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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

so steht ihr Haus morgen vielleicht bei Henley, ein Nomadenleben, das für ein paar Sommerwochen nicht idyllischer gedacht werden kann. Anders ist die Sache schon mit den kleinen Leinenzelten, die je näher bei London, in um so größeren Haufen auf Inseln und am Gestade aufgeschlagen sind. Wunderliche Liebhaberei! Es sind die Schlafstätten junger Leute, von denen manche Morgens und Abends eine weite Reise in die City und zurück nicht scheuen, nur um im Stande zu sein, die Nacht im Freien zuzubringen. Es geht in solchen Zeltlagern recht munter zu, namentlich bei Regenwetter, wo der Vorsicht halber eine mehr als doppelte Quantität des üblichen „brandy and soda“ eingenommen wird, ein derartiges Nachtlager mag abhärten in seiner Weise, ob es aber im allgemeinen der Gesundheit zuträglich, durfte doch zweifelhaft sein.

Inzwischen sind wir der Hauptstadt näher und näher gekommen. Immer zahlreicher werden allerart Boote, immer zahlreicher aber nun auch die Cockneys und noch gewöhnlichere Elemente der Hauptstadt, die in den Booten sitzen. Schon sind wir an den schönen Städtchen Weybridge und Walton vorüber, da steigt der prächtige Palast von Hampton Court vor unseren Augen auf. Ursprünglich vom Kardinal Wolsey erbaut, wurde derselbe, um nicht den Neid des Königs zu erregen, Heinrich VIII. von jenem zum Geschenk gemacht und ist seitdem oftmals der Wohnsitz königlicher Personen gewesen. An Hampton Court schließt sich der durch seine unvergleichlichen Alleen von Kastanienbäumen berühmte Bushey-Park. Etwas weiter stromabwärts liegt das schon aus der Sachsenzeit rühmlichst bekannte Kingston. So können wir kaum einen Ruderschlag thun, ohne durch hervorragende historische Erinnerungen gefesselt zu werden. Doch schon lächelt das trauliche Richmond freundlich zu uns herüber, und die vom Abendlicht vergoldeten Zinnen einzelner auf dem Hügel erbauter Herrenhäuser und vornehmlich des bekannten Star und Garter Hôtels erglänzen in stolzer Pracht. Doch noch ehe wir ihnen nahe kommen, ist der Goldglanz dem Silberschein gewichen. Der Mond ist aufgegangen. In geringer Entfernung unterhalb Richmond hören die Flußschönheiten auf. Das Lichtermeer von London erleuchtet das Firmament. Die Themse wird Weltstrom, aber für den Ruderer ist sie hier zu Ende.

Richmond an der Themse.

Epilepsie.

Eine kleine Mittheilung von Geheimrath von Nußbaum in München.


Nur weil ich darum ersucht bin, über diese Krankheit Mittheilungen zu machen, thue ich es, denn es ist nicht gut, über eine Sache zu schreiben, von welcher man sehr wenig Bestimmtes weiß und über welche verschiedene bedeutende Gelehrte sehr verschiedene, einander geradezu widersprechende Ansichten haben.

Ich will deßhalb meine Mittheilung recht kurz machen und nur das sagen, mir zweifellos erscheint.

Wir verstehen unter Epilepsie klonische Krämpfe (Zuckungen), Konvulsionen, welche zu jeder Tageszeit und auch bei Nacht oft ganz plötzlich, ohne alle Vorläufer eintreten, manchmal aber eine sogenannte Aura haben, ein Vorläuferstadium, das dem Kranken die Gewißheit giebt, daß jetzt bald ein epileptischer Anfall kommen wird. Eine solche Aura besteht oft in einem Kitzeln oder Ziehen in einem Gliede, oder in einem Schwindel- oder Schauergefühl im Kopfe, oder Ohrensausen und vielem Anderen. Viel häufiger stürzt aber der Kranke ohne alle Vorläufer plötzlich mit einem Schrei wie vom Blitze getroffen ganz bewußtlos mit stieren Augen, den Kopf hinten übergebogen, zusammen und hat nicht mehr Zeit, eine scharfe Ofenkante oder einen harten Eckstein etc. zu vermeiden. Während er Schaum vor dem Munde hat und die Daumen kräftig einzieht, starre Pupillen und ein violettrothes Gesicht zeigt, wirft und wälzt es ihn drei bis fünf Minuten lang unbarmherzig am Boden herum, bis das unregelmäßige, meist verlangsamte röchelnde Athmen ruhiger wird, das Dunkelroth im Gesicht einer auffallenden Blässe Platz macht und ein tiefer Schlaf eintritt. Dieser dauert oft einundeinhalb bis zwei Stunden und thut dem Kranken sehr wohl, obgleich er aus ihm noch müde erwacht. Während des Anfalls kommen die Kranken selten in Lebensgefahr, außer sie zerschlagen sich den Kopf an einer Mauer oder stürzen von großer Höhe und knicken sich die Wirbelsäule und das Rückenmark. Nur ganz selten entsteht durch gehemmten Blutrückfluß im Kopfe eine Apoplexie. Ueberhaupt sterben Epileptische meist an anderen Krankheiten, welche vor dem Eintritt der Epilepsie schon vorhanden waren, worunter die Tuberkulose eine Hauptrolle spielt. Es sind ja gewöhnlich kränkliche junge Leute, welche von dieser gefürchteten Krankheit ergriffen werden.

Wenn man Epileptische nach dem Tode untersucht, findet man keine bestimmten Veränderungen. Einmal werden diese, das andere Mal jene Hirntheile krank gefunden. Blutüberfüllung, Verhärtung, Erweichung, Ergüsse, eindringende Knochenwucherung des Schädels – das verschiedenste wird gesehen. Noch mannigfaltiger aber sind die Ursachen, welche Epilepsie erzeugen.

Besonders disponirt hierzu sind Kinder, namentlich rhachitische und skrophulöse, junge Leute des weiblichen Geschlechts mehr als das männliche, ferner Kinder von Eltern, welche der Trunksucht ergeben waren. Endlich kann die Epilepsie von Krankheiten der verschiedensten Organe erzeugt werden, Hirn- und Rückenmarkskrankheiten stehen oben an, aber auch Krankheiten von Brust, Bauch, Nieren u. s. w. können Epilepsie erzeugen, Kopfverletzungen, welche mit unverschiebbaren Narben geheilt sind, fand man schon sehr oft als Ausgangspunkt dieser Krankheit. Tiefgehende Narben anderer Körpertheile wurden auch schon Ursache der Epilepsie. Eine ganz große Rolle spielt aber die Erblichkeit. Ganze Stammbäume verzeichnen dieses Unglück. Furcht, Zorn, Schrecken, namentlich Schrecken über einen gesehenen Anfall werden oft auf das Bestimmteste als Ursache bezeichnet. Es ist recht schwer, herauszufinden, welche dieser vielen Ursachen in diesem oder jenem Falle Veranlassung gab, und weil die Heilung der Epilepsie meist nur nach Entfernung der Ursache gelingt, ist auch die Heilung eine recht seltene. Man rechnet im Durchschnitt, daß von 20 Kranken nur Einer geheilt wird. Jene Fälle, welche während des Zahnens entstanden sind, bieten die hoffnungsvollsten Aussichten. Als ein günstiges Zeichen wird auch aufgefaßt, wenn ein Ausschlag oder eine Blutung wieder zurückkehrt, bei deren Verschwinden Epilepsie aufgetreten war.

Manchmal werden viele Heilversuche ohne jeden Erfolg gemacht, wahrscheinlich, weil man die wahre Ursache der Krankheit nicht entdeckte. Geht es besser, so werden die Anfälle seltener und weniger heftig; es kommt auch vor, daß die Epilepsie plötzlich aufhört und nie wiederkehrt, obwohl Niemand weiß, warum sie verschwunden, und Niemand weiß, warum sie kam. Manche Menschen haben überhaupt nur Einen epileptischen Anfall in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_540.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2024)