! Dann ist der Strand beinahe wie abgefegt, die Zelte und Körbe sind leer und die interessanten Frauen mit dem gelben Buch – es ist immer ein französischer Roman – kommen nur in einzelnen Exemplaren vor. Die Kinder bleiben freilich zurück, aber die Herrenwelt, besonders die Engländer und Franzosen, sind an solchen Tagen vollständig mit dem Rennen beschäftigt, und tagelang hört man nichts Anderes als die abgeschmackten Namen der Rennpferde. Ebenso gleichgültig verhalte ich mich der Regatta gegenüber – allerliebst sind aber die wöchentlichen Kinderfeste mit Ball.

An gewöhnlichen Nachmittagen versammelt sich die feine Welt mit Vorliebe vor dem Kursaal. Aeltere Damen lesen – häufig haben sie die Buchdecke so umgeschlagen, daß man den Titel nicht sehen kann – ihre französischen Romane, die unschuldigere Jugend, besonders die jungen Ladies, erscheinen mit großen und kleinen, in graue Leinwand gebundenen Skizzenbüchern, und da wird nun drauf los gezeichnet und aquarellirt, aber ich glaube, es kommt nichts Rechtes dabei heraus. Der Lieutenant meinte neulich: „Man kann das Meer auch gar nicht abzeichnen, es ist viel zu unruhig.“ Es wird auch viel gemalt, fast ausschließlich in Wasserfarben, es wäre meist schade ums Wasser, wenn nicht so viel davon da wäre.

Die meisten Damen betreiben das, wie ich Dir nicht erst zu versichern brauche, aus purer Koketterie. Sobald ihnen ein Bekannter – oft ist’s auch ein Wildfremder – über die Schulter guckt, und ein paar Worte („Wie reizend! – Ah charmant! – How nice!“) an sie richtet, lassen sie den Radirgummi ruhen und die Unterhaltung beginnt.

Deine Frage, liebe Freundin, gegen welche Leiden Ostende hilft, ist nicht so einfach zu beantworten. Man kann das nicht so sagen wie etwa von Marienbad, Franzensbad, Reichenhall etc. Es heißt ja auch immer nur: „Sie müssen nach Karlsbad,“ nie aber: „Sie müssen nach der See.“ Wie lange habe ich dazu gebraucht, bis ich unsern Sanitätsrath überzeugt habe, daß mein Organismus, und vor Allem meine Nerven, dringend nach Ostende verlangen! Man ist nicht krank in Ostende, man begiebt sich dahin, um, wie der Lieutenant sagt, „den Geist ausruhen zu lassen“ – um die stärkende Seeluft zu athmen und eine Pause eintreten zu lassen, deren Jeder bedarf, der nur halbwegs im Mittelpunkt des großstädtischen Lebens steht. – Wer bedürfte nicht einiger Wochen vollständiger Ruhe, mindestens zu seiner geistigen Sammlung!

Verzeihe, daß ich schon schließe, aber es ist heute im Kursaal wieder Ball und ich muß mich noch mit meiner Toilette beschäftigen. Du glaubst nicht, wie viel man zu thun hat, wenn man, wie hier, gar nichts zu thun hat. Wie beneide ich Dich in Deiner ländlichen Abgeschiedenheit, wenn Du auch nach meiner Ueberzeugung von Deinem Sommer gar nichts hast, Du hast wahrscheinlich ein Reise- und ein Kattunkleid mitgenommen. Gott sei Dank, ich habe ausreichend vorgesorgt, und der Sanitätsrath, der Ostende genau kennt, hat mir sechs Toiletten verordnet, soviel muß man nämlich haben, wenn einem der Aufenthalt in Ostende bekommen soll und wenn man so jung und – sage meinetwegen so eitel ist wie Deine treue Freundin Grete. 


Die Deutschen in Australien.

Der Weg nach Australien ist weit. Ehe Maury’s treffliche Beobachtungen dem Schiffer die Anleitung zu richtiger Benutzung der Luft- und Meeresströmungen gegeben hatten, konnte sich die Fahrt über mehr als fünf Monate erstrecken, erst die Durchstechung der Landenge von Suez verringerte sie auf eben soviel Wochen. Und mit welchen Leiden und Entbehrungen war diese langwierige Fahrt verbunden! Nur mit Schaudern kann man an die Einrichtung und Ausstattung der Passagierschiffe vor dreißig bis vierzig Jahren zurückdenken. In den engsten Raum zusammengepfercht, auf schlechte Nahrung und noch schlechteres Wasser angewiesen, in Krankheitsfällen berathen von einem Arzt, der nie das Innere eines akademischen Lehrsaales gesehen hatte, so schwammen die Auswanderer der neuen Heimath entgegen, die manch einer niemals erreichte. Waren solche Uebelstände auf der vierzehntägigen Seereise nach New-York, Philadelphia oder Baltimore allenfalls zu überwinden, so wurden sie auf einer mehrere Wochen in Anspruch nehmenden Fahrt nach Adelaide oder Melbourne geradezu unerträglich.

Außerdem hatte sich bisher das schwachbevölkerte Land der Wälder und Steppen nur durch eine mäßige, freilich schnellwachsende Produktion von Wolle bekannt gemacht. Wer aber war so elend in Deutschland, daß er sein Los mit dem eines Schäfers in Australien hätte vertauschen mögen? Die Küste, welche England zur Ablagerungsstätte für sein sociales Kehricht bestimmte, hatte nichts Verlockendes für unsere Europamüden. Erst als ein anderer Theil des Kontinentes und zwar mit strenger Ausschließung aller verbrecherischen Elemente der Kultur gewonnen werden sollte, fanden sich unsere Landsleute zur Mitarbeiterschaft bereit.

In Preußen fühlten sich um jene Zeit viele Lutheraner durch die unter Friedrich Wilhelm III. vollzogene Union der beiden protestantischen Glaubensbekenntnisse zu einer apostolischen Landeskirche in ihrem Gewissen beschwert, und Tausende der Altgläubigen griffen zum Wanderstabe.

Gerade um dieselbe Zeit war in England der lange ventilirte Plan der Gründung einer Kolonie am Golf St. Vincent an der Südküste von Australien zur endlichen Reife gediehen. Die englische Regierung hatte die Südaustralische Kompagnie mit weitgehenden Rechten sowie mit großartigen Landbewilligungen ausgestattet. Man bedurfte der willigen Hände, diese Ländereien fruchtbringend zu machen, und die Anerbietungen unserer Landsleute, Australien zum Ziele zu wählen, wurden von den Direktoren jener Gesellschaft mit Freuden angenommen. Namentlich ihrem Begründer, George Fife Angas, paßten die Deutschen vortrefflich in seine Pläne, er sorgte für ihre Ueberfahrt und siedelte sie auf seinen weiten Besitzungen an, sehr zu seinem eigenen Vortheil, wenngleich auch die Deutschen sich bald zu Unabhängigkeit und Wohlstand emporarbeiteten.

Im Hintergrunde der südaustralischen Hauptstadt Adelaide steigt bis zur Höhe von mehr als 600 Meter ein schönbewaldeter Gebirgsrücken auf, der mit kleinen Unterbrechungen und unter wechselnden Namen bis hoch in den Norden der Kolonie hineinreicht. In kühlen, wohlbewässerten Thälern gedeiht hier manche Pflanze, die in den trockenen, heißen Ebenen der Kolonie nicht leben kann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_530.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)