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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Eine im Urwalde entstehende Stadt.0 Nach der Natur gezeichnet von R. Cronau.

So verfolgt die Kaskadenkette mit ihren beiden Berggranden, Tacoma und Baker, ihren stolzen Weg nach dem arktischen Amerika östlich vom Puget Sund. von ihm dagegen entfaltet sich das pacifische Küstengebirge zu kaum minderer Mächtigkeit, um dort zu seiner bedeutendsten Höhe anzuwachsen, wo es, von der San Juan da Fuca-Straße quer durchrissen, das nördliche Ende seines ganzen von Süd-Kalifornien bis hierher sich erstreckenden Zuges erreicht. Es ist die „Olympic Range". In seinem Hauptkamme bis zu 8000 Fuß Höhe ansteigend, säumt dieses amerikanische Olympusgebirge das Südufer der San Juan da Fuca-Straße wie ein mächtiger Alpenwall ein, der nicht nur in seinen fast immer von Schnee bedeckten Scheiteln mit Macht das Bild der Firnen Tirols und der Schweiz wachruft, sondern auch durch das auf ihnen heimische Phänomen des Alpenglühens im Verein mit den bergseeartigen Wasserspiegeln der Sundfjorde den Vergleich mit den Scenerien jener beiden europäischen Gebirgsländer geradezu herausfordert.

Etwa 1800 Meilen beträgt die gesammte Küstenlänge dieses vielgliedrigen Binnenmeerwesens, welches man unter dem Namen des Puget Sundes versteht. Und es muß als ein Glück für das Land selbst betrachtet werden, daß es mit so zahllosen Wassereinschnitten durchsetzt wird. Es müßte sonst in seinen Tannenwäldern ersticken. Nun aber schaffen diese langgestreckten Wasserflächen und Wasserarme nicht nur Luft, sondern auch die sich von selbst darbietenden Verbindungswege, auf denen von hier aus eine ganze Welt mit Bau- und Nutzholz versorgt werden kann.

Die letzte große Landvermessung, welche zwischen dem Columbia und dem Puget Sund vorgenommen worden, beziffert den ganzen hier angehäuften Schatz lebendigen Holzes auf 160000 Millionen Kubikfuß – eine Zahl, deren Bedeutung man sich erst durch einen Fachmann klar machen lassen muß, um einen Begriff von dem zu bekommen, was sie vorstellt. Das seit Anlegung der ersten Sägemühlen am Puget Sund vor dreißig Jahren aus diesem Wald-Königreich bis jezt mit der Axt entnommene Holz wird auf 2500 Millionen Kubikfuß geschätzt – gegen jenen die menschliche Vorstellung geradezu verwirrenden Reichthum von 160000 Millionen Kubikfuß allerdings nur ein verschwindender Betrag.

Aber wie die amerikanische Civilisation in ihrem Schaffen und Hervorbringen in wahrhaft dämonischer Hast voranjagt, so stürmt sie auch als Verschwenderin und Vernichterin mit losesten Zügeln einher. Und wie uneinnehmbar, ja, wie unberührbar auch noch in diesem Augenblick die Wald-Bollwerke erscheinen mögen, mit welchen die Natur hier den ganzen Grenzgürtel des pacifischen Nordwestens bis an die Felsengebirge hinan bewehrt hat, doch ist es, als sollte man angesichts der Sägemühlen-Cernirung des Puget Sundes und der unablässigen Waldbrände, die hier als herostratische Civilisationsfackeln zum Himmel emporlodern, bereits jetzt die Frage aufwerfen: Wie lange wird nach der schon heute genau vorauszuberechnenden Vernichtung der Forsten Maines, Wisconsins, Minnesotas und der anderen Holzkammern des Ostens wohl der große „Kulturkampf“ mit dieser reichsten, aber auch letzten Nutzholzdomäne der Vereinigten Staaten dauern?

Volle vierhundert Meilen erstreckt sich dieser Waldgürtel, der Grenze Britisch-Amerikas entlang vom Ocean und dem Puget Sund bis nach Nordwest-Montana hinein, wo die beiden herrlichen Hochlandseen Coeur d'Alene und Pend d'Oreille zwischen der Hochgebirgskette der „Bitter Root Mountains“ und dem dahinter aufsteigenden Hauptzuge der Felsengebirge liegen. In fast unzugänglicher Wildheit und Steilheit starrt hier die erstgenannte dieser beiden Alpenketten empor und zwang seiner Zeit durch ihre absolute Paßlosigkeit die Nord-Pacificbahn, im inneren Washington-Territorium jenen mächtigen nordöstlichen Bogen zu beschreiben, mit dem sie sich um dieses Gebirgshinderniß ganz und gar herum schwingt.

Inmitten der breiten und fruchtbaren Thaleinsenkung zwischen dem Felsengebirgskamm und der „Bitter Root Kette“ fand im August 1883 jene denkwürdige Feier der Zusammenschweißung der vom Mississippi und vom Columbia aus einander entgegengebauten Schienengeleise der Nord-Pacificbahn statt, zu welcher Henry Villard, der deutsche Vollender des ungeheuren Unternehmens, Repräsentanten aller Nationen, vor allen Dingen eine ganze Schar von Gästen aus dem alten Vaterlande zu Augenzeugen geladen hatte. Weder Schauplatz noch Gelegenheit zu einer interkontinentalen Feier hätten großartiger erdacht werden können. Vor allen Dingen aber hatten die Redner des Tages, unter ihnen Expräsident Grant, Professor Gneist, Karl Schurz und die Gesandten Englands und Deutschlands, immer wieder mit unverhohlenem Staunen auf das Wunderbare einer Vollbringung zurückzukommen, von der es Thatsache war, daß noch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_619.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)