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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Ich war,“ so läßt er Stephenson erzählen, „am Morgen, der um 10 Uhr den Eintritt der verhängnißvollen Fluth bringen sollte, schon vor Tagesanbruch am Ufer. Es war stürmisch und ich hörte die hohe Brandung durch die Nacht brausen. Weithin brannten auf beiden Ufern die Wachtfeuer und Fackeln, bei denen die Nacht über gearbeitet wurde. Mir lag es schwer auf der Seele – der Augenblick kam, wo die Fluth eintrat. Ich stand auf der zuerst zu flößenden Röhre, die seit Jahr und Tag, seitdem die Arbeit an ihr begonnen wurde, bergfest auf ihren Werklagern ruhte, volle zwei Millionen Pfund schwer. Todtenstille auf beiden Ufern mit ihren Hunderten von Arbeitern, die, Hand am Griff, vor ihren Ankerwinden standen, mit Tausenden zugeströmter Zuschauer. Ich sah Fairbairn wie einen Punkt am Anglesea-Ufer auf seinem Gerüst stehen; unter mir, an der Hauptwinde des Walesufers, stand Brunel, die klugen Augen nach mir heraufgerichtet – Alle todtenstill – nur die steigende Fluth brodelte um die Pontons, in deren gewaltigem Zimmerwerk und Rippen es knackte, knarrte und polterte, je mächtiger das Wasser sie gegen die große Last, die sie heben sollten, preßte.

Endlich wurde auch das Prasseln still – sie mußten ihre volle Last haben – ich sah nach der Uhr und den Wassermassen – die Fluth war fast auf ihrer Höhe – die Eisenmasse rührte sich nicht – mir stand das Herz fast still – da plötzlich fühlte ich, wie es wie ein Zittern durch die kolossalen Röhren unter meinen Füßen lief – der eiserne feste Boden wich – und im selben Momente sah ich, wie die Gerüste sich gegen uns verschoben. Die Arbeitsmannschaften brachen unaufhaltsam in unermeßliche Jubelrufe aus, die aus tausend Kehlen weit und breit an den Ufern widerhallten. – Die ungeheuere Röhre schwamm! Rasch packte die Fluth die Pontons – ich gab meine Signale. Meine Mitarbeiter folgten dem Winke meiner Hand! Die Fluth spritzte von den angestrafften Tauen und Ketten thurmhoch empor, oder brodelte über die erschlafft ins Wasser sinkenden mit einer Präcision, als belebe ein einziger Wille die Hunderte von Männern hüben und drüben.“

Als der Meister nach dieser Erzählung schwieg, fragte plötzlich einer der anwesenden Gäste: „Aber haben Sie sich denn auch bei dem Hauptmitarbeiter bedankt, ohne dessen Hilfe die Röhren auch heute noch im Ufersande lägen?“

„Wen meinen Sie?“ fragte Stephenson erstaunt.

„Nun, wen anders als den Mond, denn der hat doch die Röhren zwischen die Pfeiler getragen.“

„Wahrhaftig,“ antwortete der große Ingenieur lachend, „daran habe ich wirklich nicht gedacht.“

In neuerer Zeit hat man auch darauf aufmerksam gemacht, die Kraft der Fluth zur Erzeugung von Elektricität zu benutzen, die dann ihrerseits wieder in andere Kräfte umgesetzt werden könnte; wie bald sich diese Ideen verwirklichen werden, ist noch nicht abzusehen.

Wenden wir uns jetzt von den Wirkungen des Mondes zu der eigentlichen Beschaffenheit desselben, so werden wir an der Hand der Forschung sogleich in eine Welt versetzt, die von der unsrigen vielfach gänzlich verschieden ist. Unter Zuhilfenahme eines guten Fernrohrs können wir unmittelbar mit unseren Augen wahrnehmen, daß der Mond Berge und Thäler besitzt gleich unserer Erde, daß auch in jener Welt Tiefebenen und Hochländer vorhanden sind, ja die Messungen der Astronomen zeigen, daß die höchsten Gipfel der Mondberge die bedeutendsten Gebirgserhebungen auf unserer Erde an Höhe überragen.

Die vorwiegende Form der Gebirgserhebungen auf dem Monde ist indessen von derjenigen der Erde gänzlich verschieden. Dort findet man viel Tausende von Bergwällen, die cirkusartig ein vertieftes Inneres umschließen, in dessen Mittelpunkt meist ein kleines Centralgebirge sich erhebt. Diese Formationen sehen wie ungeheure Krater aus, und man hat sie wirklich für Mondvulkane gehalten. Indessen ist die Aehnlichkeit mit unsern Vulkanen nur eine außerordentlich geringe, und es ist nicht daran zu denken, daß bei diesen Mondkratern vulkanische Eruptionen stattfänden, denn wäre dies der Fall, so würden wir von der Erde aus mit Hilfe unserer Fernrohre die Dampfentwickelung und die Aschenwolken sehr gut wahrnehmen können. Statt dessen erblickt man das kreisrunde Innere jener Mondkrater, die häufig mehrere Meilen im Durchmesser haben, stets in gleicher Klarheit und von Wolken oder gar Feuerausbrüchen keine Spur. Vulkane ähnlich unserer Erde hat der Mond allerdings auch, aber man hat sie erst in neuester Zeit mit Gewißheit als solche erkannt und in einigen wenigen Fällen auch Spuren von stattgehabter Thätigkeit bei ihnen nachweisen können.

Außerordentlich merkwürdig ist, daß es auf dem Monde keine Wasserbecken, ähnlich unsern Meeren und Landseen, giebt. Diese Thatsache ist völlig sicher. Zwar erblickt man in manchen Theilen der Mondoberfläche große dunkle Flächen, die vielfach von Gebirgsmassen umgeben sind, und die früheren Mondbeobachter haben sie wirklich für Meere gehalten und als solche benannt. Mit Leichtigkeit überzeugt man sich jedoch, daß dort kein Wasser vorhanden ist, wenngleich andererseits meine nun fast 20 Jahre hindurch fortgesetzten Untersuchungen der Mondoberfläche mich zu der festen Ueberzeugung gebracht haben, daß jene dunklen Flächen höchst wahrscheinlich die Becken ehemaliger Mondmeere sind. Heute ist der freie Wasserspiegel aus ihnen verschwunden und die Ufer zeigen an manchen Stellen offenbar Anzeichen von Zerfall und Zertrümmerung. Wo ist aber das Wasser dieser Meere geblieben?

Diese Frage läßt sich zur Zeit nur durch Hypothesen beantworten, und unter diesen scheint mir die wahrscheinlichste noch diejenige zu sein, welche meint, daß die ehedem freien Wasser der Mondoberfläche im Laufe der Jahrtausende nach und nach von den Gesteinen im Innern des Mondes aufgesaugt worden sind. An manchen Stellen könnten die oberflächlichen Schichten immerhin noch eine gewisse Feuchtigkeit besitzen, ja es scheint, daß unter dem Einflusse der Sonnenwärme gewisse tiefer liegende Stellen der ehemaligen Mondmeere sich zeitweise mit einer Art Vegetation bedecken. Man darf jedoch hierbei durchaus nicht an höherstehende Pflanzen denken, sondern vielleicht nur an solche, welche unsern Flechten und Moosen verwandt sind. Darauf deutet wenigstens der grüne Schimmer und das Abdunkeln gewisser Partieen der Mondoberfläche, nachdem die Sonne längere Zeit dieselben beschienen hat. Ganz spruchreif ist die Sache noch nicht, vielmehr verdient sie genauere Untersuchung, und hierbei könnten sich auch Freunde der Himmelskunde Verdienste erwerben, falls sie sich mit Ausdauer solchen Beobachtungen unterziehen.

Wie das Wasser, so fehlt dem Monde auch eine Lufthülle, welche mit unserer irdischen Atmosphäre vergleichbar wäre. Ganz ohne Luft ist der Mond nicht, aber seine atmosphärische Umhüllung ist so fein und so wenig dicht, daß sie nicht ausreichen würde für die Bedürfnisse unserer Lungen, ja, daß sie kaum so dicht sein wird wie der sogenannte luftleere Raum, den unsere besten Luftpumpen herzustellen vermögen. Daraus folgt, daß auf dem Monde kein Laut erschallen kann, und daß für menschliche Ohren dort eine klanglose Einöde sein würde. Wie völlig anders ist also unsere Nachbarwelt eingerichtet im Vergleich zur Erde!

Aber noch mehr. Nicht nur die physische Eigenthümlichkeit der Mondoberfläche, sondern auch die Weltstellung desselben überhaupt verursacht dort Verhältnisse, die wesentlich von denjenigen unserer Erde verschieden sind. Die durchschnittliche Tagesdauer auf dem Monde beträgt 354 Stunden, der längste Tag an den Polen 179 Erdentage. Es ist einleuchtend, daß der Gipfel eines Berges früher von den Sonnenstrahlen getroffen wird, als sein Fuß; der Gipfel des Chimborazo sieht z. B. die Sonne 10 Minuten früher aufgehen, als dies für die Ebene im Meeresniveau der Fall ist. Auf dem Monde treten diese Verhältnisse viel greller hervor. Der Gipfel des Berges Huygens wird z. B. 9 Stunden früher von der Sonne beschienen als sein Fuß, und wenn man sich den Mondpolen zuwendet, nimmt diese Verlängerung des Tages für die Spitzen der Mondberge noch sehr zu, bis endlich gewisse Gipfel in der unmittelbaren Nähe dieser Pole gar keine Nacht mehr haben, sondern geradezu im ewigen Sonnenschein glänzen. Man kann diese Gipfel schon mit einem mäßigen Fernrohr von der Erde aus erkennen und ebenso deutlich verfolgen, wie die Sonne die Spitzen mancher Mondberge stundenlang vergoldet, ehe die Schatten um den Fuß derselben verschwinden. Die Nächte des Mondes werden auf der uns zugekehrten Seite während ihrer ganzen Dauer durch die Erde erleuchtet. Unser Planet erscheint einem Auge auf dem Monde als eine Scheibe von vierzehnmal größerer Fläche als uns die Mondscheibe, eben so zeigt dort die Erde Phasen wie hier der Mond, nur sind dieselben umgekehrt. Wenn wir hier erstes Mondviertel haben, so ist auf dem Monde letztes Erdviertel, haben wir Neumond, so ist auf dem Monde Vollerde etc. Für den größten Theil der uns zugewandten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_603.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)