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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Welt und im menschlichen Dasein. Bildung hat die Schlacht bei Königgrätz und bei Sedan gewonnen; aber sie muß auch an den Rechten gerathen, der sie mit Maß weiter mittheilt. Zum Exempel, wenn so Einer – Namen brauche ich ja nicht zu nennen – so in seinen jungen Jahren über seinen angeborenen Kreis hinausgekommen ist mit seinem Handwerk, wenn er so zum Beispiel sich von meiner Schulbank weg die Sohlen meinetwegen unter ein paar fremden Nationen abgelaufen hat – was bringt er dann nach Hause? Ueberhebung und nichts weiter. Wenn da nun der Staat einschreiten könnte und immer die Richtigen auswählen wollte und sie mit Stipendien versehen –“

„So zum Exempel zuerst vor Allen die Schullehrer! Ja, das möchtet Ihr wohl, Schulmeister,“ meinte das Dorf.

„Ich nicht, meine Herren. Ich gehöre ja noch zum alten Stil und weiß, daß man in meinen Jahren über seinen angestammten Wirkungskreis hinaus zu wenig nütze ist, und habe auch schon übergenug an meinem Kopfschütteln den Sommer durch an der Fremde drunten im Bad; aber unsere Stimme sollten wir dabei haben. Zum Beispiel, Euch Beide kenne ich doch ganz genau, Volkmar – Sie und Spörenwagen. Und da soll mir doch Keiner kommen und rathen wollen, wem ich meine Stimme zur höhern Ausbildung und zum Nutzen hätte zutheilen sollen. Nach bestem Wissen und Gewissen hätte ich auch schon ohne guten Rath gewußt, wem ich hätte wünschen müssen, daß er sich die Hörner zur richtigen Stunde abgelaufen hätte. Was meinen Sie zu meiner Ansicht, Vorsteher?“

„Daß das so eine Sache ist, und daß man nach meinem Erachten am besten thut, wenn man denkt, es ist Vorn so wie Hinten – Menschen sind wir Alle. Meines Amtes ist es, auf Ordnung im Dorfe zu halten, und da muß ich wohl sagen, da weiß ich noch heute nicht recht, mit wem ich am liebsten zu kramen habe; mit dem Räkel, ich meine da den Volkmar, wie er war, oder Spörenwagen, wie er ist. Ihr Andern Alle könnt Euch nur bedanken, daß wir von Obrigkeitswegen noch immer fürs Erste da sind und darauf sehen, daß keiner von den Zweien gleich seinen Willen kriegt: der Eine mit seiner Wüthenhaftigkeit und seinem Knüppel, der Andere mit seinem Verkehr ins Stille und seinem politischen großen Hobel, mit dem er aus seinen Büchern her die Welt glatt machen möchte. Habe ich Recht, oder habe ich Unrecht, Gevatterschaft?“

Wer sich zu den „besten“ Männern im Dorfe zählen durfte, stimmte zu; die Andern hielten das Maul und thaten bei der gegenwärtigen Stimmung in der Gesellschaft wohl daran. Auch sagte Einer von den Letztern vom untern Ende des Tisches her:

„Kurios ist’s aber, wie sich das gerade so zusammengefunden hat als Vögel aus einem Neste; Spörenwagen und unseres Pastoren Schwester. Auf das Fräulein wird doch keiner Schlimmes hinreden, und es sind keine zwei bessern Freunde im Dorfe, als Fräulein Phöbe und Spörenwagen; obgleich der Schulmeister sagt: der ist ein Gottesleugner und glaubt weder an eine Auferstehung noch eine Vergeltung; und der Vorsteher: der will ganz in der Stille Alles über’n Haufen schmeißen, und der Rä – da, der Volkmar Fuchs in seiner schlimmsten Wuth auf der Vierlingswiese ist nur ein saugend Kind gegen ihn.“

„Hierüber ließe sich freilich Manches reden,“ sprach der Schulmeister, bedächtig den Kopf schüttelnd. „Das ist die Sache, worüber sich die größten Gelehrten in der Welt noch nicht klar sind. Und hier wiederum läßt sich auch eigentlich gar nicht darüber reden. Hierüber kann Jedwedeiner sich auch nur ganz in der Stille seine Gedanken machen; gerade so wie über die andere Kuriosität auf unserm Gottesacker –“

„Wo unser Fräulein bei Gesundheit und jungen Kräften und Jahren sich ihre Stelle bei der Fee käuflich erworben und von Euch hat schriftlich geben lassen, Kantor.“

„Sie nicht, wohl aber der Herr Professor von Bielow; und dieses wäre denn zum Andern eine Art von Kameradschaft, von der Vieles zu reden wäre, über die man aber auch seine Meinung am besten bei sich behält.“

„Ja, ja, man soll auch auf der Pläsirreise seinen Spaß nicht zu weit treiben; obgleich wir damals dem Herrn Baron von Gemeindewegen dankbar genug für seinen guten Einfall sein konnten, Fuchs,“ meinte der Vorsteher.

„Ein Spaß für mich war’s gerade nicht!“ brummte der Forstwart.

„Das will ich auch nicht gesagt haben, Rä – Volkmar; aber über den Fall muß man eben die Leute drunten im Bad reden hören. Na, Todtengräber, und auch die Frau Professorin, die Frau Baronin, die Ihr ja auf unserm Kirchhof hinterm Busch vernahmet, als sie unserm Fräulein Phöbe ihre Meinung sagte. Nun, ja, sie bauen ja wohl auch im nächsten Frühjahr eine passende Unterkunft dafür, wenn wieder ’mal für Einen von der feineren Sorte Menschheit aus dem Spaß ein bitterer Ernst werden sollte. Ja, ja, Forstwart Fuchs, das hättet Ihr Euch in Euerem verrückten Sinn, als Ihr noch der Räkel waret, nicht träumen lassen, was Ihr an Unheil anrichtetet, weil Ihr nicht einfach Vernunft annehmen wolltet! Nun höre aber ’mal Einer den Wind! Ist das nicht als ob der Hackelberg große Hofjagd hielte? das ist auch Schnee am Fensterladen, nicht wahr, Krüger? Eh ja, wenn Jeder meint, er brauche nur fein oder grob seinen Mund aufzusperren, um seinen Willen zu kriegen, weßhalb sollte es der Winter nicht auch thun? Ein Glück ist’s nur, daß wir schon von unseren Vorfahren hier her wissen, was es damit auf sich hat. Die haben es uns von Urzeiten an hinterlassen, Freundschaft: Jeder für seine Kellerlöcher, und unser Herrgott fürs Ganze!“


21.

Wir haben in dieser stürmischen Winternacht von zwei Briefen zu berichten, die im Laufe des Tages in dem Pfarrhaus des Pastor Prudens Hahnemeyer abgegeben waren; der eine in Begleitung einer Kiste und mit ausländischen Poststempeln und sonstigen Signaturen, der andere ganz aus der Nähe und überschrieben und gesiegelt in einer Weise, der man es ansah, daß Absender oder vielmehr Absenderin in dergleichen Dingen nicht die geschickteste Hand hatte.

Den ersten hat der Pastor Prudens auf seinem Schreibtisch liegen, er kam erst gestern Abend an. Der andere, der nur an Fräulein Phöbe Hahnemeyer allein adressirt war, ist schon am Morgen angelangt, und Fräulein Dorette Kristeller hat ihn geschrieben und er lautet:

„Mein Herzenskind, vielleicht weist Du es besser als wie ich selbst und Du kannst es mir sagen warum ich gerade heute an Dich schreiben muß! Denn es ist als ob ich nichts dazu könte, und eine Gewald mir die Feder in die Hand gäbe und mir die Feder führete. Nämlich mein Herzenskind es ist mir an den unfreundlichen Tag bei den Regen und Sturm gerade aus Deiner Gegend als passirte Dir was, wobei ich bei sein müßte zu meinem und Deinem Trost. Ist es eine Ahnung oder irre ich mich, so soll es mir lieb sein nähmlich das letzte. Aber das Herz ist mir recht schwer bei die dunkelen Tage, wo man schon um vier Uhr Licht anstechen muß, und es war so schön im Sommer, im Monat Juli mit uns Zweien. Du weißt schon wo. Bei uns in der unruhigen, bösen, argen Welt, wo jeder denkt was ich koche gilt und ist doch blos Topf und Kessel auf einem Feuer! Wo ich auch Deinen Herrn Bruder nicht ausnehmen kann, denn wie sollte ich sonst dazu kommen und Dich nicht ihm alleine lassen?

Was haben wir erlebt in dem Sommer! ich mit meinen fünfundsiebzig, Du mit Deinen zwanzig Jahren. Ich als Beilage zu meinem schon übergewichttigen Ueberdruß, Du in Deinen Kindergottesfrieden hinein. Lieber Himmel, und ich dachte, daß ich die Menschen und was sie einander gegenseitig erleben lassen können, schon in und auswendig kennte und nichts, gar nichts zu zu lernen brauchte.

Da bist Du gekommen, mein Herzensschmerzenskind. Ja da bist Du gekommen wie aus dem Abendhimmel mit Deinem Bündell und hast die alte Gifttante von weiland der Apteke ‚Zum wilden Mann‘ in die Schule genommen, und hast mich gelert, daß ich mich doch nur hätte schämen sollen die Jahre lang nachdem Oberst Agonnistah da war und meinen Bruder Philipp seligen und mir in Herzlichkeit und Vergnügen das Fell abzog und sich gar nichts Schlimmes dabei dachte. Es war ein Irthum von mir, daß dies ein Ausnahmsfall von Menschen und Menschenwerk und Thun gegen einander sei. Es ist die Regel und die Ausnahme kommt alle hunderd Jahr nur einmal und weiß gar nichts von sich und für mich heißt sie diesmal und in alle Ewigkeiten Fräulein Föbechen, meine liebe Föbe, meine Goldföbe wie aus der Kindergeschichte und auch auß dem Brief an die Römer,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_607.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)