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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Mondseite geht die Erde weder auf noch unter, sondern steht stets in einer und derselben Richtung am Himmel, wobei sie ihre Stellung nur langsam und wenig ändert. Die Sonnenscheibe erscheint auf dem Monde nicht merklich größer oder kleiner als auf der Erde, auch die gegenseitige Lage der Sterne ist dort dieselbe wie hier, allein die Bewegung derselben ist so langsam, daß erst in 27 Tagen ein Umschwung des Himmelsgewölbes erfolgt. Da der Mond nur eine überaus dünne Lufthülle hat, so giebt es dort keine Morgen- und Abenddämmerungen und eben so wenig ein erleuchtetes Himmelsgewölbe, Sonne, Erde und Sterne sind den ganzen Tag hindurch zugleich am Himmel sichtbar, und sobald die Sonne untergeht, tritt für die ganze Mondlandschaft augenblicklich tiefe Nacht ein, die nur durch das Erdenlicht gemildert wird. Die Temperatur der Mondoberfläche zeigt die größten Veränderungen von Hitze und strenger Kälte. Während einer Zeitdauer von 14 Erdentagen der ununterbrochenen Einwirkung der Sonnenstrahlen ausgesetzt, muß der Mondboden sich in den äquatorialen Gegenden weit über die Temperatur des siedenden Wassers erhitzen, worauf in der langen Nacht eine Abkühlung erfolgt, welche die Bodentemperatur bis zu sibirischen Kältegraden herabdrückt.

Aus dem Vorhergehenden wird ohne weiteres ersichtlich, daß die gegenwärtigen Zustände der Mondoberfläche nicht geeignet sind für lebende Wesen von der Organisation des Menschen. Es kann daher kein Zweifel darüber sein, daß Mondbewohner, die uns körperlich ähnlich sind, nicht existiren, dieser Schluß ist völlig unanfechtbar. Natürlich ist dadurch keineswegs ausgeschlossen, daß möglicher Weise lebende Wesen von anderer Organisation, die eben den dortigen Verhältnissen angepaßt ist, auf dem Monde vorhanden sein könnten. Der gegen Ende des vorigen Jahrhunderts lebende berühmte Mond-Erforscher Schröter glaubte in der That an verschiedenen Stellen der Mondoberfläche Spuren wahrgenommen zu haben, die auf Gewerbe und Kulturen vernünftiger Geschöpfe hindeuteten. „Vielleicht,“ sagt er, „ist mancher kleine, als ein flacher Berg erscheinende Gegenstand, der selbst dann, wenn ihm die Erleuchtungsgrenze sehr nahe ist, keinen deutlichen Schatten wirft, dergleichen sehr viele auf her Mondfläche vorhanden sind, sowie mancher kleine helle Flecken, woraus man nicht weiß was man machen soll, ein bebauter Wohnplatz vernünftiger Mondgeschöpfe; und vielleicht liegt eben darin und in den Gewerben, welche daselbst getrieben werden, mit die Ursache, warum mancher von dergleichen Gegenständen so oft unter völlig gleichen und ähnlichen Erleuchtungswinkeln unsichtbar ist, dann aber, wenn er sichtbar ist, bald heller, bald dunkler, bald mehr, bald weniger deutlich erscheint. Eben solche abwechselnde Phänomene würde manche volkreiche oft in Nebel gehüllte Stadt unseres Erdbodens aus dem Monde beobachtet dem Auge geben. Und so kann auch manche monatlich abwechselnde Farbenveränderung einiger sich dadurch besonders auszeichnenden größern Mondflecken eben so gut in einer nach den monatlichen Wechselzeiten sich richtenden Kultur, als in der verschiedenen Reflexion des Lichtes und in atmosphärischen abwechselnden Veränderungen ihren Grund haben.

Ueberhaupt hat der Gedanke, daß der Mond gleich unserer Erde und allen übrigen Weltkörpern von vernünftigen, seiner physischen Anordnung gemäß organisirten Geschöpfen bewohnt wird, für einen Beobachter des Himmels viel Anziehendes. Kästner sagt über die vorzügliche Lage unserer Erde im Weltgebäude: ‚Nur wir können von den Bewegungen und Eigenschaften der Weltkörper Wahrheiten festsetzen. Hätte der Schöpfer nicht haben wollen, daß wir dieses thun sollten, er hätte uns kein so bequemes Observatorium gegeben.‘“ Man kann dieser Ansicht beipflichten oder nicht, jedenfalls sind diejenigen kleinen Fleckchen auf dem Monde, die Schröter als Produkte der Thätigkeit von Mondbewohnern ansah, lediglich Erzeugnisse der Natur. Ich habe sie sämmtlich mit weit besseren optischen Hilfsmitteln, als Schröter besaß, untersucht und sie zweifellos theils als kleine Krater, theils auch als Gruppen von Hügeln erkannt, die durch vulkanische Kräfte oder vielleicht durch Verwitterung ihr gegenwärtiges Aussehen erlangten. Nach Schröter war es, im ersten Drittel unseres Jahrhunderts, besonders Gruithuisen in München, der eifrig nach Spuren von organischen Wesen auf dem Monde suchte. Er glaubte auch eine Art von Festungswerk entdeckt zu haben in einem System von radial verlaufenden Wällen, die von anderen durchschnitten werden. Dieses Gebilde auf dem Monde hat allerdings ein eigenthümliches Aussehen, und Mancher, dem ich es am Fernrohr meines Observatoriums zeigte, war davon überrascht. Allein es handelt sich, wie die genauere Untersuchung darthut, doch nur um eine Naturformation, denn die Wälle sind viele Meilen lang, die Thäler, welche sie zwischen sich fassen, könnten jedes bequem eine Stadt wie Paris fassen, und endlich zeigen sich dazwischen hier und da zerstreut kleine Kraterkegel mit unregelmäßigen Felswänden, kurz alles ähnlich, wie man es auch an anderen Stellen des Mondes findet. Gruithuisen hat auch auf gewisse schmale Furchen hingewiesen, die in manchen besonders flachen Gegenden des Mondes gesehen werden können. Er hielt dieselben theils für die Betten ehemaliger Mondflüsse, theils für eine Art von künstlich erzeugten Hohlwegen. Diese Furchen, von den Mondbeobachtern „Rillen“ genannt, sind in der That überaus merkwürdige Bildungen. Man kann sie meist nur an mächtigen Ferngläsern gut sehen, und auch dann gehört eine große Virtuosität im Sehen dazu, um etwas Genaues an ihnen zu erkennen.

Die größten und leicht sichtbaren sind meines Erachtens nichts Anderes als Risse des Mondbodens, die durch vulkanische Eruptionen und Bodenstöße entstanden sein mögen. Man findet bisweilen, daß diese größeren Rillen durch einen kleinen Krater ziehen und dessen Wall gesprengt haben, auch größere Krater werden bisweilen von ihnen durchsetzt: ein Beweis, daß diese Krater schon vorhanden waren, als die Rille sich bildete. Gewisse kleine Furchen, von vielleicht 500 bis 1000 Fuß Breite, mögen die Betten ehemaliger Mondflüsse sein, die heute ausgetrocknet sind und nur ihre zerfallenen Ufer unsern Ferngläsern zeigen. Diese Rillen können, weil sie flach und anscheinend stark verwittert sind, nur unter sehr günstigen Verhältnissen gesehen werden, und die früheren Beobachter haben sie nicht gekannt, nur Gruithuisen hat einige davon wahrgenommen. Bisweilen zeigen nun solche Rillen da, wo sie einander am nächsten sind, eine flache und sehr schmale Querrille, die kanalartig beide mit einander verbindet. Ich muß gestehen, daß diese Furchen, welche zwei größere Rillen mit einander auf dem kürzesten Wege verbinden, mich bisweilen frappirt haben, und von allen Formationen der Mondoberfläche, die ich kenne, möchte ich höchstens nur bei diesen Verbindungskanälen die Möglichkeit eines künstlichen Ursprungs nicht völlig für absurd halten. Um Mißdeutungen zu vermeiden, füge ich jedoch ausdrücklich hinzu, daß ich einen solchen künstlichen Ursprung deßhalb durchaus nicht behaupte!

Je länger man sich mit der Untersuchung des Mondes beschäftigt, um so vorsichtiger wird man in seinen Schlüssen; auch ist ein wirklicher Fortschritt unserer Erkenntniß nur zu erringen, wenn man stets bedacht ist, Sicheres und Ungewisses streng zu scheiden. Wenn ich hier aussprechen soll, was sich mir nach vieljährigem Studium der Mondoberfläche, bezüglich lebender Wesen auf derselben, mehr und mehr als höchst wahrscheinlich aufgedrängt hat, so muß ich sagen, daß meiner Meinung nach die Epoche, in welcher der Mond von denkenden Wesen bewohnt wurde, längst hinter der Gegenwart liegt. In einer sehr entlegenen Zeit, als an der Oberfläche unserer Nachbarwelt noch freie Meere vorhanden waren, als vielleicht auch seine Atmosphäre eine größere Dichtigkeit besaß als heute, in einer Epoche, als unsere Erde noch nicht den Eindruck eines menschlichen Fußes empfangen hatte, da mag der Mond die Heimath intelligenter Geschöpfe gewesen sein. Dieselben starben aber nach und nach aus, als im Laufe zahlloser Jahrtausende die Mondoberfläche ihr freies Wasser und den größten Theil ihrer Atmosphäre verlor. Haben nun jene Wesen Produkte ihrer Thätigkeit hinterlassen, so können wir höchstens hoffen, dieselben theilweise noch in ruinenhaftem Zustande vorzufinden, falls unsere Teleskope bis dahin vordringen und es uns gelingt, das Wahrgenommene richtig zu deuten. Diese Ansicht, welche ich mit aller Reserve gebe, die der Gegenstand naturgemäß erheischt, scheint mir jedenfalls wissenschaftlich gerechtfertigter, als die Meinung, welche den Mond heute zur Wohnstätte eines hoch civilisirten Volkes macht, das sich möglicher Weise mit uns einmal durch optische Signale in Korrespondenz setzen könnte. Was aber immer die Wissenschaft bezüglich der etwaigen Mondbewohner dereinst ermitteln mag, stets werden die Ergebnisse Streiflichter auf die Zukunft unseres eigenen Seins werfen. Denn zuletzt durchforschen wir die Himmel wie das Dunkel der Erde nur, um etwas Aufklärung zu finden über das große Räthsel unseres eigenen Daseins. Dr. Klein.     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_604.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)