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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

dem Auge gekommene Hradscheck von der Thür her in den Garten trat und mit einem Spaten in der Hand rasch auf den Birnbaum zuschritt. Hier grub er eifrig und mit sichtlicher Hast, und mußte schon ein gut Theil Erde herausgeworfen haben, als er mit einem Male das Graben aufgab und sich aufs Neue nach allen Seiten hin umsah. Aber auch jetzt wieder (so wenigstens schien es ihr) mehr in Spannung als in Angst und Sorge.

„Wat he man hett?“ wiederholte sie.

Dann sah sie, daß er das Loch rasch wieder zuschüttete. Noch einen Augenblick, und die Gartenthür schloß sich und alles war wieder dunkel.

„Hm,“ brummte die Jeschke. „Dat’s joa binoah, as ob he een’ abmurkst hett’. Na, so dull wahrd et joa woll nich sinn … Nei, nei, denn wihr dat Licht nich. Awers ick tru em nich. Un ehr tru ick ook nich.“

Und damit ging sie wieder bis an ihr Bett und kletterte hinein.

Aber ein rechter Schlaf wollt’ ihr nicht mehr kommen, und in ihrem halbwachen Zustande sah sie beständig das Flimmern im Kellerloch und dann den Lichtschein, der in den Garten fiel, und dann wieder Hradscheck, wie er unter dem Baume stand und grub.

(Fortsetzung folgt.)

Die hohe Rhön.

Eine Reiseskizze von Dr. Taube (Leipzig).

Hunger und Rhön sind im Volksmunde zwei fast gleichbedeutende Begriffe. Eine Rhöntour anrathen, erscheint fast schlimmer, als eine Kur nach Schweninger und Oertel. Der Grund liegt in dem Hungertyphus, welcher vor einigen Jahren mehrere Dörfer der Rhön befiel, und in der scheinbar unwirthlichen Außenseite des Gebirges. Was soll die Rhön auch bieten? Fährt man im Mai von Eisenach nach Frankfurt, wann der Thüringer Wald seine Schneehaube schon abgeschüttelt hat und in Frankfurt den Reisenden die ersten blühenden Obstbäume erwarten, so sieht man von Fulda gegen Osten einen langgestreckten, waldlosen Höhenzug, welcher noch mit Schnee bedeckt ist; kehren wir im Herbst von dem Süden zurück, so tragen schon oft im September die gleichen Berge ihr winterliches Gewand. Dies ist die Rhön. Dazu laden Namen wie Kaltennordheim, Wasserkuppe, Wüstensachsen gerade nicht zu einem freundlichen Besuche ein. So mag es kommen, daß die im Herzen Deutschlands gelegene Rhön zu den unbekanntesten und wenigst besuchten Gebirgen unseres Vaterlandes gehört. Jedoch mit Unrecht. Der höhere Theil ist zwar unbewaldet, aber die Bergabhänge und Vorberge sind mit den herrlichsten alten Buchenwäldern geziert, und überall findet der Wanderer genügende Erfrischungen und gutes Nachtlager nach anstrengenden Märschen. Milseburg, auch Milzenburg genannt, Wasserkuppe und Kreuzberg können in jede Konkurrenz mit anderen Gebirgsgegenden eintreten.

Die Rhön ist von Neustadt-Bischofsheim, Kissingen, Fulda oder Salzungen auf das Leichteste zu erreichen. Der Nordländer, welcher dieselbe nur auf einige Tage durchkreuzen will, verläßt in Salzungen, dem altberühmten Soolbade mit seinen großartigen Gradirwerken, die Werrabahn und gelangt an reizenden zu Sommerfrischen geeigneten Ortschaften vorüber nach Zella, einer einstmaligen reichen Benediktinerabtei. Ein kurzer, wenig anstrengender Fußmarsch führt uns hier auf einen Gebirgssattel, welcher, mit dürrem Gras und einem Gehöft bedeckt, merkwürdig gegen die bisherige fruchtbare Umgebung absticht. Dieses Plateau, „Theobaldshof“, bietet ein wunderbares Panorama der Rhön. Schroff fällt der Sattel an der anderen Seite herab. Zu unseren Füßen liegt das Städtchen Tann, Stammsitz des verstorbenen berühmten bayerischen Generals, drei große Gebäude leuchten als rothes, blaues und gelbes Schloß hervor. Hinter Tann erheben sich die breiten Rücken, Kuppen und Zacken der eigentlichen Rhön, umgeben von einem Lichte, welches die Linien der Berge merkwürdig scharf hervortreten läßt, zur Rechten begrenzt die Milseburg das schöne Landschaftsbild.

Weiter führt der Weg an nichts weniger als armselig aussehenden Rhöndörfern und Städtchen nach dem Rücken des Gebirges. Wozu man in der Schweiz Tage gebraucht, den Uebergang der Vegetation zu sehen, das erblickt man hier in Stunden. Die Bäume werden immer seltener, bevor wir den Marktflecken Wüstensachsen, wo Karl der Große besiegte Sachsen angesiedelt haben soll, erreichen. Nicht zu hoch (1700 Fuß) und in einem Thaleinschnitt gelegen, entrollt sich plötzlich vor dem Wanderer ein Bild der hohen Rhön. Naßkalte Winde und langer Winter lassen nur weniges Getreide in der Umgebung gedeihen. Die Augustsonne schickt ihre glühendsten Strahlen, kein Baum bietet Schatten, nur kurzes Rhöngras, mit der schönen Wetterdistel durchsetzt,[1] bedeckt den Boden, und dennoch wird der Wanderer nicht ermüdet, denn der scharfe Rhönwind belebt die sinkenden Kräfte. Bald beginnt ein einsames Haus aus dem Wiesenmeere aufzutauchen, es ist das Schutzhaus der hohen Wasserkuppe, des höchsten Berges der Rhön (3026 Fuß). Der in der Neuzeit nur auf alpine Genüsse trainirte Tourist lächelt in dieser Gegend bei dem Worte „Schutzhaus“, wenn er aber in einem tückischen Rhönnebel glücklich einmal ein solches Asyl erreicht, weiß er erst, welchen Dank er der umfassenden Thätigkeit des Rhönklubs zu schulden hat.

Wo findet man aber hier die Schönheit, fragt mancher Leser? Dieselbe beruht in der ganzen Eigenartigkeit des Bildes. Wie in den Hochebenen Schottlands, so erstrecken sich hier meilenweit die weiten Grasflächen, und nur wenige Dörfer und Gehöfte, in Einschnitten gelegen, erinnern an menschliche Stätten. Trotz der nicht zu großen Höhe sehen wir eine Hochgebirgslandschaft, wie sie in dieser Ausdehnung Mitteldeutschland sonst nirgends bietet. An die Schönheit des Meeres und der Wüste erinnert die Rhön. Dabei schüttelt der naßkalte Wind das eiserne mit guten Betten und sogar Telephon versehene Haus, und läßt ein Koncert erschallen, welches den frühen und langen Winter der Rhön erklärt. Die Wälder sind auf den Oberflächen der Berge verschwunden, nirgends bieten sich den Stürmen Hindernisse. Die Thäler sind breit und kurz eingeschnitten; einige in der Nähe gelegene große Torfmoore, welche gesunkene Dörfer enthalten sollen, deren jugendliche Schönen sich in den umliegenden Ortschaften als Moorjungfrauen früher öfter sehen ließen, tragen durch ihre Verdunstung noch mehr zur Kälte bei. Es klingt fast unglaublich, daß in den Kohlengruben unfern der Wasserkuppe Pflanzen gefunden wurden, welche jetzt nur in Afrika und Chile gedeihen.

Beim Abstieg nach dem freundlichen Bischofsheim erhebt sich plötzlich im einer Grasmulde ein Zeltlager, aus dem fröhliches Jauchzen schallt, vor unseren Blicken. Es ist Abend, um die Herdfeuer tanzen jugendliche Gestalten; haben wir Zigeuner vor uns oder auferstandene Moorgespenster? Das Räthsel löst sich beim Näherkommen: es sind die Bewohner der umliegenden Dörfer, welche im August wochenlang auf den hohen Triften, dieselben abmähend, zubringen, während nur Kranke und Schwache in den stundenweit entfernten Häusern zurückbleiben. Es ist ein reizendes Bild, die kräftigen Gestalten mit den biedern Gesichtszügen, die Mädchen mit den röthlich blonden, an die alten Deutschen erinnernden Haaren, umher lagert die Viehheerde, einfache Leinwandzelte schützen vor Wetter und Wind. Dies ist die Hochsaison der Rhöner. –

Von Bischofsheim führt ein kurzer Weg nach dem heiligen Kreuzberg (2800 Fuß), auf dessen Gipfel sich eines der wenigen Klöster Deutschlands befindet. Mehrfach im Jahre finden große Wallfahrten dahin statt; dann lagern überall in Kirche, Kloster, Wirthshaus und selbst im Walde die Wallfahrer, so daß der Tourist an solchen Tagen auf die nothwendigste Stärkung verzichten muß. – Bei dichtem Herbstnebel nach einigen Irrwegen tauchen endlich düstere Gebäude vor uns auf. Der schwere Klopfer schallt durch die Klosterpforte. Ein Laienbruder öffnet und fährt uns in das Fremdenzimmer, dessen Wärme angenehm gegen die rauhe Außenluft absticht. Ein vorgesetzter Vogelbeerenschnaps, welchem ein guter Imbiß mit selbstgebrautem Biere folgt, erwärmt die durchkälteten Glieder. Bald tritt der Pater Vikar ein und schildert das einsame Leben und das Wirken der Brüder. Schon wenn man im Sommer in dem auch den Damen zugänglichen Kloster übernachtet, kann man sich die Entbehrungen des Winters vorstellen.

  1. Auf unserer Illustration findet der Leser neben „Kleinsassen“ einen Strauß dieser originellen Disteln abgebildet.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_568.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2024)