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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Strömender Regen, welcher am andern Morgen keine Aussicht ermöglichte, führte uns in die Kirche, in welcher der Pater einer Anzahl Wallfahrer darlegte, daß nur Der die wahre Vergebung der Sünden hier erlange, welcher den festen Entschluß mitbrächte, dieselben zu meiden.

Nach mehreren Jahren wiederholte ich von Kissingen aus meinen Besuch. Bis zu dem Dörfchen Sandberg fährt uns ein Wagen, von hier aus bringt uns ein kurzer Marsch durch den Wald nach der Kuppe. Die Aussicht nach Kissingen, den Ruinen der alten Salzburg, in welcher Karl der Große Hof hielt, ist ebenso schön als gegen Norden, nach der Einöde der Rhön. Im Kloster bewirthete uns wieder, aber stiller als sonst, der bekannte Laienbruder, doch erst beim Weggange erschien der Pater Vikar. Es war ein eigenartiges, unseren Zeiten so fremdes Bild, als er uns beim Abschied unter der von hohen Bäumen beschatteten Klosterpforte den letzten Gruß zuwinkte.

„Wir haben die Sachsen so gern," erzählte er, aber dieses Jahr war einer hier, das war ein böser Mann, der gab uns Allen Spitznamen." Uebel angebrachte Ausnutzung der Gastfreundschaft, denn als Gast muß man sich hier betrachten, eine freiwillige Spende entschädigt die Wirthe.

Doch wir müssen eilen, um durch das als Sommerfrische sich hebende Gersfeld unser Endziel Kleinsassen zu erreichen. Es ist finster geworden, als wir zum Wirthshaus gelangen: bei dem Oeffnen der Thür bietet sich ein Defregger-Bild unsern Augen dar. Im hohen Lehnstuhle sizt der weißhaarige Wirth an dem altmodischen Ofen, im Vordergrunde betrachtet seine jugendliche Tochter und jetzige Wirthin, die Wittwe eines bekannten Malers, mit Kennerblicken eine eben gefertigte Skizze, welche ihr ein stattlicher Mann hinreicht, dessen Künstlerkopf allein, ohne daß wir Sammetrock und Stulpenstiefel zu betrachten brauchen, den Maler verräth. Wir befinden uns in einem Künstlerheim, wie es nur noch wenige in unserem prosaischen Zeitalter giebt, das einfache Wirthshaus zeigt an Thüren und Wänden bis zum kleinen Leiterwagen herab den Humor und Ernst seiner Sommerbewohner.

An die Milseburg, den größten Felsen der Rhön, lehnt sich unser Dörfchen, prächtige, mit Tannen durchsetzte Buchenwälder umsäumen es von allen Seiten, eine Sommerfrische, wie es nur wenige Orte giebt, zumal ein zweites Gasthaus hinreichenden Platz sichert.

Aehnlich dem Kreuzberge umfaßt die Aussicht der Milseburg, welche an Stelle der verschwundenen Schloßruine jetzt eine Kreuzigung mit Kapelle trägt, auch ein Stück ebenes Bild: in der Ferne liegt Fulda mit seinem Dome, von wo aus Kleinsassen am schnellsten zu erreichen ist, in der Nähe leuchtet auf einem waldigen Hügel das große Schloß Bieberstein, der beliebte frühere Sommeraufenthalt der Fuldaer Bischöfe. Den Blick gegen Südosten zeigt das unterste Bild unseres Rhöntableaus. Eine echte, wilde Rhönlandschaft mit einem Lichteffekt, wie ihn der Maler selten in anderen Gegenden findet. Ein kleiner Teich im Vordergrunde soll den Milseburger Rittern als Schwimmbassin gedient haben, daher Bubenbad und Bubenbader Stein, der schroffe Fels dahinter. Die kleine Wiese daneben leitet ihren Namen Danzwiese von den fröhlichen Tänzen der Ritter her; im Hintergrunde beschließt der langgestreckte Rücken der Wasserkuppe das Bild.

Am Abend versammeln sich Meister und Jünger unter dem Vorsitze der angenehmen Wirthin zu dem gemeinschaftlichen Mahle, neue Ankömmlinge erweitern den Kreis, eine kräftige Gestalt tritt ein, nach Jahren sofort wieder erkannt, es ist Kanold, dessen prächtiges Bild „Antigone" die „Gartenlaube" vor Kurzem (Nr. 28) wiedergab.

Ich habe unseren Lesern eine kleine Idylle verrathen, möchten mir die künstlerischen Insassen deßhalb nicht grollen, jeder Besucher muß fest versprechen, den poetischen Zauber ihres Heims zu bewahren.


Neunzig Jahre gemeinnütziger Thätigkeit.

Die Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde in Kiel.
Von P. Chr. Hansen.

Ein volkswirthschaftlicher Schriftsteller hat vor etwa 20 Jahren die damaligen Herzogthümer Schleswig-Holstein ein wahres Kalifornien für Studien auf dem Gebiete praktischer Socialwirthschaft, des Staats- und Privatrechts genannt. Dieses Wort gilt bis zum heutigen Tage. Wir brauchen nur ein paar Thatsachen hervorzuheben, um dafür den Nachweis zu liefern. Schleswig-Holstein besitzt zweifellos die buntesten Güter- und Erbrechtsverhältnisse in Staat und Reich. Die Zusammensetzung seiner Bevölkerung ist von außerordentlicher Mannigfaltigkeit, und die Sprachdialekte weichen so sehr von einander ab, daß der gemeine Mann sich oft kaum mit seinem zehn Meilen von ihm entfernt wohnenden Landsmann verständigen kann. Der schmale Streifen Land, den die Provinz von Osten bis Westen bildet, enthält ganz verschiedenartige Bodenverhältnisse, und kaum minder wechseln die klimatischen Bedingungen ab. Die Provinz zählt unter allen preußischen Provinzen die wenigsten Analphabeten, ebenso nimmt sie die günstigste Stellung im Staate in der Verbrecherstatistik ein. Gleichzeitig aber liefert sie das größte Kontingent für das – Irrenhaus; nicht weniger zählt sie die meisten – Selbstmörder.

Schleswig-Holstein finden wir dann aber gleichfalls obenan in Preußen durch die Zahl seiner Sparkassen, die Zahl der Sparer und die Höhe des von diesen jährlich zurückgelegten Vermögens. Dabei ist zu bemerken, daß die Entwickelung der Sparkassen in Schleswig-Holstein eine durchaus andere gewesen und in der Hauptsache auch geblieben ist, als in allen übrigen Theilen des Staates und in manchen andern Landen des Reiches. Ein von jeher lebhaft entwickelter Sinn für genossenschaftliches Handeln[1] hat sich hier schon fast ein Jahrhundert hindurch glänzend bewährt. Vollständig aus der eigenen Initiative der Bevölkerung ohne jede gesetzliche Regelung, ohne alle behördliche Kontrole, so sind die allermeisten schleswig-holsteinischen Sparkassen entstanden, von denen 1796 die erste errichtet wurde und deren es nach und nach über 200 geworden sind. Keine städtische Gemeinde giebt es ohne Sparkasse, und über 150 ländliche Gemeinden können wir nennen, die sich ebenfalls einer solchen Anstalt erfreuen.

Speciell auf diesem Gebiete der gemeinnützigen Thätigkeit wollen wir eine der bemerkenswerthesten Schöpfungen, die in vielfacher Richtung zur Lehre dienen mag, unsern Lesern kurz vorführen: „Die Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde“ in Kiel. Vor mehr als 90 Jahren wurde diese Institution durch den traurigen und unleidlichen Zustand hervorgerufen, in welchem sich damals die öffentliche Sorge für die Armen und den Unterricht der armen Kinder in Kiel befand. „Gebrechliche und Brotlose, aber zugleich auch Faule und Lüderliche belästigten die Einwohner auf den Straßen und in den Häusern, und die ohne Unterricht aufwachsenden Kinder der Armen wurden von früh an zu allen Bettlerkünsten erzogen,“ so hieß es in einem Aufruf der neu errichteten Gesellschaft.

Den ersten Anstoß zur Abhilfe dieser Mißstände gab eine am 1. November 1791 veröffentlichte Ansprache des Armendirektoriums der damals kaum 7000 Einwohner zählenden Stadt, in welcher der Wunsch nach Errichtung eines „Instituts zur Unterweisung der armen Kinder in der Religion und anderen nützlichen Kenntnissen, zur Bildung ihres Fleißes, sowie zur Arbeit der erwachsenen Armen“ ausgesprochen war. Lebhaften Anklang fand diese Aufforderung sofort bei einer kleinen Anzahl wohldenkender Männer, welche am 16. Juni 1792 sich erboten, die Ausführung der Sache in die Hand zu nehmen, die Einwohnerschaft für dieselbe zu interessiren und zu versuchen, durch eine freiwillige Subskription die Mittel für eine Arbeitsanstalt und eine Schule für arme Kinder aufzubringen. Die Armenbehörde nahm das Anerbieten dankbar an, und schon am 27. Juni 1792 konnte für die obigen Zwecke ein Verein gebildet werden, der sich „Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde“ nannte und am Schluß des Jahres bereits 66 Mitglieder aus allen Ständen der Stadt zählte.

  1. Dasselbe hat sich, nur noch viel früher, insbesondere auch im Versicherungswesen geltend gemacht, in welchem in Schleswig-Holstein durchaus einzigartige Verhältnisse bestehen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_570.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2024)