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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Herzen zustimme. Hradscheck ist ein durchaus netter Kerl, weit über seinen Stand hinaus, und Du wirst Dich entsinnen, daß er letzten Winter sogar in Vorschlag war und zwar auf meinen speciellen Antrag. Das alles steht fest. Aber zu meinem Bedauern will die Geschichte mit dem Polen nicht aus der Welt, ja, die Verdachtsgründe haben sich gemehrt, seit neuerdings auch euer Mewissen gesprochen hat. Andrerseits freilich ist immer noch zu wenig Substanz da, um ohne Weiteres eine Verhaftung eintreten zu lassen, weshalb ich vorhabe, die Hradscheck’schen Dienstleute, die doch schließlich alles am besten wissen müssen, zu vernehmen und von ihrer Aussage mein weiteres Thun oder Nichtthun abhängig zu machen. Unter allen Umständen aber wollen wir alles, was Aufsehn machen könnte, nach Möglichkeit vermeiden. Ich treffe morgen gegen 2 in Tschechin ein, fahre gleich bei Dir vor und bitte Dich Sorge zu tragen, daß ich den Knecht Jakob sammt den beiden andern Personen, deren Namen ich vergessen, in Deinem Hause vorfinde.“

*  *  *

So des Justizraths Brief. Er selbst hielt zu festgesetzter Zeit vor dem Pfarrhaus und trat in den Flur, auf dem die drei vorgeforderten Dienstleute schon standen. Vowinkel grüßte sie, sprach, in der Absicht ihnen Muth zu machen, ein paar freundliche Worte zu jedem und ging dann, nachdem er sich aus seinem Mantel herausgewickelt, auf Eccelius’ Studierstube zu, darin nicht nur der große schwarze Kachelofen, sondern auch der wohlarrangirte Kaffeetisch jeden Eintretenden überaus anheimelnd berühren mußte. Dies war denn auch bei Vowinkel der Fall. Er wies lachend darauf hin und sagte: „Vortrefflich, Freund. Höchst einladend. Aber ich denke, wir lassen das bis nachher. Erst das Geschäftliche. Das Beste wird sein, Du stellst die Fragen und ich begnüge mich mit der Beisitzer-Rolle. Sie werden Dir unbefangener antworten als mir.“ Dabei nahm er in einem neben dem Ofen stehenden hohen Lehnstuhle Platz, während Eccelius, auf den Flur hinaus, nach Ede rief und sich’s nun erst, nach Erledigung aller Präliminarien, an seinem mächtigen Schreibtische bequem machte, dessen großes, zwischen einem Sand- und einem Tintenfaß stehendes Alabasterkreuz ihn von hinten her überragte.

Der Gerufene war inzwischen eingetreten und blieb an der Thür stehn. Er hatte sichtlich sein Bestes gethan, um einen manierlichen Menschen aus sich zu machen, aber nur mit schwachem Erfolg. Sein braunrothes Haar lag großentheils blank an den Schläfen, während ihm das Wenige, was ihm sonst noch verblieben war, nach Art einer Spitzflamme zu Häupten stand. Am schlimmsten aber waren seine winterlichen Hände, die, wie eine Welt für sich, aus dem überall zu kurz gewordenen Einsegnungsrock hervorsahen.

„Ede,“ sagte der Pastor freundlich, „Du sollst über Hradscheck und den Polen aussagen, was Du weißt.“

Der Junge schwieg und zitterte.

„Warum sagst Du nichts? warum zitterst Du?“

„Ick jrul’ mi so.“

„Vor wem? Vor uns?“

Ede schüttelte mit dem Kopf.

„Nun, vor wem denn?“

„Vor Hradschecken …“

Eccelius, der alles zu Gunsten der Hradschecks gewendet zu sehen wünschte, war mit dieser Aussage wenig zufrieden, nahm sich aber zusammen und sagte: „Vor Hradscheck. Warum vor Hradscheck? Was ist mit ihm? Behandelt er Dich schlecht?“

„Nei.“

„Nu wie denn?“

„Ick weet nich … He is so anners.“

„Nu gut. Anders. Aber das ist nicht genug, Ede. Du mußt uns mehr sagen. Worin ist er anders? Was thut er? Trinkt er? Oder flucht er? Oder ist er in Angst?“

„Nei.“

„Nu wie denn? Was denn?“

„Ick weet nich … He is so anners.“

Es war ersichtlich, daß aus dem eingeschüchterten Jungen nichts weiter herauszubringen sein würde, weshalb Vowinkel dem Freunde zublinkte, die Sache fallen zu lassen. Dieser brach denn auch wirklich ab und sagte: „Nun, es ist gut, Ede. Geh. Und schicke die Male herein.“

Diese kam und war in ihrem Kopf- und Brusttuch, das sie heute wie sonntäglich angelegt hatte, kaum wieder zu erkennen. Sie sah klar aus den Augen, war unbefangen und erklärte, nachdem Eccelius seine Frage gestellt hatte, daß sie nichts wisse. Sie habe Szulski garnicht gesehn, „un ihrst um Klocker vier oder noch en beten danoah“ wäre Hradscheck an ihre Kammerthür gekommen und hätte gesagt, daß sie rasch aufstehn und Kaffee kochen solle. Das habe sie denn auch gethan, und grad als sie den Kien gespalten, sei Jakob gekommen und hab’ ihr so im Vorübergehn gesagt, „daß er den Pohlschen geweckt habe; der Pohlsche hab’ aber ’nen Dodenschlaf gehabt und habe gar nich geantwortet. Und da hab’ er an die Dhür gebullert.“

All das erzählte Male hintereinander fort, und als der Pastor zum Schlusse frug, ob sie nicht noch weiter was wisse, sagte sie: „nein, weiter wisse sie nichts, oder man blos noch das eine, daß die Kanne, wie sie das Kaffeegeschirr herausgeholt habe, beinah noch ganz voll gewesen sei. Und sei doch ein gräuliches Wetter gewesen und kalt und naß. Und wenn sonst einer des Morgens abreise, so tränk’ er mehrstens oder eigentlich immer die Kanne leer, un von Zucker übrig lassen wär’ gar keine Rede nich. Und manche nähmen ihn auch mit. Aber der Pohlsche hätte keine drei Schluck getrunken, und sei eigentlich alles noch so gewesen, wie sie’s reingebracht habe. Weiter wisse sie nichts.“

Danach ging sie, und der Dritte, der nun kam, war Jakob.

„Nun, Jakob, wie war es?“ fragte Eccelius; „Du weißt, um was es sich handelt. Was Du Malen und mir schon vorher gesagt hast, brauchst Du nicht zu wiederholen. Du hast ihn geweckt und er hat nicht geantwortet. Dann ist er die Treppe herunter gekommen und Du hast gesehn, daß er sich an dem Geländer festhielt, als ob ihm das Gehen in dem Pelz schwer würde. Nicht wahr, so war es?“

„Joa, Herr Pastor.“

„Und weiter nichts?“

„Nei, wider nix. Un wihr man blot noch, dat he so’n beten lütt utsoah, un …“

„Und was?“

„Un dat he so still wihr un seggte keen Wuhrd nich. Un as ick to em seggen deih: ‚Na Adjes, Herr Szulski,‘ doa wihr he wedder so bummsstill un nickte man blot so.“

Nach dieser Aussage trat auch Jakob ab und die Pfarrköchin brachte den Kaffee. Vowinkel nahm eine der Tassen und sagte, während er sich an das Fensterbrett lehnte: „Ja, Freund, die Sache steht doch schlimmer, als Du wahr haben möchtest, und fast auch schlimmer, als ich erwartete.“

„Mag sein,“ erwiderte der Pastor. „Nach meinem Gefühl indeß, das ich selbstverständlich Deiner bessren Erfahrung unterordne, bedeuten all diese Dinge garnichts oder herzlich wenig. Der Junge, wie Du gesehn hast, konnte vor Angst kaum sprechen, und aus der Köchin Aussage war doch eigentlich nur das Eine festzustellen, daß es Menschen giebt, die viel, und andre, die wenig Kaffee trinken.“

„Aber Jakob!“

Eccelius lachte. „Ja, Jakob. ‚He wihr en beten to lütt‘, das war das eine, ‚un he wihr en beten to still‘, das war das andre. Willst Du daraus einen Strick für die Hradschecks drehn?“

„Ich will es nicht, aber ich fürchte, daß ich es muß. Jedenfalls haben sich die Verdachtsgründe durch das, was ich eben gehört habe, mehr gemehrt als gemindert, und ein Verfahren gegen den so mannigfach Belasteten kann nicht länger mehr hinausgeschoben werden. Er muß in Haft, wär’ es auch nur, um einer Verdunklung des Thatbestandes vorzubeugen.“

„Und die Frau?“

„Kann bleiben. Ueberhaupt werd’ ich mich auf das Nöthigste beschränken, und um auch jetzt noch alles Aufsehen zu vermeiden, hab’ ich vor, ihn auf meinem Wagen, als ob es sich um eine Spazierfahrt handle, mit nach Küstrin zu nehmen.“

„Und wenn er nun schuldig ist, wie Du beinah glaubst oder wenigstens für möglich hältst? Ist Dir eine solche Nachbarschaft nicht einigermaßen ängstlich?“

Vowinkel lachte. „Man sieht, Eccelius, daß Du kein Kriminalist bist. Schuld und Muth vertragen sich schlecht zusammen. Alle Schuld lähmt.“

„Nicht immer.“

„Nein, nicht immer. Aber doch meist. Und allemal da, wo das Gesetz schon über ihr ist.“

(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_584.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)