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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

schlug silberne Wellen in seinem Lichte. Von den schlafenden Linden floß schwarzer Schatten nieder. Ein weiches, warmes Schweigen lag über dem Park, in einen Sommernachtstraum gehüllt stand das Schloß darin. Ein stilles Athmen rings, ein Duften und Schimmern. Ganz fern, irgend im tiefsten Busch, lachte weinend, weinte lachend die Nachtigall.“ Das ist, denke ich, so gut deutsch empfunden, geschaut und geschrieben, daß Hevesi sich erst als Ungar legitimiren müßte, wenn man nicht zufällig von seiner Abstammung Kenntniß hätte. Aber als Novellist würde er trotzdem unter der Fülle von seines Gleichen untertauchen, wenn er daneben oder vielmehr darüber hinaus nicht noch etwas Anderes wäre, nämlich ein Humorist.

Erfinden, komponiren, schreiben können heutzutage so viele, daß der Litteraturhistoriker bündelweise die Registrirung besorgen muß, während der Kritiker auf eine Art ästhetischer Kollektivterminologie angewiesen ist, die mehr oder minder auf Alle in gleicher Weise paßt. Der Humorist aber ist eine Rarität, ein Individuum für sich, und für die historische Auffassung der Litteratur ist dies der alleinige Maßstab. Bei uns hat der Humor sich nicht oft an eine künstlerische Form gebunden; Jean Paul verschmäht sie, Heine und Börne gingen ihr gern aus dem Wege, Bogumil Goltz, Saphir, Kalisch, Busch, Stettenheim, Spitzer rebelliren gegen den formalen Zwang der dichterischen Kategorien. Hevesi nur versucht es mit Erfolg, die Form der Novelle seinem Humor dienstbar zu machen, und dadurch wird er auch im litterarhistorischen Sinne zu einer schriftstellerischen Individualität, er geht über die Anderen einen Schritt hinaus. Daß manche seiner Erzählungen ein blutig ernsthaftes Ende nehmen, das hat die Kritiker von der ästhetischen Observanz irre gemacht; sie appellirten an die Parodie, die den Humor im Schauerlichen übertreibt. Aber so ist es nicht gemeint und braucht es auch nicht gemeint zu sein. Börne ist ein Humorist auch in der wunderbar ergreifenden Trauerrede auf Jean Paul. Für den Humoristen ist ja überhaupt der Vorgang, den er schildert, nicht das Wesentliche; er sieht ihn nur mit anderen Augen an als die Anderen, und das beweist er durch die Form, in welche er den Vorgang kleidet. Zum Parodiren ist dem Humoristen die Welt zu ernst; zum ohnmächtigen Jammern ist er selbst zu frei von den tausend Ketten, die andern Menschenkindern an den Füßen klirren. Unter den Armen ist er der Reiche, unter den Thoren der Weise, obgleich er sonst weder reich noch weise ist.

Auf der Schneide steht das Menschenleben in jeder Stunde, denn der Tod ist sein unabwendbarer Begleiter. Auf der Schneide steht jede unserer Handlungen, denn der Zufall ist der allezeit lauernde Feind unserer Absichten. Wie könnten wir das unsäglich Traurige dieses Bewußtseins überwinden, wenn nicht der Humor uns dabei zu Hilfe käme? Verhüten kann er die Katastrophen nicht, aber ihren Eindruck kann er mildern, durch das Licht, das er über sie ausgießt. Wer die Pußta mit Augen geschaut hat in ihrer ungeheuren Oede, die doch den Menschen, welche sie umgiebt, als das Höchste auf Erden erscheint, der begreift es, warum Ludwig Hevesi, der Ungarn, zum Humoristen geworden ist. Im Csardas wirbelt der Csikos lachend dahin, die Fiedel des Zigeuners weint dazu. Und der Humorist steht dabei, er erblickt darin das Bild des Lebens und kommt sich schier wie Odvardo vor:
     „Wer lacht da? Ich glaub’, ich war es selbst.“


Unruhige Gäste.

Ein Roman aus der Gesellschaft.
Von Wilhelm Raabe.
(Fortsetzung.)


19.

Darin hatte Doktor Hanff jedenfalls Recht, viel Unterschied, was die gute Lüftung anbetraf, gab es nicht zwischen der Berg-Köthe auf der Vierlingswiese und dem „auf den Abbruch stehenden“ Krankenhause der zum weitberufenen Badeort ausgewachsenen Dorfgemeinde im Thal. Hier am letztern Orte gab es wohl geschlossene, aus Fachwerk gezimmerte und von regelrechten Gewerksleuten aufgemauerte Wände; aber Wind, Sonne und Regen fanden doch so ziemlich überall Durchgang wie in der Waldhütte aus Stangen, Rasenstücken und Tannenrindenbehang.

„Wirklich vortrefflich!“ nickte der Landphysikus, in dem ärmlichen Raume an dem Krankenlager des Reichen, des Vornehmen, des Gelehrten stehend, den die Welt gerade so verlassen, so von sich abgeschoben hatte wie den Räkel mit seiner armen Fee. Er beugte sich über den Kranken und fand auch hier Alles den Umständen nach nicht übel. Kopfschüttelnd betrachtete er sodann die Wäsche und Toilette- und sonstigen Luxusgegenstände, die man dem Reisekoffer Veit von Bielow’s entnommen hatte und welche die wenigen schlechten Stühle und den gebrechlichen Tisch von rothbemaltem Tannenholz bedeckten.

„Da treiben sie Philosophie auf und vor Kathedern,“ brummte er, „suchen dem Dinge nach analytischer oder nach synthetischer Methode beizukommen und werden Doktoren und Professoren der Weltweisheit daraufhin. Mit dem Doktor Hanff sollten sie auf die Praxis gehen, das wäre ihnen dann und wann dienlicher zum Zwecke, wenn es wirklich ihr Zweck wäre, die Weisheit der Welt von der Quelle zu holen. Aber Philosophie zu treiben sind wir ja wohl nicht hier? Könnte ich dafür die Hand auf seinen Spitzbuben von Bedienten legen, der mit den Uebrigen das Hasenpanier ergriffen hat und polizeilich ebenfalls nicht zu zwingen ist, sich der Ansteckungsgefahr auszusetzen, so verzichtete ich mit Vergnügen auf jeden ferneren Beweis, daß wir in der besten aller Welten uns eingefunden haben. Nun, was durch Geld auszurichten ist, dazu sind die Mittel ja gottlob reichlich vorhanden, und bis sachkundige Hilfe aus der Stadt eintrifft, werden ja wohl Fräulein Dorette und mein alter getreuer Knecht und Stößer Friedrich aus der weiland Apotheke ‚Zum wilden Mann‘ ausreichen.“

Er legte die fieberheiße Hand des Kranken wieder auf die Decke nieder und trat an das offene Fenster. Draußen lag die Erde noch immer in dem milden Abendfrieden und auf der Bank dicht unter dem Fenster saßen Fräulein Dorette Kristeller und Phöbe Hahnemeyer noch immer neben einander und redeten leise zusammen. Fräulein Dorette hatte zärtlich den Arm um das junge Mädchen gelegt.

„Nun, Liebchen, sind Sie jetzt überzeugt, daß Sie hier total überflüssig sind?“ fragte der Doktor.

Die Schwester aus Halah antwortete nicht; aber für sie nahm Fräulein Dorette, sich halb nach dem Fenster wendend, das Wort.

„Nicht ganz, lieber Hanff,“ sagte sie. „Der Wärter oder Heilgehilfe aus der Stadt nimmt mit meinem Fritzen die Stube jenseit der Hausflur. Das Kind zieht zu mir in den Giebel –“

„Fräulein Kristeller!“

„Seien Sie still. Was verstehen Sie, was wissen Sie davon? Ich kenne meine Gäste, und diesen hat mir Gott wohl in seiner Güte bis zuletzt aufgehoben und ihn mir jetzt so spät am Abend zugeschickt, weil er mir sein Mitleid mit meinem alten tollen Kopf, ärgerlichen Sinn und meiner vergrillten Seele nochmal zeigen will.“

„Na, da habe ich mir die Richtige zur Hilfe angerufen!“ brummte der Doktor, und zwar durchaus nicht leise.

„Das haben Sie! darauf können Sie sich verlassen, Hanff!“ rief Fräulein Dorette, jetzt aufstehend und voll in das Zimmer hineinsprechend. „Wenn ich dieses auch um meinetwillen sage, so verzeihe mir der Himmel meine Selbstsucht und meine Sünde; aber das Kind kriegt seinen Willen einzig und allein um seinetwillen. Sie hat ganz Recht, daß sie den Spaß, den der Mann da drunten bei Ihnen da droben auf ihres Bruders Kirchhofe sich vielleicht im Leichtsinn mit ihr gemacht hat, im bitteren Ernste nimmt. Ich weiß, wie weit die Leichtherzigkeit und die leichte Hand im Erdenleben greifen können, ohne sich drum zu kümmern, was für schwere Herzen und niedergerissenes Glück sie hinter sich zurücklassen. Sei Du nur ganz ruhig, Phöbe, es soll Dich Niemand hindern, mit Deiner Unruhe und Angst hierher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_591.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2024)